Foto: Frederic Legrand - COMEO/Shutterstock

Der „Schlächter“ ist ziemlich populär

Der rapide zunehmende politische Primitivismus in Deutschland zeigt sich auch darin, in dem mehrfach wiedergewählten russischen Präsidenten einen „Schlächter“, „Killer“, „Tyrannen“ oder auch „Mafiaboss der superreichen Oligarchen“ zu vermuten. Deswegen erhofft sich die mediale Hetzmeute hierzulande auch wahre Wunderdinge vom ersehnten Sturz Putins.

Von WOLFGANG HÜBNER

Doch danach sieht es mitnichten aus. Und das liegt nicht zuletzt daran, dass die Popularität des „Zars aus der Leningrader Komunalka“ nicht nur ungebrochen, sondern sogar wieder im Anwachsen ist. In seiner aktuellen Putin-Biografie zeigt der deutsche Philosoph und Publizist Thomas Fasbender mehrfach auf, wie wichtig im russischen politischen System unmanipulierte demoskopische Erhebungen für die Führung sind.

Zwischen St. Petersburg und Wladiwostok wird Putin keineswegs als Abenteurer oder kriegsgeiler „Schlächter“ wahrgenommen, sondern eher als vorsichtig-rationaler Politiker, der etliche Jahre nur zugeschaut hat, wie die Ukraine das Minsker Abkommen in der Donbas-Region mit Füßen getreten und tausende Menschen dort durch Beschuss der abgespaltenen Gebiete getötet oder verletzt hat.

Und wie kann jemand ein „Tyrann“ sein, der trotz unbestreitbarer regionaler Manipulationen bei den Präsidentenwahlen zu jeder Zeit eine Mehrheit der Völker in der Russischen Föderation hinter sich wissen konnte? Der jetzige amerikanische Präsident Biden kann jedenfalls von den hohen Popularitätswerten nur träumen, die Putin derzeit genießt.

Wäre dem nicht so, dann könnte der Präsident in Moskau niemals das Risiko so harter Sanktionen des Westens und auch der nun erfolgenden harten Gegenwehr mit dem absehbaren Gas-Stopp für Westeuropa eingehen. Selbstverständlich gibt es dagegen Protest und Widerstand in Russland. Und dieser Widerstand leidet auch unter staatlichen Repressionen. Doch ist es nur eine deutliche Minderheit, die so reagiert und das russische Machtsystem nicht wirklich erschüttert. Wäre Putin in den Augen des Volkes nur jener im Westen vermutete Oberboss der Oligarchen, die das Land ausrauben, hätte er nicht eine kriegerische Intervention wagen können, die auch unter den russischen Streitkräften und vom Volk Opfer kostet.

Putin ist kein Oligarch und ist auch nie einer gewesen. Er versteht sich als Verfechter des Staates, dessen alleiniger Macht er mit zunehmender Amtsdauer alles untergeordnet hat. Das kann man durchaus kritisieren oder sogar für verwerflich halten. Aber wer den mit Abstand größten Flächenstaat der Erde mit verschiedenen Völkern, Religionen und Kulturen zusammenhalten will, der steht vor ganz anderen Aufgaben als ein deutscher Kanzler oder französischer Präsident. Er muss sich zudem in einer historisch problematischen politischen Kultur behaupten, die völlig anders strukturiert ist als im Westen.

Unter den Oligarchen, Intellektuellen und in den urbanen Mittelklassen Russlands mag die Stimmung wegen der massiven wirtschaftlichen Kriegsfolgen nicht gut sein. Doch dürfte auch in diesen Kreisen klar sein: Wer Putin stürzt, steht eher über kurz als über lang vor dem Problem, dass mächtige Kräfte im Westen Russland zerschlagen wollen, um an dessen Rohstoffreichtum zu gelangen. In der Jelzin-Ära wäre das beinah gelungen. Putin hat das in den letzten 22 Jahren verhindert. Das ist sein Verdienst, die Russen wissen und schätzen das. Wir in Deutschland müssen das nicht gut finden. Aber wir sollten wenigstens wissen, auf was Putins Macht beruht.

Entdecke mehr von Journalistenwatch

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen