Barg ein dunkles Geheimnis bis 2013: Der Berghof - Foto: Imago

Aiwanger: So war das damals und so ist es heute

Nichts reißt der tonangebenden Pseudomoralistenklasse in Deutschland besser die Maske vom Gesicht, als ihr Versuch, den Chef der Freien Wähler in Bayern, Hubert Aiwanger, vermittels eines jahrzehntealten Flugblatts aus dessen Schülerzeiten zu Fall zu bringen. Da ist noch nicht einmal mehr interessant, wie man zu Aiwanger steht. Gegen eine solche Hinterfotzigkeit muß man ihn verteidigen.

von Max Erdinger

Don Alphonso hat in der “Welt” einen hervorragenden Rückblick auf seine Zeit an einem bayerischen Gymnasium in den Achtziger Jahren geliefert. “Mit der Omerta leben” heißt er und ist in der Rubrik “Stützen der Gesellschaft” erschienen. Don Alphonso, bürgerlich Rainer Meyer, ist knapp vier Jahre älter als Hubert Aiwanger – und meinereiner ist gute sechs Jahre älter als Don Alphonoso. Wir waren alle drei auf bayerischen Gymnasien und ich kann bestätigen, daß es dort Mitte der Siebziger Jahre nicht anders zugegangen ist als fünf bis zehn Jahre später bei Don Alphonso und Hubert Aiwanger. Bei den beiden war es vermutlich sogar noch um ein paar Zacken schlimmer geworden als zu meiner Zeit. Don Alphonso: “Der Feind stand vorne” – an der Tafel. Von ein paar Ausnahmen abgesehen, war das grundsätzlich so. Stand ein strammer CSU-ler vorn an der Tafel, dann waren RAF-Jargon und Che Guevara Pflicht. Stand ein SPD-ler vorn, war Nazi Pflicht. Das einzige, was man als Teenage-Revoluzzer damals ernst gemeint hatte, war “dagegen sein”. Gegen die Attitüden der Lehrer, gegen die unausgesprochene Forderung, unterwürfig ihre Attitüden zu schlucken. Das war nichts Inhaltliches, sondern etwas Persönliches. Ob das realistisch gewesen oder nicht, spielt im Rückblick keine Rolle mehr. Schule war ein täglicher Machtkampf. Selbstbehauptung gegen Unterordnung. Wer einigermaßen hell in der Birne gewesen ist, wusste, daß es nicht um die “Förderung seiner Talente” ging, sondern um die Aussiebung der Selberdenker. “Dagegen” zu sein war eine Charakterfrage. Mit einer bestimmten politischen Überzeugung hatte das wenig bis nichts zu tun. Die Frage war: Worüber regen sich die Alten auf, die uns aufregen – und womit bringen wir sie also am besten auf die Palme? Natürlich kann man das rückblickend als infantil bezeichnen. Für uns als Teenager war das damals aber von existentieller Wichtigkeit. Niemals werden wie “die da vorne an der Tafel”! Niemals Beamter werden! Niemals sich vom Staat bezahlen und in die Pflicht nehmen lassen! Das war alles total unsexy.

Und das war schon zu Zeiten so – heute absolut unvorstellbar! – als es an “meinem Gymnasium” nicht nur eine Raucherecke auf dem Schulhof gab, sondern auch noch einen Raucherraum im Schulgebäude selbst. Wegen der Toleranz im damaligen CSU-Bayern. Als die linken Klugscheißer und Gesundheitsapostel noch nicht die Oberhand gewonnen hatten.

Bild Aiwanger
“Bild”-Titelseite – Screenshot Facebook

Meine Güte! Jetzt soll der Aiwanger auch noch “Mein Kampf” in seiner Schultasche durch die Gegend geschleppt haben? – Ja, was denn sonst? “Das Kapital” vielleicht? Oder die “Mao-Bibel”? Bei wem wäre er denn damit zu seiner Zeit noch angeeckt? Bei niemandem! Ums Anecken ging es aber. Das Drama ist doch nicht, daß der Aiwanger vielleicht “Mein Kampf” in seiner Schultasche hatte oder daß er vielleicht ein häßliches und selten dämliches Flugblatt transportiert hat. Das Drama ist, daß es genau die Kompromissler, die Angepassten, die Opportunisten und Schleimer sind, die das gymnasiale Sieb in Bayern passiert haben und hernach Karriere machten, die ihm nun 35 Jahre später einen Strick aus seiner Anti-Haltung als 16- oder 17 Jähriger drehen wollen.  Hier geht es nicht um Weltanschauung sondern um Charakter.  Aiwangers Ankläger hatten damals keinen und sie haben heute keinen.

