Ein Kommentar von Daniel Matissek
Nur zum besseren Verständnis: Wenn ein 35 Jahre altes Flugblatt auftaucht, dessen Inhalt die NS-Konzentrationslager thematisierte und zweifelsohne geschmacklos war, das aber weder öffentliche Verbreitung fand noch irgendetwas anderes als den persönlichen Beef eines 15-16 jährigen pubertierenden Halbstarken mit wem auch immer darstellte: Dann führt das zu einer Regierungskrise in Bayern, lässt das gesamte Juste Milieu der verlogenen Politikelite durchdrehen und soll den völlig unbescholtenen bayrischen Vize-Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger zur braunen Unperson abstempeln.
Wenn aber der bayerische Ministerpräsident und Berufsopportunist Markus Söder auf dem Höhepunkt dieser Affäre gestern im braunen Trachten-Janker auf offener Bühne auftritt, sich sich an die Spitze der Empörung über seinen Vize setzt und Hitler nachäfft, um Aiwanger bloßzustellen: Dann soll das urkomisch sein und interessiert offenbar niemanden.
Damals und heute…
Selbst wenn Aiwanger und nicht sein Bruder (trotz dessen Geständnisses) als Teenager das damalige Flugblatt zu verantworten hatte: Es handelt sich um den missglückten Scherz eines Minderjährigen vor, der vor – je nach Delikt – sieben bis zwölf seitdem abgelaufenen juristischen Verjährungsfristen passierte. Über seine seitherige berufliche, persönliche und charakterliche Entwicklung sagt dies nichts – und schon gar nichts über seine heutige politische Gesinnung.
Söder hingegen imitiert, ohne jeden historischen Instinkt, den blutrünstigsten und und verbrecherischsten Politiker der deutschen Geschichte, indem er ihn zum Bierzeltjux verharmlost, und will Aiwanger so in die Nazi-Ecke rücken.
Beide, Aiwanger und Söder, griffen also auf unterschiedliche Weise auf den Nationalsozialismus zurück, um einen politischen Gegner oder Kontrahenten plattzumachen: Das Flugblatt richtete sich gegen sozialdemokratische Mitschüler, Söders Verballhornung richtete sich gegen den Freie-Wähler-Chef.
Gnade Gott den Heuchlern
Der gravierende Unterschied: Bei Aiwanger geschah dies 1987 an einer niederbayrischen Provinzschule – damals als dummer, unreifer Pennäler. Bei Söder geschah es gestern Abend in aller Öffentlichkeit – als amtierender bayrischer Ministerpräsident.
Wenn, dann müsste Söder für diese Geschmacklosigkeit sofort zurücktreten – und nicht Aiwanger für etwas, das er anno dunnemals getan hat (oder auch nicht).
Und: Gnade Gott jedem, der sich an dieser dreckigen Kampagne beteiligt und mit dem Finger auf Aiwanger zeigt, dass eines Tages nicht in seiner eigenen Vergangenheit mit detektivischer Akribie gefahndet und gewühlt wird, um irgendein Fehlverhalten auszugraben.