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Vom grünen Mäntelchen zum grauen Stahlbetonmantel des Planeten

Wer die Windstromindustrie näher kennenlernen möchte, sollte sich am besten mit ihrem Verhältnis zum Natur- und Artenschutz beschäftigen. Dabei lassen sich fünf Phasen voneinander unterscheiden.

Ein Beitrag von Rotherbaron

Kaum eine Propagandamaschinerie war je so erfolgreich wie die der Windstromlobby. Heute spricht man selbst dann noch von „grüner“ und „sauberer“ Energie, wenn Wälder für Windkraftanlagen gerodet werden und ganze Landschaften hinter Stahlbetongittern verschwinden. Warum ist das so? Ein Blick auf die verschiedenen Phasen des Windkraftausbaus kann zur Klärung beitragen:

Phase 1: Windkraftanlagen als Naturprodukte

In Phase 1 wurden Windräder als eine Art von optimierten Naturprodukten hingestellt, die quasi von selbst aus dem Boden wachsen. Mögliche Konflikte mit dem Natur- und Artenschutz wurden schlicht geleugnet.
Diese Phase ist zwar mittlerweile von den späteren Phasen überlagert worden. Ganz verschwunden ist der (Un-)Geist, der sie beseelt hat, jedoch nicht. Noch immer werden Windräder gerne inmitten blühender Wiesen abgelichtet. Und wann immer sich eine einsame Muschel an den Unterwasserpfeiler einer Offshore-Anlage verirrt, wird dies als Beleg für die naturverträgliche oder gar -schützende Wirkung der Windkraft hingestellt. Die Wale, die von dem Lärm der Rotoren ertauben und in ihrer Kommunikation beeinträchtigt werden, stranden in ihrer Orientierungslosigkeit ja fern der Anlagen (1). Dies wird folglich zum Mysterium erklärt, für das man leider keine Erklärung habe.

Phase 2: Fledermäuse als Klima-Märtyrer

Als die schädliche Wirkung von Windkraftanlagen für einzelne Tierarten allzu offensichtlich wurde, legte man sich eine neue Argumentationsstrategie zu. Diese lautete nun: Der Klimawandel gefährdet die Existenz unzähliger Arten. Dagegen hilft nur – die Windkraft. Das einzelne Tier muss also sterben, damit die Art erhalten bleiben kann. Konkret hat diese Logik zur Folge, dass pro Jahr allein in Deutschland ca. 300.000 Fledermäuse durch Windkraftanlagen getötet werden (2).
Im Subtext der Argumentation klingt zudem an, dass auch einzelne Menschenleben notfalls geopfert werden müssen, um den Planeten zu retten. Dies ist insbesondere im Zusammenhang mit der Infraschallproblematik der Fall. Noch verfolgt die Windstromlobby zwar die Strategie, diese Problematik schlicht zu leugnen. Wenn die Belege für die gesundheitsschädliche Wirkung des Infraschalls allzu erdrückend werden, lässt sich aber, wie schon bei den Fledermäusen, notfalls auf die Märtyrer-Argumentation zurückgreifen (3).

Phase 3: Windkraft geht vor Artenschutz

In Phase 2 wurden Einschränkungen beim Schutz einzelner Arten als unvermeidliche Kollateralschäden auf dem Weg zur Rettung des Planeten hingestellt. Damit verbunden waren Beschwichtigungsversuche, die sich etwa in Zusagen zeitlich begrenzter Abschaltungen einzelner Windkraftanlagen manifestierten.
In Phase 3 werden die Prioritäten anders gesetzt. Nun ist nicht mehr von bedauerlichen Kollateralschäden bei einzelnen Arten die Rede. Vielmehr wird der Natur- und Artenschutz ganz offen zu Gunsten der Windkraft eingeschränkt. Deutlichster Beleg hierfür ist die Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes im Interesse der Windstromlobby. Laut der jüngsten Novelle des Gesetzes (§ 45, Abs. 7) gehört der „Ausbau der Erneuerbaren Energien“ zu jenen „zwingenden Gründe[n] des öffentlichen Interesses“, für die von den Regeln des Natur- und Artenschutzes abgesehen werden kann. Ausdrücklich gilt dies auch für „Vorhaben privater Träger“, sprich: für Windstromprojekte.
Was dies bedeutet, lässt sich in einem Erlass des Regierungspräsidiums Darmstadt nachlesen. Darin wird die Tötung von Wespen- und Mäusebussard durch Windkraftanlagen explizit für zulässig erklärt. (4)

