Transatlantiker (Bild: shutterstock.com/FotoIdee)

Ukraine, USA & EU: Die wertewestlichen Fakten – Teil 1

Was versteckt sich hinter dem Geschwätz von “Demokratie”, “Freiheit” und “westlichen Werten”, die in der Ukraine mit großzügiger Unterstützung des “Wertewestens” angeblich verteidigt werden? – Die Fakten.

von Max Erdinger

Erstens: Solange es sich nicht um einen Krieg auf dem Territorium der USA handelt, kann es der US-Regierung egal sein, ob sie mit ihren Waffenlieferungen die Verlierseite oder die Gewinnerseite in einem Krieg “unterstützt”. Der militärisch-industrielle Komplex der USA (Raytheon, General Dynamics, Boeing etc.pp.) lebt nicht vom Sieg seiner exportierten Waffen, sondern von deren Verkauf. Beschafft die US-Regierung die Waffen, zahlt sie der amerikanische Steuerzahler. Werden sie aus dem Ausland direkt bei den Herstellern eingekauft, dann zahlt eben irgendein ausländischer Steuerzahler dafür. Hinter fossilen Energieträgern als dem umfangreichsten US-Exportartikel – und vor dem Export von Nahrungsmitteln, stehen die US-amerikanischen Waffenexporte an zweiter Stelle in der amerikanischen Exportbilanz. Umfang im Jahr 2022: ca. 200 Milliarden US-Dollar.

Zweitens: US-Außenminister Blinken, die ehemalige Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan, US-Kriegsminister Lloyd Austin, die stellvertretende CIA-Direktorin Avril Haines und fast das gesamte Beraterteam für Fragen der Nationalen Sicherheit aus der Obama-Ära sind sogenannte “Drehtür”-Politiker – & Beamte. Sie kamen aus der Rüstungsindustrie resp. privaten Lobbyfirmen und Vertragsfirmen der Rüstungsindustrie wie etwa aus Blinkens im Jahr 2017 gegründeter Lobbyistenfirma “WestExecAdvisors” in ihre politischen Ämter – und werden danach wieder dahin zurückkehren, wo sie hergekommen sind. Die Geschäftstätigkeit der “WestExecAdvisors” von Anthony Blinken besteht darin, Privatfirmen aus der Rüstungsindustrie mit lukrativen Regierungsaufträgen zu versorgen. Kriegsminister Lloyd Austin saß als Ex-4-Sterne-General zunächst im Vorstand von Raytheon, wurde dann Kriegsminister und wird danach wieder bei Raytheon zu finden sein. “US-Verteidigungsminister” ist lediglich ein Euphemismus für das, was er tatsächlich ist: Kriegsminister. Wenn diese Herrschaften “gut” im Sinne ihrer eigentlichen Auftraggeber gewesen sind – das heißt, wenn sie als verbrecherische Heimsuchung der zivilisierten Welt gut funktioniert haben -, werden sie nach ihrer Rückkehr in die Privatwirtschaft die Früchte ihrer “politischen” Arbeit einkassieren.

Napolitano Hoh
Matthew Hoh (re. i. Bild), US-Marine und ehemaliger Mitarbeiter im State Department. Interview mit Andrew “Judge” Napolitano – Screenshot YouTube

Drittens: Der US-Marine Matthew Hoh, ehemaliges Mitglied des US-State Departments, veröffentlichte am 28. Juli beim “Eisenhower Media Network” einen alarmierenden Zustandsbericht. Der vormalige US-Präsident Dwight D. Eisenhower hatte noch während seiner Amtszeit von 1953 bis 1961 vor den enormen Gefahren eines militärisch-industriellen Komplexes gewarnt, der außer Rand und Band gerät. Die USA, so Matthew Hoh, haben “für Afghanistan” in 20 Jahren mehr als 146 Milliarden US-Dollar an militärischer und wirtschaftlicher “Hilfe” versenkt – bekanntlich für nichts und wieder nichts, außer eben für die Gewinne ihrer eigenen Rüstungsindustrie – und bereits diese Summe übersteigt alles, was im Rahmen des Marshall-Plans für den Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg ausgegeben wurde. Allein in den vergangenen 18 Monaten (!) hatte die US-Regierung mehr als 113 Milliarden US-Dollar für die “Unterstützung der Ukraine” verplant. Das Meiste davon ist bereits verplempert worden. Der Afghanistankrieg, schreibt Hoh, sowie sein Geschwisterkrieg im Irak, seien “grelle Jauchegruben” (glaring cesspools) aus Korruption, Betrug und Verschwendung gewesen, die lediglich dazu geführt hätten, daß sich korrupte Regierungsbeamte bereichert hätten sowie diverse Warlords und Firmen gestärkt worden seien, die dann nichts weiter auf die Beine gestellt hätten als Regierungen, die de facto politische Kartenhäuser waren.

