Georgia Meloni geht aus den italienischen Wahlen als voraussichtlich nächste Ministerpräsidentin Italiens hervor. Die deutschen Medien bezeichnen sie gerne als »Post-Faschistin«. Doch stimmt das? Und was bedeutet das? Eldad Beck interviewte sie für »Israel Heute«.
Beck: Den Hochrechnungen zufolge sind Sie dabei, die erste italienische Ministerpräsidentin zu werden. Die italienische Gesellschaft gilt als sehr macho. Wie haben Sie das geschafft?
Meloni: Das Italien von heute unterscheidet sich etwas von dem Macho-Stereotyp, das ihm immer noch anhaftet. Dennoch ist klar, dass eine Premierministerin eine „gläserne Decke“ durchbrechen würde, die Frauen bisher gehindert hat, sich sowohl auf institutioneller als auch auf beruflicher Ebene durchzusetzen. Ich habe mich in einem männlichen Umfeld etabliert und hatte oft das Gefühl, doppelt so hart arbeiten zu müssen, um zu beweisen, dass ich halb so gut bin wie ein Mann. Aber am Ende bin ich stolz darauf, dass ich in einer politischen Familie aufgewachsen bin, die mich als Führungskraft auserkoren hat, weil sie meine Verdienste anerkannt hat, ohne dass irgendein Mann mich protegiert hat. Das ist eines der Dinge, die Linke ausflippen lässt, die immer nur hehre Worte über die Rolle der Frau in der Politik zu bieten hatten.
Außerdem hatte ich das Privileg, Mutter zu sein, ohne auf etwas verzichten zu müssen. Ich werde dafür kämpfen, allen italienischen Frauen die gleichen Chancen zu bieten, indem ich die Sozial- und Familienpolitik stärke.
Es gibt genug talentierte Frauen, die keine Quoten brauchen
Beck: Glauben Sie, dass Frauen anders Politik machen als Männer?
Meloni: Einige Leute behaupten, ich habe es geschafft, weil ich so gut wie ein Mann geworden bin. Ich glaube, ich habe es geschafft, weil ich so gut wie eine Frau geworden bin!
Und genau das möchte ich Frauen sagen. Im Westen verwenden wir häufig Zwangsquoten als Lösung des Problems: auf Parteilisten, in Unternehmensvorständen usw. Aber ich glaube, dass die Lösung auf Leistung und Changengleichheit basieren muss: Changengleichheit, da eine Frau niemals gezwungen werden sollte, sich zwischen ihrer Karriere und ihrem Familienleben zu entscheiden, wenn sie etwas erreichen will. Und Leistung, denn wenn Leistung an erster Stelle steht, gibt es genug talentierte Frauen, die keine Quoten brauchen.
Die europäische und westliche Anbindung Italiens ist grundlegend
Beck: Die italienischen Wahlen finden in stürmischen Zeiten statt: eine bedrohliche globale Wirtschafts- und Sozialkrise, der scheinbar endlose Krieg in der Ukraine, Spannungen zwischen den USA und China um Taiwan, ein möglicher neuer Krieg im Nahen Osten um die Atompläne des Iran. Was werden Ihre Prioritäten als zukünftiger Premierministerin sein?
Meloni: Zunächst muss man inmitten eines solchen Sturms das Ruder auf der Steuerbordseite halten. Für uns ist das die grundlegende europäische und westliche Anbindung Italiens. Das ist nicht nur eine Grundsatzerklärung, sondern eine Wahl des Umfeldes, auf dem die meisten unserer nationalen politischen Entscheidungen basieren.
Die Dringendste davon ist zweifellos, Unternehmen und Familien bei der Bewältigung hoher Energiepreise zu unterstützen, da wir im Herbst mit einer schweren sozialen Krise konfrontiert werden und alles tun müssen, um sie zu lindern. Nachdem sich die Notlage gelegt hat, wollen wir die Steuern auf Arbeitskosten senken, um die Kaufkraft zu stärken, die Kraft unserer Wirtschaft entfesseln, die Bürokratie abbauen, um Investitionen zu fördern, materielle und immaterielle Infrastruktur aufbauen und in die Familienpolitik investieren, indem wir all diese sinnlosen Sozialleistungen abschaffen, die die soziale Hängematte stärken, aber das Land nicht voranbringen.
