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Familienpolitik: Deutschland vs. Ungarn

Die ungarische Regierung feiert sich als Retterin alter Werte. Propagiert wird ein Mix aus heiliger Nation und heiliger Familie. Die Frau hat eine Aufgabe: möglichst viele Kinder kriegen, das schreibt die Süddeutsche in ihrem Bericht „Heim und Herd“ vom 22. Januar 2021. Seitdem erscheinen regelmäßige Berichte im deutschen Blätterwald, die Ungarns Familienpolitik kritisieren. Das ist legitim. Trotzdem stellt sich die Frage, sind diese Werte ohne Abstriche falsch? Müssen sich alle Frauen „Selbstverwirklichen“ um dann für immer noch weniger Geld als die Männer zu arbeiten, obwohl doch die Gleichberechtigung in Deutschland so großgeschrieben wird? Oder darf es auch Frauen geben, die einfach gerne Mütter sind? Zumindest in Ungarn scheint es diese Frauen zu geben.

In Ungarn haben Eltern Anspruch auf drei Jahre bezahlte Elternzeit, Schulbücher sind für Eltern kostenlos und Mütter unter 30 bezahlen keine Einkommenssteuer. Mit ihrer Familienpolitik konnte Ungarns christlich-konservative Regierung die Geburtenrate innerhalb des letzten Jahrzehnts von 1,2 auf 1,6 Kinder pro Frau heben. Im europäischen Vergleich ist das Land damit – sowie mit seiner hohen Eheschließungsrate – Spitzenreiter.

Drei Jahre bezahlte Elternzeit mir 100 Prozent des Einkommens

Zu den Zielen der ungarischen Familienpolitik gehört es, das Durchschnittsalter von Frauen bei ihrer ersten Geburt zu senken und das Pro-Kopf-Einkommen von Familien zu erhöhen. Zahlreiche finanzielle Maßnahmen brachte die Regierung seit 2010 auf den Weg: Dazu gehört etwa, dass Eltern in Ungarn Anspruch auf drei Jahre bezahlte Elternzeit haben, in deren erstem Jahr sie 100 Prozent ihres Einkommens weiter beziehen. Wäre diese Möglichkeit zumindest bei Alleinerziehenden in Deutschland nicht denkbar?

Anstatt diesen Ansatz auch nur zu überdenken, wird er in Deutschlands Medien verschrien. Überhaupt: Alleinerziehende. Ein Wort, das seit 2005 aus der Öffentlichkeit verschwunden ist, zusammen mit den Lebensumständen. Denn die meisten armen Kinder sind Kinder Alleinerziehender. Dafür gibt es nach wie vor zwei Gründe. Der eine ist das in Deutschland immer noch niedrigeren Fraueneinkommen, und der andere sind die hohen Mieten. Denn ein Kind braucht nicht nur Nahrung und Kleidung, es braucht auch Raum. In vielen deutschen Großstädten die Mieten bereits so hoch, dass die Hälfte des Einkommens in der Miete verschwindet.

Steigerung der Anzahl der Krippenplätze

Bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf setzt Ungarn stark auf die Steigerung der Krippenplätze: Alternativ können Eltern – und seit 2020 auch Großeltern – jedoch ein Kinderbetreuungsgeld beziehen, um ihre Kinder selbst zu betreuen. Auch das wäre eine tragfähige Lösung für Alleinerziehende in Deutschland, wenn man es denn wollte. Aber Alleinerziehende wurden in Deutschland schon immer behandelt wie Unmündige, deren Kinder unter Amtsvormundschaft standen, die zwar Anfang der 1990er endete, aber spätestens mit der Einführung von Hartz IV de facto wieder eingeführt wurde. Warum sollte sollte sich an diesen guten, alten, deutschen Werten jemals etwas ändern?

Da Mütter von mindestens vier Kindern in Ungarn lebenslang von der Einkommenssteuer befreit sind, kann man das tatsächlich als Festhalten an Heim und Herd bezeichnen, was die Ungarn allerdings nicht zu stören scheint. Für Ungarn ist Migration zur Stärkung des Bevölkerungswachstums keine Lösung. Ungarn setzt darauf, ungarische Familien zu unterstützen und scheint damit Erfolg zu haben. Laut aktueller Statistiken übersteigt mittlerweile die Zahl der Auslandsungarn, die zurück in ihre Heimat kommen, diejenige der Auswanderer um ein Vielfaches.

 

 

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