Mit den “Hilfen” für die Ukraine sei es so: Obwohl bereits ein “Kalkulationsfehler” im Haushalt aufgeflogen war, der den sagenhaften Umfang von 6 Milliarden Dollar aufwies – natürlich zugunsten und nicht zum Nachteil des Kriegsministeriums von Lloyd Austin – hat der US-Senat am Mittwoch vergangener Woche mit überwältigender Mehrheit einen Antrag von Senator Rand Paul abgelehnt, ein Kontrollgremium zu installieren, das über die “Ukrainehilfen” und deren Verwendung Buch führt. Das ist leider verständlich. Im ganzen US-Kongreß sitzt kaum jemand, der dort nicht vorher auf mehr oder weniger verschlungenen Wegen mit einem Einlaß-Ticket des militärisch-industriellen Komplexes (MIK) eingeritten wäre. Sowohl im Repräsentantenhaus als auch im Senat gibt es nur ganz wenige, die dem MIK ein ausgesprochener Dorn im Auge sind. Der Sohn des legendären Libertären und ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Ron Paul, Senator Rand Paul, ist einer davon.

Von den US-Kriegen profitieren einige Wenige dort, wo diese Kriege stattfinden, sowie einige Wenige in den USA. Sofern die nicht im Kongreß zu finden sind, sitzen sie in den Vorständen und Aufsichtsräten von Rüstungsunternehmen. Der Ukrainekrieg ist de facto ein von den USA lange geplanter und listig eingefädelter Krieg zur Schwächung Russlands auf Kosten der Ukrainer, der “nützlicherweise” nie erklärt wurde. Passend zur Ablehnung des Antrags von Senator Rand Paul, ein Kontrollgremium über die Ausgaben für diesen Krieg zu installieren, ist die “Nichterklärung” dieses Kriegs. Hätten die USA einen erklärt, wäre die Zustimmung des Kongresses vonnöten gewesen. Daß man die als US-Regierung von den Gekauften im Kongreß bekommen würde, darf im “Normalfall” als gesichert gelten. Nur: Erstens kann man auch als militärische Weltmacht nicht ausgerechnet den Russen einfach so den Krieg erklären – den meisten anderen Ländern gegenüber könnte man durchaus – , und zweitens erspart man den US-Kongreßabgeordneten durch die fehlende Abstimmung zum Krieg das ärgerliche Problem, sich demjenigen gegenüber zu erklären, der sich in den USA für den Souverän hält, nämlich der Masse der amerikanischen Wähler. Wie in aller Welt hätte man dem amerikanischen Wähler erklären sollen, daß man die Ukrainer abschlachten läßt für das eigene Ziel einer Schwächung Russlands? Im Gegensatz zu seinen vom militärisch-industriellen Komplex gekauften, vermeintlichen “Volksvertretern”, ist der durchschnittliche amerikanische Wähler ethisch und moralisch nämlich nicht verwahrlost genug, um so etwas gutzuheißen. Aus demselben Grund gibt es auch die dogmatisch durchgesetzte Sprachregelung von “Putins unprovoziertem Angriffskrieg” für die wertewestlichen Massen in der Mediendemokratie. Man “hilft” ja den Opfern einer militärischen Aggression lediglich. Das ist ultrabigotte, geopolitische Perfidie im Endstadium. In Wahrheit ist nämlich “Putins unprovozierter Angriffskrieg” einer der am planvollsten provozierten US-Kriege der jüngeren Geschichte. Geführt werden muß er allerdings als Proxykrieg.

Der eigentliche Angriff auf die Ukrainer in diesem Krieg erfolgte, ausgeklügelt über viele Jahre, von Seiten der USA mit ihren Kriegsvorbereitungen in der Ukraine und den Plänen, die Ukrainer für die eigenen Ziele – wenn möglich, aber nicht zwingend: siegreich – zu verheizen. Der Beginn der russischen SMO am 24. Februar 2022 ist nur ein Symptom, ein Resultat des eigentlichen Angriffs auf die Ukrainer. Im Februar 2022 war die ukrainische Armee nach der amerikanischen und der türkischen die drittgrößte im gesamten (NATO)-Wertewesten, auf diese Größe hochgerüstet von ebendiesem. Bereits bis dahin hatte die entsprechende Rüstungsindustrie enorm davon profitiert – und zwar auf Kosten jenes wertewestlichen Steuerzahlers, der den ganzen, in einem scheußlichen Grün gehaltenen Schieß- & Explosionskrempel zu bezahlen hat. Es ist klar, wie die Sprachregelung lautet, wenn nicht Russen sich eines “unprovozierten Angriffskriegs” schuldig machen, sondern Amerikaner. In dem Fall würde dann statt von einem “unprovozierten Angriffskrieg” die Rede sein von einem “amerikanischen Präventivschlag” zur “Verteidigung von Demokratie, Freiheit & westlichen Werten”, zur Verteidigung einer “regelbasierten Ordnung” und zum Wohle aller möglichen “Rechte”, einschließlich “Menschenrecht” und “Völkerrecht”.  Die USA haben jedoch noch nie für irgendwelche hehren Ziele Kriege angezettelt und geführt.