Die Stimme Italiens muss mehr zählen
Beck: Das EU-Establishment und die europäische Presse betrachten Sie als Bedrohung für das europäische Projekt. Wie sehen Sie die künftigen Beziehungen zwischen Italien und der EU?
Meloni: Die Linke propagiert hier ein Narrativ, um mich zu diffamieren, aber eigentlich diffamieren sie ganz Italien. Sie reden nur denjenigen das Wort, die Italien kleinhalten und marginalisieren wollen. Die Wahrheit sieht natürlich ganz anders aus. Italien ist eine große Nation, die die EU mitbegründet hat, Nettozahler des EU-Haushalts ist, und die drittgrößte Wirtschaft und die zweitgrößte Industrie in Europa hat. Die Stimme Italiens muss mehr zählen, und unsere nationalen Interessen müssen genauso geschützt werden, wie die Frankreichs und Deutschlands.
Was die Zukunft Europas betrifft, hat zuerst die Pandemie und jetzt der Krieg gezeigt, dass die EU überhaupt nicht einsatzbereit war. Brüssel hat sich viel zu viele Kompetenzen angemaßt in vielen Aspekten unseres täglichen Lebens, vernachlässigt aber dabei unsere gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik, unsere Energieunabhängigkeit, unsere Wertschöpfungsketten und unsere strategische Produktion im Inland.
In dieser Beziehung wünsche ich mir ein Europa, das weniger macht, aber besser, mit weniger Zentralismus, weniger Bürokratie und mehr Demokratie. Das wird unser Beitrag zur Zukunft Europas sein.
Wir stehen für eine moderne, europäisch und westlich orientierte, rechte Regierung
Beck: Wie würden Sie Ihre Partei, die Brüder Italiens (Fratelli d’Italia – Fdl), definieren?
Meloni: Fratelli d’Italia ist die Partei der italienischen Konservativen: wir unterstützen die Freiheit des Einzelnen, die zentrale Bedeutung der Familie, die Bewahrung der westlichen, europäischen und italienischen kulturellen Identität und Eigenständigkeit, sowie privates wirtschaftliches Unternehmertum gepaart mit sozialer Solidarität. Wir stehen für eine moderne, europäisch und westlich orientierte, rechte Regierung.
Wir sind Mitglied der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer im EU-Parlament, der auch die Ministerpräsidenten Polens und der Tschechischen Republik angehören und deren Vorsitz auszuüben ich die Ehre habe. Wir haben auch starke Verbindungen zur Likud-Partei in Israel, zu den britischen Tories und zu den amerikanischen Republikanern.
Ich muss nicht darauf herumreiten, was die Linken vor 30 Jahren gemacht haben
Beck: Einige Mitglieder Ihrer Partei stammen aus der Familie von Benito Mussolini. Die Partei hat Verbindungen zur ehemaligen Alleanza Nazionale − die wiederum aus der „post-faschistischen“ Movimento Sociale Italianohervorgegangen ist. Was sagen Sie all jenen, die Ihrer Partei „Neofaschismus“ vorwerfen und sie »gefährlich« nennen?
Meloni: »Gefährlich« sind wir nur für die Dominanz der italienischen Linken, die seit Jahren an der Regierung sind, ohne die Wahlen zu gewinnen. Viele italienische Linke waren vor dreißig Jahren Mitglieder der stärksten bolschewistischen Partei Westeuropas. Na und? Der Unterschied zwischen mir und ihnen besteht darin, dass ich meine Tage nicht damit verbringe, darauf herumzureiten, was sie vor 30 Jahren gemacht haben.
Es reicht mir, all die Schäden aufzuzählen, die die linken Regierungen heute angerichtet haben, ohne ständig in der Vergangenheit wühlen zu müssen.
Beck: Wo sehen Sie die ideologischen Unterschiede zwischen Ihrer Partei und der rechten Lega?
Meloni: Die Lega wurde als eine regionale Partei geboren, die zunächst für die Unabhängigkeit und später für eine größere Autonomie Norditaliens kämpfte. Wir kommen aus einer nationalen Tradition, die Nord- und Süditalien gleichermaßen berücksichtigt. Die Lega füllte eine vorübergehende Lücke, als die rechten Parteien 2009 sich zusammengeschlossen hatten, um mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi eine einheitliche Mitte-Rechts-Partei, Popolo della Libertà (das Volk der Freiheit), zu gründen.
