Das Aussageprotokoll: Kronzeuge belastet Lina E.

Der Prozess gegen die „Hammer-Bande“ um Lina Engel ist die größte und wichtigste juristische Auseinandersetzung mit dem Linkextremismus seit dem Ende der Roten-Armee-Fraktion. Die öffentlichen Aussagen des Kronzeugen Johannes Domhöver geben einen tiefen Einblick in die Struktur und Vorgehensweise der skrupellosen Täter. Wir präsentieren eine Zusammenfassung der Aussagen von Domhöver, die ihr in dieser Form nicht in den etablierten Medien finden werdet.

Ein Beitrag von EinProzent

Seit November 2020 sitzt Lina Engel (27) in Untersuchungshaft. Vor dem Oberlandesgericht Dresden wird der mutmaßlichen Antifa-Rädelsführerin der Prozess gemacht. Die Mitangeklagten Lennart Arning alias „Mio“ (27), Jannis Röhlig (36) und Philipp Jonathan Mohr alias „Nero“ (27) sind noch auf freiem Fuß, Engels Verlobter Johann Guntermann alias „Lücke“ (28) bis heute auf der Flucht vor der Polizei. Ihnen wird unter anderem zur Last gelegt, 18 Opfer – vermeintliche „Rechte“ – ausspioniert, überfallen, gefoltert und zum Teil lebensgefährlich verletzt zu haben.

Die Taten haben die junge Frau für die linke Szene zu einer Art Heldin gemacht. Selbst unter bürgerlichen Journalisten fanden sich lange Zeit viele Relativierer. So schrieb etwa der Zeit-Autor Christian Fuchs noch am 15. März 2021 unter dem Titel „Die Studentin im Visier“, die „Zweifel“, dass Lina Engel eine Terroristin sei, würden „wachsen“. Dann aber, im Juni 2022, platzte die Bombe: Ein ehemaliges Mitglied der Gruppe packte aus. Johannes Domhöver alias „Jojo“ (30) ließ sich vom Verfassungsschutz für eine Zusammenarbeit mit der Polizei rekrutieren. Zuvor war der Mann wegen angeblicher sexueller Übergriffe in der linksextremen Szene zur Persona non grata erklärt worden.

Als Kronzeuge hat Johannes Domhöver seine ehemaligen Genossen vor dem OLG in den vergangenen beiden Wochen schwer belastet – und einmalige Einblicke in die Vorgehensweise und Strukturen militanter Antifa-Zellen gegeben. Wir haben die wichtigsten Punkte seiner Aussagen für euch zusammengefasst.

Ziel: „Massiver Schaden“ bei den Opfern

Den Aussagen zufolge waren Lina Engel und ihr Verlobter die Drahtzieher eines bundesweiten Netzwerkes, das brutale Überfälle auf politisch Andersdenkende seit etwa 2015 regelmäßig trainierte, akribisch vorbereitete und durchführte. Im Wesentlichen unterscheidet der Kronzeuge dabei zwischen so genannten „Ausfahrten“ – Attacken auf abreisende Demonstrationsteilnehmer, etwa an Bahnhöfen – und Angriffen auf Einzelpersonen in ihrem alltäglichen Umfeld. Letztere wurden von der Gruppe „Projekte“ genannt.

Ziel sei gewesen, bei den Opfern „massiven“ und „nachhaltigen” Schaden anzurichten. So etwa sollte mit Hämmern auf besonders verletzliche Stellen wie den Kopf, die Schienbeine, Knie und Sprunggelenke eingewirkt werden.

Bei den Attacken habe es verschiedene vorab zugeteilte und trainierte Rollen gegeben. Ein Angreifer sollte die Zeit im Blick haben und die Kommandos geben. Diese Aufgabe habe in mehreren Fällen Lina Engel übernommen, so auch bei den angeklagten Taten in Eisenach. Ein anderer sollte den „Erstkontakt“ zur Zielperson herstellen – das hieß, ihn je nach Situation anzusprechen (zum Beispiel nach der Uhrzeit fragen) oder aber direkt zuzuschlagen. Der Rest der Gruppe sollten das Opfer dann zu Boden bringen, dort fixieren und massiv verletzen.