Viertens: Seit ihrer Unabhängigkeit im Jahre 1776 befinden sich die USA mit Ausnahme weniger Jahre im permanenten Kriegszustand mit anderen Ländern rund um den Globus. Derzeit gibt es exakt 903 US-Militärstützpunkte auf der ganzen Welt – und nicht einmal ein Amerikaner könnte sie alle aus dem Gedächtnis heraus aufzählen. Keiner hat sie jemals alle besucht. Es reicht, sich den sogenannten “Naval Act” aus dem Jahr 1794 anzuschauen, als es darum ging, eine amerikanische Kriegsmarine aufzubauen, um zu erkennen, wer sich via Rüstungsindustrie regelmäßig und unkontrolliert die Taschen vollmacht. Etwa die Hälfte aller geplanten Schiffe damals konnten überhaupt nur gebaut werden – und die fertiggebauten waren am Ende doppelt so teuer wie ursprünglich veranschlagt. Der Etat war erschöpft. Die privatwirtschaftlichen Profite, die sich auf diese Weise machen lassen, sind seit jeher so enorm, daß ebenso lange ein enormes Interesse daran besteht, diese Einnahmequellen niemals versiegen zu lassen. Sinnvollerweise kauft sich der Kriegswaffenproduzent also Politiker, ehe er für teuer Eigengeld die Waffen für den auf solche Weise politisch abgesicherten Verkauf produziert. Besser, als mit dem “Garantieschein” einer Regierung für die Abnahme der produzierten Produkte, kann man sich in der Privatwirtschaft kaum gegen unternehmerische Risiken absichern. Letztlich bürgt der Steuerzahler.

Smedley Butler
General Smedley Butler – Fotos: The Vintage News

Der zweifach mit der Ehrenmaille ausgezeichnete General Smedley Butler, ebenfalls ein US-Marine wie Hoh, definierte den Krieg bereits im Jahr 1933 als ein “Racket”, frei übersetzt also als ein schmutziges Geschäft (Racketeering) – und sich selbst als den Muskelmann der Wall Street. Seine Aufgabe bestehe darin, privatwirtschaftliche Gewinne von amerikanischen Konzernen auf der ganzen Welt abzusichern. Matthew Hoh sagt, das habe sich bis heute nicht geändert. Nach wie vor sei das US-Militär dazu da, eine wirtschaftsimperialistische US-Politik durchzusetzen und die Interessen von bspw. Exxon-Mobile weltweit zu wahren. Vom jüngst beschlossenen “Verteidigungs”-Etat, selbst in diesen höchstverschuldeten Zeiten mit 886 Milliarden Dollar der größte jemals, wandere mehr als die Hälfte in die Taschen von Rüstungskonzernen wie Raytheon. Man sieht: US-Außenminister Blinken und Kriegsminister Austin drehen hier ein gigantisches Rad zu ihren eigenen Gunsten. Es kann ihnen egal sein, ob die Ukraine gewinnt oder verliert. Solange der Krieg läuft, fallen in den USA Gewinne an, welche die Ukrainer mit ihrem Leben – und die amerikanischen Steuerzahler mit ihrem Geld bezahlen. Deswegen sind es auch die Russen, die an einem schnellen Frieden interessiert waren – und nicht der “Wertewesten”. Deswegen haben auch nicht die Russen das Minsker Abkommen kaltlächelnd in die Tonne getreten, sondern der “Wertewesten”.