Phase 4: Windkraft statt Artenschutz

 In Phase 3 wird der Natur- und Artenschutz zwar im Interesse der Windstromindustrie eingeschränkt. Grundsätzlich besteht er jedoch fort. Vor Ort können Umweltschutzinitiativen folglich weiterhin gegen neue Windstromprojekte klagen, wenn diese den Natur- und Artenschutz allzu offensichtlich missachten.
In Phase 4, die sich derzeit anbahnt, wird auch dies unmöglich sein. Die komplette Abschaffung des Klagerechts gegen Windstromprojekte fällt längst nicht mehr in die Rubrik „Schwarzseherei und Kassandrarufe“. Sie läge vielmehr ganz in der Logik der bisherigen Aushöhlung des Natur- und Artenschutzes durch die Bundesregierung. Die Gefahr, dass es dazu kommt, ist deshalb nicht von der Hand zu weisen. Die Lobbypolitik der Windstromindustrie weist jedenfalls in exakt diese Richtung.
So polemisiert etwa Johannes Lackmann, Geschäftsführer von WestfalenWIND, in einem offenen Brief an Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesumweltministerium, gegen die „vom NABU personell durchsetzten Naturschutzbehörden mit ihren Vetorechten“. In dem Schreiben spricht er sich zudem gegen den „Individuenschutz einzelner Zugvögel“ aus, verlangt also explizit die verstärkte Missachtung des Vogelschutzes für den Windkraftausbau (5).
Auf einer Linie hiermit liegt die Forderung der Branche, das für die Beschleunigung des Schienenausbaus verabschiedete „Planungsbeschleunigungsgesetz“ auch auf den Windkraftausbau anzuwenden (6). Denn hinter diesem Wortungetüm versteckt sich genau das, wonach die Windstromlobby lechzt: die Zurückdrängung des Einspruchsrechts von Bürger- und Umweltschutzinitiativen.
Betont werden muss dabei: Es geht hier überwiegend um lokale Naturschutzbewegungen. Die meisten überregional agierenden Umweltschutzverbände sind bereits in den früheren Phasen des Windkraftausbaus personell unterwandert und damit auf die Linie der Windstromlobby eingeschworen worden (7). Greenpeace profitiert über seine Tochter Green Energy sogar selbst unmittelbar vom Windkraftausbau.

Phase 5: Too big to fail

Auch Phase 5 wirft bereits ihre Schatten voraus. So sind die großzügigeren Abstandsregeln beim Bau neuer Windkraftanlagen nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen nicht umgesetzt worden. Die Entscheidungslogik war schlicht: Je größer die Abstände zu den Wohnbereichen, desto geringer die Anzahl neu zu errichtender Windkraftanlagen. Dies – und nicht die Gesundheit der von Schlagschatten und Infraschall geschädigten Anwohner – war das entscheidende Argument.
Je größer die wirtschaftliche Bedeutung der Windstromindustrie wird, desto schwerer wird es werden, sie in die Schranken zu weisen. Dies gilt gerade für Deutschland, wo nicht nur zahlreiche Windstromunternehmen – unter denen längst auch Big Player wie Siemens kräftig mitmischen (8) – ansässig, sondern auch über 250 Zulieferfirmen in dem Geschäftsfeld engagiert sind (9). Mit dem entsprechenden Know-how lässt sich auch im Ausland gutes Geld verdienen, was gerade bei einer exportorientierten Nation wie Deutschland die Position der entsprechenden Unternehmen stärkt.
In Phase 5 verkommt der Topos vom – vermeintlich – klimafreundlichen Windstrom damit mehr und mehr zu einer gewohnheitsmäßig gebrauchten Argumentationsfigur, der die Argumentierenden selbst kein großes Gewicht mehr beimessen. Die Begründungslogik hat sich umgekehrt. Sie lautet nun: Ja, die Windkraft schädigt die Natur, sie untergräbt den Artenschutz und trägt durch eine Veränderung des Mikroklimas womöglich sogar zur Klimaerwärmung bei (10). Aber ihre wirtschaftliche Bedeutung ist schlicht zu groß, als dass wir einfach aufhören könnten, sie zu fördern.
Windstromförderung ist folglich längst ein fester Bestandteil der deutschen Industriepolitik. Auf einer Linie hiermit liegt auch der „Green New Deal“, der sicher nicht zufällig von einer deutschen EU-Kommissionspräsidentin ausgerufen worden ist.