Das Risiko für die Täter hingegen sollte, so Johannes Domhöver, möglichst gering gehalten werden. Darum sollten die Überfälle kurz und effektiv sein, idealerweise nicht länger als 30 Sekunden dauern. Diese Zeit reiche aus, um massiven körperlichen Schaden anzurichten. Zur Absicherung gegen zu Hilfe kommende Passanten habe man immer große Pfefferspray-Flaschen mitgeführt, die am Ende auf die Opfer entleert wurden. Auch sei vorab beurteilt worden, ob die ausgewählte Zielperson physisch und mental in der Lage sei, sich effektiv zu verteidigen. Ein Abbruchgrund wäre beispielsweise gewesen, wenn sich der Attackierte mit einer Stichwaffe zur Wehr gesetzt hätte – so geschehen auch beim einer missglückten Tat in Eisenach im Dezember 2019, die letztlich zur Verhaftung mehrerer Bandenmitglieder führte. Für derartige Situationen habe es festgelegte Codes wie „Messer“ gegeben. „Da wird nichts dem Zufall überlassen“, sagte der Kronzeuge vor Gericht.

Die Planungen

Die „Projekte“ hätten Lina Engel und Johann Guntermann akribisch geplant und dann über die App Jabber aus einem bundesweiten Täterkreis Mittäter geworben. Er nannte sich dabei „Wario“, sie „Koopa“, nach den Figuren aus der Super-Mario-Serie. Wie es scheint, hat Johannes Domhöver den Ermittlern diese Chats auch zur Verfügung gestellt.

Vorab soll Guntermann mögliche Zielpersonen über soziale Netzwerke wie Facebook und Instagram mit Fake-Accounts kennengelernt haben. Anschließend kundschaftete man Reiserouten oder das persönliche Umfeld der späteren Opfer aus. Auch während den Taten gab es demnach sogenannte Scouts, die Demonstrationsteilnehmer oder einzelne Zielpersonen beobachteten und ihren Standort über Wegwerf-Handys live an das „Zugriffs-Team“ durchgaben. Dabei sollten unauffällige Verkleidungen wie zum Beispiel ein „Yakuza“-Pullover oder die Uniform eines Lieferservices zum Einsatz kommen. Johannes Domhöver selbst behauptet, bei den Überfällen aufgrund einer laufenden Bewährung meist als Späher eingesetzt gewesen zu sein. Mehrfach habe er beispielsweise aufgeklärt, an welchen Bahnhöfen „Rechte“ auf dem Weg zu Demonstrationen ein- und ausstiegen. Für die Zugreisen habe er Ticket-Gutscheine von Johann Guntermann bekommen, die dieser mittels Kreditkartenbetrug erstanden habe. An einigen Stellen machte Johannes Domhöver von seinem Recht auf Auskunftsverweigerung Gebrauch, um sich nicht selbst zu belasten.

Wichtige Besprechungen hielt die Gruppe der Aussage des Ex-Mitglieds zufolge nur außerhalb geschlossener Räume und ohne Telefone ab. Nur, als die Luft am Ende dünner wurde, habe man Juristisches auch über Online-Konferenzen besprochen. Johann Guntermann sei zu diesem Zeitpunkt aus dem Ausland zugeschaltet gewesen. Zuvor hatte der in Halle (Saale) geborene und in Bayern aufgewachsene Linksextremist auch die eigene Wohnung mit einem Wanzendetektor durchsucht.