Wir haben diese Partei 2012 verlassen, um die Fratelli d’Italia zu gründen. Wir haben auch Anstrengungen unternommen, um unsere Wählerbasis zu erweitern. 2019 ist die Lega eine Koalition mit den Linken eingegangen, während für es für uns schon immer ein politisches Gebot war, eine Alternative zu den Linken zu sein, aus Respekt vor unseren Wählern.
Beck: Waren Sie jemals in Israel? Haben Sie vor, bald hinzufahren?
Meloni: Ja, sicher. Ich war zu einem offiziellen Besuch in Israel, als ich während der letzten Berlusconi-Regierung als Ministerin diente. Es war eine sehr wichtige Reise, mit einem bewegenden Besuch in Yad Vashem: eine Erfahrung, die mich zutiefst erschüttert hat. Ich werde auf jeden Fall wieder nach Israel reisen, hoffentlich bald. Ich wollte dies als Vorsitzende der Europäischen Konservativen und Reformer, der auch Likud-Freunde angehören, machen, aber der Krieg in der Ukraine, die Wahlen in Israel und Italien haben diese Reisepläne geändert.
Ich hoffe, Israel bald wieder besuchen zu dürfen, diesmal als Regierungschefin, um gemeinsam mit einer neuen israelischen Regierung über die gemeinsame Zusammenarbeit und Pläne zu sprechen, beginnend mit der Lieferung von Erdgas durch das östliche Mittelmeer.
Israel ist die einzige echte Demokratie im Nahen Osten
Beck: Was bedeutet Ihnen der jüdische Staat?
Meloni: Israel ist die einzige echte Demokratie im Nahen Osten. Wir verteidigen sein Existenzrecht und Recht auf Sicherheit ohne Vorbehalte. Ich glaube, dass die Existenz des Staates Israel lebenswichtig ist, und die Fratelli d’Italia werden alles tun, um eine engere Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern zu fördern.
Die italienischen Mitte-Rechts-Parteien waren Israel immer wohlgesonnen, wenn sie an der Regierung waren – was man von der Linken nicht sagen kann, nicht in der Vergangenheit und auch nicht in diesem Wahlkampf. Es gab mehrere Vorfälle von linken Kandidaten, die auf den sozialen Medien antisemitisch gefärbte Posts gemacht haben.
Beck: Sehen Sie eine Verbindung zwischen denen, die dazu aufrufen, Israel militärisch oder durch Boykott zu zerstören, als Fortsetzung des traditionellen Antisemitismus?
Meloni: Israel ist und sollte weiterhin ein entscheidender Verbündeter der Europäischen Union sein, um dieses Übel weltweit auszurotten. Wir unterstützen Bemühungen, das Verständnis junger Studenten für die jüdische Geschichte, Religion und Kultur zu verbessern. Dies wird den Abbau gesellschaftlicher Vorurteile und die volle Akzeptanz jüdischer Bräuche in Europa unterstützen.
Beck: Wird eine von Ihnen geführte Regierung Jerusalem als Israels Hauptstadt anerkennen und die italienische Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen?
Meloni: Das ist ein sehr heikles Thema, bei dem Italien in Absprache mit unseren Partnern in der Europäischen Union handeln muss.
Beck: Italien unterhält enge Wirtschaftsbeziehungen zum Iran. Wie sollte der Westen Ihrer Meinung nach verhindern, dass der Iran zu einer militärischen Atommacht wird, und wie kann Italien dazu beitragen?
Meloni: Die Sanktionen gegen den Iran haben viele italienische Unternehmen, die starke wirtschaftliche Beziehungen zum Iran aufgebaut haben, schwer getroffen.
Dennoch ist es sicherlich nicht an der Zeit, diese aufzuheben, es sei denn, bestimmte Bedingungen sind erfüllt. Wir sind in der Tat äußerst besorgt über die Rolle des Iran in der Region, seine anhaltende Annäherung an Russland und China, seine fortgesetzte Unterstützung für die Hisbollah, die Israels Sicherheit weiterhin bedroht, sowie der Bericht der IAEA, der darauf hinweist, dass es unzureichende wirksame Kontrollen über die iranische Raketenentwicklung gibt, ohne zusätzliche Zusicherungen für Israel, das besorgt über die aktuelle Urananreicherung ist, die für die Herstellung von Atomwaffen erforderlich ist. Vor diesem Hintergrund glauben wir, dass es schwierig sein wird, das Atomabkommen von 2015 wiederzubeleben.
