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Reflexionen über eine Gummi-Paragraphen

Geschätzter Leser, heute wollen wir den Paragraphen 130 des deutschen Strafgesetzbuchs und sein (sehr gespaltenes) Verhältnis zu dem (im deutschen Grundgesetz verankerten) Recht auf freie Meinungsäußerung unter die Lupe nehmen.

Von Quo usque tandem

 Der entscheidende Wortlaut des Paragraphen 130 StGB  lautet:

  • Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,

            gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte             Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen dessen            Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum            Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder die Menschenwürde      anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu   einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, wird        mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Es folgen noch weitere Bestimmungen, die aber im Kontext dieses Artikels nicht wesentlich sind.

Wesentlich ist jedoch, dass dieser StGB-Paragraph das ideale Instrument zur Unterdrückung der freien Meinungsäußerung – und in der weiteren Konsequenz – zur Unterdrückung unliebsamer Opposition ist.

Wer einen gesellschaftlichen oder infrastrukturellen Missstand kritisieren (oder auch nur kommentieren) will, wird unweigerlich eine negative Beurteilung bestimmter Personen und/oder Gruppierungen vornehmen müssen, eine Beurteilung, welche in der Hand von Staatsanwälten und/oder Richtern, die einem herrschenden politischen System – sagen wir: „freundlich gesonnen“ – sind,  mittels “kreativer Interpretation“ ohne weiteres in die eine oder andere der durch den zitierten Paragraphen gelieferten Schubladen eingepasst werden kann. Auf welcher Grundlage der unbequemen Kritiker/Mahner sodann mittels Freiheitsstrafe, ruinöser Geldbuße sowie der damit verbundenen gesellschaftlichen Ächtung, mundtot gemacht werden kann.

Genau dies geschieht in unserem Land seit geraumer Zeit und – mit zunehmender Bedrängnis des  herrschenden Systems durch neue Akteure auf der politischen Bühne – in gleichfalls zunehmendem Maß.

Mit Hilfe dieses Juwels der Gesetzgebung (Achtung: Satire) wäre es, unter Anwendung von etwas Phantasie ohne weiteres möglich –  lebten und äußerten sie ihre Vorstellungen heute – u. A. Jesus Christus, den Apostel Paulus, Martin Luther plus sämtliche anderen Reformatoren, Galileo Galilei, Nikolaus Kopernikus, Friedrich Schiller, die Männer der Frankfurter Paulskirche, Friedrich Nietzsche, wegen Volksverhetzung zu belangen. Die Liste kann beliebig fortgesetzt werden.

In der historischen Realität erlitten die meisten der eben genannten Personen dieses Schicksal tatsächlich, sei es durch den Willen von autokratischen Machthabern, sei es durch den der damals noch fanatisch intoleranten sowie mit weltlicher Macht ausgestatteten katholischen Kirche..

Die Frage, die sich aus dem bis hierher Gesagten ergibt ist: Soll ein Bestandteil deutschen Rechts weiter durchgeschleppt werden, welcher herrschenden politischen Systemen ein flexibles „Allzweck“-Instrument an die Hand gibt„ mit dem sie, (in der Tradition vergangener Autokraten bzw. der katholischen Kirche in dunkleren Zeiten) nach Belieben jegliche Meinungsäußerung abwürgen können, die von vorgegebenen Denkmustern abweicht?

Oder: Ist eine grundlegende Reform des „Volksverhetzungs-Paragraphen“ dringend erforderlich?