An den Tatorten habe man penibel darauf geachtet, keine DNA (etwa an Zigaretten) zurückzulassen. Die Antifas hätten immer Handschuhe getragen, Tatwerkzeuge seien in Plastikbeuteln transportiert und anschließend mit Chlor gereinigt worden. Dieser Hinweis lässt aufhorchen, weil er eine Querverbindung zu zwei besonders brutalen Einbrüchen in Eilenburg (Sachsen) und Erfurt im Jahr 2021 herstellt. In beiden Fällen drangen als Polizisten verkleidete Linksextremisten in die Wohnungen ihrer Opfer ein und verletzten diese schwer, bevor sie sie anschließend mit Chlor übergossen, mutmaßlich um Spuren zu verwischen. Szenekundige Beobachter vermuten seit längerem, dass Johann Guntermann oder dessen Netzwerk auch hinter diesen Angriffen stecken könnte. Zwar saß Lina Engel zum Tatzeitpunkt bereits hinter Gittern, die beiden Fälle sind nicht Teil der Anklage. Aus der Aussage des Kronzeugen geht allerdings auch hervor, dass Johann Guntermann nach seinem Verschwinden nach Thailand offenbar noch einmal nach Deutschland zurückkehrte und sich mindestens temporär im Leipziger Umland versteckt hielt.

Bei Nachtreffen wurden die Überfälle schließlich umfangreich ausgewertet und eine Art „Manöverkritik“ geübt. Zum festen Täterkreis der Gruppe zählt der Kronzeuge neben den bisher bekannten Angeklagten auch einen gewissen Paul „Bolle“ Müntnich und einen weiteren Mann namens Julian, gemeinsam wohnhaft in einer Leipziger WG. Die beiden hätten der Polizei beim zweiten Eisenach-Überfall entkommen können, was auch erklären würde, warum sie bisher nicht auf der Anklagebank sitzen.

Neben den Taten, die Gegenstand der Verhandlung sind, sprach Johannes Domhöver auch über weitere Überfälle des linken Terrornetzwerkes. Manche wurden aufgrund der Verhaftung von Lina Engel und der Flucht Johann Guntermanns nicht in die Tat umgesetzt. Zum Beispiel sollen Johann Guntermann und Tobias Edelhoff einen Erzieher in Berlin-Hellersdorf ausgekundschaftet haben, der zuvor als Musiker in bei einem Rechtsrockkonzert in Themar (Thüringen) aufgetreten sein soll. Auch das „Flieder Volkshaus“ in Thüringen und der Leipziger Kampfsportler Benjamin Brinsa seien als mögliche Angriffsziele in der Diskussion gewesen. Wichtig sei es der Gruppierung aber vor allem gewesen, die sogenannte „215er-Liste“ (angeblich Beteiligte an Ausschreitungen in Leipzig-Connewitz im Januar 2016) „abzuarbeiten“. Johann Guntermann habe die Veröffentlichung der Namen – die vermutlich über einen bekannten Szene-Anwalt in die Hände der Linksextremisten gelangten – als „Geschenk“ bezeichnet.

Bundesweite Trainings

Besonders interessant an Johannes Domhövers Aussagen ist, dass die Gewalttaten in regelmäßigen „Trainings“ systematisch vorbereitet wurden, gelegentlich unter Beteiligung aus dem gesamten Bundesgebiet. Meist hätten diese Treffen in Leipzig stattgefunden, manchmal sei man auch auf den ländlichen Raum ausgewichen. Im Kasseler Umland – Lina Engel kommt ursprünglich von dort – soll zuletzt sogar eigens ein „Trainingsareal“ geplant gewesen sein. Durchexerziert wurden demnach sowohl das Agieren im Mob – etwa auf Demonstrationen – als auch Überraschungsangriffe auf Einzelpersonen. Solche Vorbereitungen auf kommandoartige Überfälle fanden in Leipzig laut Johannes Domhöver etwa zweimal pro Monat statt. Er selbst habe noch 2021 das letzte Mal daran teilgenommen, also zu einem Zeitpunkt, als Lina Engel schon längst in U-Haft saß.