Wir haben die Abraham-Abkommen von Donald Trump nachdrücklich als Mittel zur Wahrung der regionalen Stabilität und zur Eindämmung der aggressiven Außenpolitik des Iran unterstützt. Wir glauben, dass diese weiter umgesetzt werden sollten.
Putin hat eine rote Linie überschritten
Beck: Wie kann man den Krieg in der Ukraine beenden? Befürchten Sie einen größeren Krieg in Europa?
Meloni: Der Krieg gegen die Ukraine ist nicht nur eine eklatante Verletzung des Völkerrechts, eine Aggression gegen die territoriale Integrität einer souveränen Nation und eine Manifestation des russischen Expansionismus, sondern ein Versuch, die gegenwärtige Weltordnung zum Nachteil des Westens und für die USA zu untergraben, zum Vorteil des kommunistischen China. Ein Szenario, das Europa entschieden ablehnen muss.
Eine mögliche Ausweitung des Krieges auf andere osteuropäische Nationen ist eine von unseren polnischen Freunden mit Besorgnis erwogene Möglichkeit, die wir leider nicht unterschätzen dürfen. Aus diesem Grund dürfen wir nicht aufhören, die Ukraine zu unterstützen. Ich sage das entschieden, aber mit ebenso großem Bedauern, auch weil ich die besonderen Bande kenne, die Israel und Russland historisch vereinen.
Im Jahr 2002 war Italien selbst Gastgeber eines NATO-Russland-Gipfels, um die Anbindung an den Westen aufzubauen und sich gemeinsam der islamistischen Bedrohung zu stellen. Zwanzig Jahre sind vergangen, dieses Bündnis ist ins Stocken geraten, und Putin hat leider eine rote Linie überschritten.
Beck: Sollten der Westen und die EU die Sanktionen gegen Russland erhöhen, oder sollten sie versuchen, den Druck auf Moskau zu mildern, um eine diplomatische Lösung voranzutreiben?
Meloni: Die ukrainische Gegenoffensive dieser Tage zeigt, dass der durch Sanktionen und Waffenlieferungen nach Kiew ausgeübte Würgegriff zu wirken beginnt, und ich denke nicht, dass er gelockert werden sollte. Er wirft jedoch die Frage nach der Ausdauer Europas und des Westens gegenüber den wirtschaftlichen und politischen Kosten der Sanktionen auf, die von Nation zu Nation unterschiedlich wirken, wobei sich einige große westliche Staaten an dieser Situation sogar bereichern.
Deshalb rufen wir nach einem Entschädigungsfonds, der von den EU- und NATO-Staaten (in erster Linie den USA) bereitgestellt wird, um die am stärksten gefährdeten Nationen zu unterstützen und zu verhindern, dass die russische Propaganda die vielen Menschen erreicht, die im Herbst enorme Existenzprobleme haben werden.
Ich mag »Herr der Ringe« und »Braveheart«
Beck: Was ist Ihr Lieblingsbuch? Musik? Filme? Essen? Sind Sie religiös?
Meloni: Mein Lieblingsbuch ist bei weitem JRR Tolkiens »Der Herr der Ringe«, eine wunderbare Geschichte, die für Politiker sehr nützlich ist: Sie lehrt, das Schicksal der Gemeinschaft über das eigene Schicksal zu stellen, aber auch nicht vom Machthunger verführt zu werden.
Musikalisch höre ich alles, von Rock bis Klassik. Jedem Kapitel meiner Autobiografie ist ein Songzitat vorangestellt: von Ed Sheeran bis Adele, und von italienischen Stars wie Battisti und Battiato.
Mein Lieblingsfilm ist »Braveheart«, eine Geschichte über Liebe und Mut, die für meine Generation sehr wichtig war. Ich liebe traditionelles italienisches Essen. Wo immer ich hingehe, esse ich gerne die lokale Spezialität, die auch ein wichtiger Identitätsfaktor für jedes Gebiet ist. Ich bin Katholikin, ich glaube an Gott, und zu den Persönlichkeiten der Kirche, denen ich am meisten verbunden bin, zählt Johannes Paul II.
Dieses Interview erschien auf »Israel Hayom« und erscheint hier mit freundlicher Genehmigung des Autoren. Deutsche Übersetzung von Freie Welt.