Das schleichende Gift der Windkraftpropaganda

So zeigt sich: Je mehr sich die Windstromindustrie ausbreitet, je dichter die Verflechtungen zwischen Politik und Lobbyisten werden, desto mehr fällt die Maske. Das grüne Mäntelchen, das die Branche sich anfangs umgehängt hat, ist erst löchrig geworden und hat sich dann ganz in Luft aufgelöst.
Dadurch müsste nun eigentlich jeder die Logik der Gewinnmaximierung erkennen, die diese Industrie wie jede andere profitorientierte Industrie antreibt. Warum das nicht geschieht? Weil das grüne Mäntelchen auf manche wie ein schleichendes Gift gewirkt und ihre Sinne vernebelt hat. Anders als Ölbarone und die Atomstromlobby, die vom ersten Tag an ohne Rücksicht auf Verluste die Profitkarte gespielt haben, hat die Windstromlobby jahrelang mit dem grünen Daumen gewinkt. Dadurch meinen manche auch jetzt noch ins Grüne zu sehen, wenn ihr Blick sich im Stahlbetongitter der Windkraftanlagen verliert.
Das Ergebnis ist die irrationale Verehrung einer Industrie, die gerade dabei ist, dem ohnehin gefährdeten Planeten den Todesstoß zu versetzen. Wie schwer es ist, sich dies einzugestehen, zeigen die Reaktionen auf den Film Planet of the Humans, in dem Michael Moore und Jeff Gibbs den „erneuerbaren Energien“ den Heiligenschein entreißen. Neben Schmähungen und Morddrohungen gab es auch Forderungen, den kostenlos bei YouTube abrufbaren Film vom Netz zu nehmen.
An vorderster Front standen dabei Öko-Gurus wie Bill McKibben, an deren Beispiel der Film die Verflechtung des ökoindustriellen Komplexes mit der konventionellen Energiewirtschaft und der kapitalistischen Finanzwelt beleuchtet (11). Gibbs selbst hält den „eco-industrialists“ denn auch entgegen, ihr Projekt einer angeblichen Rettung des Planeten diene  ihnen nur als Vorwand, um „mit Bankiers, Milliardären, Industriellen und ihren Stiftungen – mit anderen Worten: mit dem Kapitalismus selbst – ins Bett zu steigen“ (12).
Nein, es ist noch nicht zu spät, sich dem schleichenden Gift der Windstrompropaganda zu entziehen. Die Entgiftungskur müsste aber schnell kommen, und sie müsste radikal sein. Ansonsten droht uns genau das Szenario, vor dem Jeff Gibbs in einem Interview zu Planet of the Humans warnt: „The Green New Deal (…) is not going to save us, it’s actually going to kill us faster“ (13)

Nachweise

Ausführliche Erläuterungen und Links zu den oben genannten kritischen Aspekten der Windkraft finden sich im RB-Windstromglossar: Das Windstromkartell. Kleines ABC seiner Durchsetzungsstrategien. Im Folgenden die wichtigsten Links zu den angesprochenen Punkten:

(1) Vgl. Windstromkartell, Artikel Relativierung der Gefährdung von Walen, mit weiterführenden Links.

(2) Krauter, Ralf: Interview mit Christian Voigt (Leiter der Abteilung Evolutionäre Ökologie am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin): Windkraftanlagen: Gefahr für Fledermäuse; Deutsch­landfunk (Forschung aktuell), 29. März 2019.

(3) Vgl. RB: Gesundheitsgefahren durch Infraschall. Fakten und Faktenleugnung; 6. Dezember 2019; mit ausführlicher Link-Liste.

(4) Dirr, Herrmann: Regierungspräsidium Darmstadt genehmigt offiziell die Tötung von Wespen- und Mäusebussarden für den Bau von Windkraftanlagen; 9. November 2018.

(5) Lackmann, Johannes: Offener Brief zum Thema Windenergie und Arten­schutz; WestfalenWIND, 3. Mai 2019.

(6) Energate messenger: BWE will Genehmigungsverfahren beschleunigen. 2. April 2019.

(7) Besonders deutlich wird die Verflechtung von Windstromindustrie und Umweltschutzverbänden im Fall des BUND; vgl. hierzu Hilbert, Jörg / Schmickler, Barbara: Der BUND vor der Zerreißprobe; ARD (Plusminus), 5. August 2015

(8) Eine gute Übersicht über das Windstromengagement von Siemens bietet der Wikipedia-Eintrag zu Siemens Gamesa.

(9) Vgl. die Übersicht auf wind-turbine.com.

(10)   Rötzer, Florian: Wenn Windenergie zur Klimaerwärmung beiträgtTelepolis, Heise Online, 10. Okto­ber 2018; mit Links zu den entsprechenden Publikationen von Lee M. Miller und David W. Keith von der Universität Harvard.

(11)   Vgl. Planet of the Humans, ab 1:14:45. Auf Druck von McKibben und Co ist der Film inzwischen von YouTube gelöscht worden; vgl. dazu das Update vom 30. Mai 2020.

(12)   Gibbs, Jeff: „Old data“ is a lie. Planetofhumans.com, 18. Mai 2020.

(13)   Carey, Matthew: Interview mit Jeff Gibbs im Rahmen eines Beitrags zu Planet of the Humans; nonfictionfilm.com, 21. April 2020.

 

Bilder von Wikimedia: Schweinswal: A VampireTear; Fledermaus: Andy Reago / Chrissy McClaran; Rotmilan: Thomas Kraft; Schwarzstorch: Rocherath; Seeadler: Yathin sk