Das erste größere „Training“ mit etwa 25 Teilnehmern habe (vermutlich 2017 oder 2018) auf Einladung von Johann Guntermann im späteren Black Triangle, einer seinerzeit besetzten Bahnanlage im Süden Leipzigs, stattgefunden. In leitender Rolle seien Berliner Linksextremisten angereist. Später hätten die „Trainings“ vor allem in der Gießerstraße 16 und mindestens einmal unter bundesweiter Beteiligung in einer Kunstrasen-Halle auf dem Gelände des Alfred-Kunze-Sportparks (beides ebenfalls in der Messestadt) stattgefunden. Letztere Veranstaltung war offenbar eher eine Art Demo-Vorbereitung für Militante. Pikant: Der Alfred-Kunze-Sportpark ist das Stadion des Regionallligisten BSG Chemie Leipzig, dessen Fan- und Ultraszene enge Verbindungen zum antifaschistischen Milieu der Stadt pflegen; zum Teil liegen Personalüberschneidungen vor.

Auch in diesem Fall seien es die Berliner gewesen, die das Programm anleiteten. Namentlich erwähnte der Kronzeuge einen gewissen Thomas und einen Mario, der Türsteher im Club „Cassiopeia“ auf dem Friedrichshainer RAW-Gelände sei.

Bei den „Trainings“ mitgemacht hätten in wechselnder Besetzung Antifas aus Leipzig, Berlin, Magdeburg, Nordrhein-Westfalen, Frankfurt (Main), Nürnberg, Bremen und Rostock. Aus dem Teilnehmerpool habe man schließlich auch die Mittäter für konkrete Überfälle rekrutiert. Für die deutsche Hauptstadt nannte der Zeuge explizit die Gruppierung „Berlin Straight Edge“ aus dem Umfeld der Rigaer Straße, die auch regelmäßig „Ausfahrten“ mache und mit den Berliner Angeklagten bestens bekannt sei.

Die Leipziger selbst hätten etwa zweimal pro Monat für kommandoartige Überfälle trainiert. Der feste Kern habe dabei aus in der Regel vier bis zehn Teilnehmern bestanden, darunter Lina Engel, Johann Guntermann und Paul Müntnich. Außerdem fielen die Namen „Ida“, „Julian“ (Mitbewohner von Müntnich), „Herbert“ und ein gewisser „Coach“ (hier wohl ein Spitzname) aus Bayern. Es wurden verschiedene Szenarien und Handlungsabläufe durchgespielt, wobei die Erfahrungen vergangener Angriffe mit einbezogen wurden. Auch der Einsatz von Waffen soll fester Bestandteil des „Trainings“ gewesen sein. Der Kronzeuge räumt ein, dass den Tätern jederzeit klar gewesen sei, dass sie ihre Opfer womöglich töten würden. Dass der überwiegende Teil der Antifas dennoch keine Tötungsabsicht gehabt hätte, zumal das bewaffnete Einwirken auf den Kopf gezielt geübt wurde, schien den vorsitzenden Richter Hans Schlüter-Staats nicht zu überzeugen.

Unklar bleibt bisher noch, welche Rolle die Leipziger Zelle um Lina Engel und Johann Guntermann beim Überfall auf die Prokuristin einer Immobilienfirma in Leipzig spielte. Die Frau war im November 2019 in ihrer eigenen Wohnung brutal zusammengeschlagen worden. Nachdem Lina Engel zwischenzeitlich ins Visier der Ermittler geriet – in ihrer WG soll die Polizei ein Bekennerschreiben gefunden haben – war das Verfahren zunächst eingestellt worden. Das war allerdings vor dem umfrangreichen Geständnis des Kronzeugen, das womöglich neue Verdachtsmomente eröffnet haben könnte. Die Ermittler halten sich bedeckt, auf Rückfragen der Nebenklage blockte der vorsitzende Richter ab.

Johannes Domhövers Vernehmung vor dem OLG Dresden soll im September weitergeführt werden. Im Falle einer Verurteilung drohen Lina Engel und ihren mutmaßlichen Mittätern bis zu zehn Jahre Haft.