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Steuerparadies: Ungarn

Viele Bürger verlassen Deutschland – warum? Neben den klassischen Motiven wie Jobwechsel und Familienzusammenführung stellen Auswanderungsberater einen Trend fest: Emigration aus politischen Gründen. 2016, auf dem Höhepunkt der Migrationskrise, wanderten mehr als 130.000 Bundesbürger aus. Im Jahr 2008, im Jahr der Bankenkrise, waren es mit rund 66.000 etwa halb so viele.

Dann gibt es auch noch eine Dunkelziffer, sagte etwa Auswanderungsforscherin Margit Fauser im WELT-Interview. Unter den 20 beliebtesten Ländern gehören neben Schweiz, Dänemark und Schweden auch Ungarn, was eher unverständlich scheint. Denn Ungarn, ein kleines Land mit fast zehn Millionen Einwohnern und konservativer Regierung, wird in den westlichen Medien als „antieuropäisch“, „diktatorisch“ und „fremdenfeindlich” bezeichnet. Die Ungarn selbst verteidigen die westlichen christlichen Werte und empfinden sich als Bürger eines freien, souveränen und selbstbestimmten Landes. Wie lässt sich dieser Unterschied zwischen Wahrnehmung und Realität erklären? Und was könnten Vorteile des Auswanderns sein?

Lieblingsfeind der Grünen und Linksliberale

Mit konservativen Idealen, gelegentlich exzentrischen Ideen, repräsentiert Viktor Orbán nicht nur einen großen Teil der ungarischen Wählerschaft, sondern auch viele konservative Ideale auf dem ganzen Kontinent. Seine Regierung ist daher ein Lieblingsfeind der Grünen und Linksliberalen in Europa und vor allem in Deutschland. Dass Orbán zum vierten Mal in Folge eine Zweidrittelmehrheit im Parlament errang, beunruhigt westliche Beobachter.

Die EU-Staaten verzweifeln oftmals an Ungarn, da Viktor Orban mit seinem Veto in verschiedenen Bereichen immer wieder die EU-Entscheidungen blockiert. Orbán tangiert sein schlechtes Image in der Auslandspresse nicht, er bleibt seiner Politik treu, die tatsächlich eine große Mehrheit der Wähler überzeugt. In der Tat verfügt das Land über eine große Breite bürgerschaftlichen Engagements und gesellschaftlicher Organisationen jedweder Ausrichtung. Phänomene wie Kontaktschuld, Diskursverengung, Cancel Culture und Genderideologie sind in Ungarn unbekannt.

Nun kann man anführen, es würde dort keine Weiterentwicklung stattfinden, was durchaus möglich ist, dann ist dieser Stillstand aber vom Volk gewollt. Ungarn blieb von den negativen Auswirkungen der europäischen Migrationskrise 2015 fast unberührt, weil die Regierung seine Grenzen sicherte und die Migrationskrise nicht wie in Deutschland zur Spaltung der Gesellschaft Ungarns führte. Auch diesen Punkt kann man kritisieren, muss man vielleicht sogar – da Ungarn sich somit aus der moralischen Verpflichtung der EU entzogen hat. Rechtlich kann man dem Land allerdings nichts vorwerfen.

Was Arbeit schafft, ist sozial.

In Ungarn wird ein eher gestriger Slogan der alten, deutschen CDU-Reihe umgesetzt: Was Arbeit schafft, ist sozial.

Das Konzept: Weniger Schulden, weniger Steuern. Die Schulden beim Internationalen Währungsfonds wurden Anfang 2013 getilgt und die massiven Fremdwährungsschulden der Privat- und Staatshaushalte schrittweise in die Landeswährung Forint umgewandelt. Die Steuerpolitik wurde grundlegend reformiert, die Abschaffung von Steuern deutlich reduziert, die Steuersätze gesenkt und damit eine Steuergerechtigkeit und Steuervereinfachung und eine relative Steuertransparenz erreicht.

Sichtbarer Erfolg ist die Vollbeschäftigung des Landes mit einer Million neuer Arbeitsplätze und der Anstieg der Zahl der Einkommensteuerzahler von 1,7 Millionen im Jahr 2010 auf über 6 Millionen. Ungarn will dem demografischen Wandel nicht durch Zuwanderung, sondern durch Erhöhung der Geburtenrate begegnen, was in der EU mehrfach zu Streitigkeiten führte, da das restliche Europa diese Form als Angriff auf die Frau betrachtet.

Je mehr Kinder, desto weniger Steuern

In Ungarn werden Familien hauptsächlich durch Steuervorteile unterstützt. Dabei gilt: je mehr Kinder, desto weniger Steuern. Das mag nicht jeder gerecht finden, die Ungarn scheint es aber nicht zu stören. Diese Regelung soll insbesondere den Mittelstand und junge Frauen fördern. Das Motto lautet: Keine Frau soll nach der Geburt in einer schlechteren wirtschaftlichen Lage sein als zuvor. Immerhin: Die Geburtenrate in den letzten zehn Jahren von 1,23 auf 1,59 gestiegen, Abtreibungen sind auf einem historischen Tiefstand und die Zahl der Eheschließungen ist explodiert. Wie bei der Einwanderungspolitik kann die ungarische Regierung mit der linken Familienpolitik nicht viel anfangen. Diese Sicht auf die Dinge spiegelt sich auch in den Wahlergebnissen wider. Das spricht für viele Beobachter leider für Orban.

Diese Politik mag, für einige Menschen altbacken klingen, an Ludwig Erhard erinnern und zu einfach gedacht sein, aber für einige Auswanderer scheint sich eine alte Sehnsucht zu erfüllen. Abgesehen von der Politik, ob man sie mag oder nicht, wird öffentlich kaum erwähnt, weshalb sich das Auswandern aus finanziellen Gründen tatsächlich lohnen könnte: Ungarn ist in steuerlicher Hinsicht sowohl für Unternehmen, Gründer und Investoren durchaus ein Paradies. Das liegt vor allem daran, dass Ungarn nicht „offiziell“ als Steuerparadies betrachtet wird. Aber die niedrige Körperschaftsteuer, die unkomplizierten Gründungsgesetze und die zentrale Lage des Landes in der Europäischen Union machen das ungarische Unternehmen beispielsweise zu einem vorteilhaften Vehikel für viele ausländische Investoren. So schafft es Ungarn, ohne positive Presse trotzdem für Deutsche eine Alternative zu sein.

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