Einziges Problem: Man war von einem ukrainischen Sieg ausgegangen – und das wiederum stellt sich als falsch heraus, was zunächst – leider, leider – suboptimal für andere amerikanische Konzerne ist. Hier wären Cargill, Dupont und Monsanto zu nennen – und allen voran “BlackRock”. Aber nur auf den ersten Blick. “BlackRock” wird sich nämlich am Wiederaufbau der Ukraine eine goldene Nase verdienen. Und irgendwie wird sich das innerkorporatistisch schon regeln lassen, daß Cargill, Dupont und Monsanto wenigstens zum Teil über die Profite aus dem Wiederaufbau der Ukraine dafür entschädigt werden, daß die von ihnen über Strohmänner gekauften landwirtschaftlichen Nutzflächen in der Ukraine – die besten Ackerböden der Welt – mit Uranstaub aus gelieferten Uranmantelgeschossen und nicht explodierten Bomblets aus der gelieferten Streumunition übersät – und somit auf Jahre hinaus unbrauchbar geworden sind. Einzige Voraussetzung: Die Ukraine überlebt diesen Krieg in Form einer “souveränen Nation” nach Definition – Spott & Hohn! – ausgerechnet des “Völkerrechts” und möglichst mit einer US-hörigen Präsidentenpuppe an der Staatsspitze. Niemals entschädigt werden wird allerdings das ukrainische Volk für jenes perfide und lang geplante Menschheitsverbrechen, das der kollektive Wertewesten an ihm begangen hat. Die Hälfte der Ukrainer ist geflohen, Millionen davon übrigens ausgerechnet nach Russland. Von den etwas über 40 Millionen, die 2021 noch die Ukraine bevölkerten, sind etwa 20 Millionen übrig in einem Land, das größer ist als Frankreich. Die Verwüstungen und das Leid sind unglaublich. Es gibt die Hinterbliebenen von mindestens 300.000 gefallenen Ukrainern.

Mit der Ukraine ist aktuell aber noch lange nicht Schluß. Eine kleine Nordstream-Sprengung zwischendurch – ätschi, Europa! – und die amerikanischen Terrorisöre der Weltbevölkerung ziehen im Namen von Demokratie, Freiheit & westlichen Werten weiter nach Afrika. Matthew Hoh zu der Frage, ob sich an der amerikanischen “Außenpolitik” etwas ändern würde, wenn beispielsweise Colonel Douglas Macgregor, der ursprünglich von Donald Trump als Ersatz für Richard Grenell vorgeschlagene, vom Senat jedoch abgelehnte US-Botschafter für Deutschland, US-Verteidigungsminister werden würde und Senator Rand Paul neuer US-Präsident. Hoh: Die beiden müssten jeden Tag und den ganzen Tag mit einer schußsicheren Weste durch die Gegend laufen.

Man begreife es endlich auch in der Medien- & Massendemokratie von NATO-Deutschland: Die USA werden vom militärisch-industriellen Komplex der USA regiert, nicht von der sogenannten US-Regierung. Die fungiert lediglich als Erfüllungsgehilfe. Das ist bei der Mehrzahl der Abgeordneten im Repräsentantenhaus und bei den Senatoren nicht anders. Alles andere ist ein massenmedial konstruiertes Wolkenkuckucksheim.

Die USA in Afrika

Aber gut, Afrika: Matthew Hoh sagt, daß es im Jahre 2008, als er als Marine zum “African Command” kam, auf dem ganzen afrikanischen Kontinent ein paar Dutzend Terroranschläge im Jahr gegeben habe. In den Folgejahren seien dann alle diese westlichen Militärberater, die Drohnen und jede Menge Waffen eingeflogen worden, außenpolitische Strategien zur Sicherung von “Demokratie & Freiheit” seien importiert worden – und das Resultat heute sehe dementsprechend aus: Im Jahr 2022 gab es in Afrika, Hoh zufolge, kontinentweit über 7.000 (!) Terroranschläge.

African Command
US-Kriegsminister Lloyd Austin und General Mark A. Milley beim “African Command” in Stuttgart, 9. August 2022 – Foto: USNI-News

Reife Leistung: Von ein paar Dutzend Terroranschlägen binnen 14 Jahren auf über 7.000. Das muß man erst einmal hinbekommen im Namen von Demokratie, Freiheit & westlichen Werten. Der Gipfel der Dummheit sei aktuell mit dem Coup in Niger erreicht, so Matthew Hoh. Die Militärs, die dort geputscht haben, seien allesamt von Amerikanern ausgebildet worden. So gehe das seit Jahren. Seit der Gründung des “African Command” im Jahr 2008 habe es in Afrika elf (!) Staatsstreiche gegeben – und allesamt seien sie von Militärs durchgeführt worden, die vorher von den USA ausgebildet worden waren. Die Profite, die dabei entstanden, seien ihrem Umfang nach obszön, sagt er. Ihnen gegenüber stünden humanitäre Katastrophen, deren Ursachen nicht weniger obszön sind. – Ende Teil 1

Der zweite Teil von “Ukraine, USA & EU: Die wertewestlichen Fakten” folgt morgen, am Freitag den 4.August,  um 19 Uhr.

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