Bayern 1972

Seit der Landtagswahl 1970, als die CSU mit über 56 Prozent der Stimmen zum ersten Mal eine absolute Mehrheit erreicht hatte, war Bayerns Kultusministerium in CSU-Händen. In Bonn aber regierte seit 1969 die erste sozialliberale Koalition. Nach einem Mißtrauensvotum der Union gegen Willy Brandt im April 1972 , das deswegen scheiterte, weil sich sowohl auf Seiten der Union als auch auf Seiten der SPD je ein Abgeordneter sein Votum für Kanzler Willy Brandt von der Stasi der DDR hatte abkaufen lassen (Steiner-Wienand-Affäre), kam es im Herbst 1972 zu einer vorgezogenen Bundestagswahl, nachdem Brandt von sich aus die Vertrauensfrage gestellt hatte. Bundespräsident Heinemann hatte den Bundestag im September 1972 aufgelöst. Die Wahl wurde zum größten SPD-Erfolg aller Zeiten. Die Wahlbeteiligung lag bei satten 91 Prozent.

Meinereiner trug als Zwölfjähriger stolz seinen “Willy wählen!”-Button aus Blech an der Jacke, den er von den “Langhaarigen” aus der Oberstufe erbeten hatte. So lief ich im Jahre 1972 jeden Morgen an unserem CSU-affinen Gymnasium ein. Warum? Weil mir gefiel, daß es den meisten Lehrern nicht gefiel. Ausgerechnet ein Deutschlehrer aus München war es dann, ein SPD-Mitglied und linker Kleinfunktionär, wie ich später erfuhr, den man in den Pausen bei den “Langhaarigen” aus der Oberstufe beobachten konnte, wie er sich kumpelhaft mit ihnen unterhielt, der sich mich, den Siebtklässler, ausgesucht hatte, um an mir sein progressives Mütchen zu kühlen, wohl, weil er angenommen hatte, ich stamme aus einem erzkonservativen Haushalt. Ich kam jeden Tag vom Dorf aus mit dem Schulbus ins Gymnasium der damaligen Kreisstadt. Eines Tages bekam ich von ihm als “Strafarbeit” einen Besinnungsaufsatz aufgebrummt, den ich zu einer persönlichen Abrechnung mt ihm nutzte. Seine Empörung war beispiellos. Der Aufsatz ging bis ins Direktorat. Ich hatte die unsouveräne linke Arschkrampe anscheinend mitten ins Herz getroffen. Das alles, ohne zu wissen, daß er einer von der “Willy wählen!”-Fraktion gewesen ist. Er war halt Lehrer und somit ein “Mächtiger”. Den Besinungsaufsatz musste ich dann nochmal schreiben – und zwar im Vorzimmer des Direktors (OStD) an einem Nachmittag. Der Direktor las ihn sich durch als ich damit fertig war. Im Wesentlichen hatte ich dasselbe geschrieben wie schon im ersten Aufsatz. Als nächstes ging es dann um die Demissions-Androhung. Gegen einen Zwölfjährigen! Offensichtlich waren sich der CSU-affine Direktor und der SPD-Deutschlehrer in einem Punkt einig: Widerspruch konnte keinesfalls geduldet werden, und wenn es der Widerspruch eines Zwölfjährigen ist. Dann schaltete sich mein Vater ein, der durchaus ein berücksichtigenswertes Wörtchen mitzureden hatte – und die Sache verlief im Sand. Fortan ließ mich auch der Deutschlehrer in Ruhe.

Bayern 1974

Der Marsch durch die Institutionen war insofern erfolgreich gewesen, als daß immer mehr linke Lehrer von der Uni auf die Schulen kamen. Die gingen mir so richtig auf den Sack. Cicero (Tzitzero) hieß auf einmal Kickero. Und Cäsar hieß nicht länger mehr Tzäsar, sondern Ka-esar. Weil die Römer angeblich so gesprochen haben. Die progessive Lateinsocke mußte Tonbänder auf dem Forum Romanum ausgegraben haben. Es sprach aber niemand mehr Latein in meiner Umgebung. Mir reichte, daß ich es schriftlich hatte. Ich wollte nicht Kickero sagen. Und Ka-esar auch nicht. Schon war der Krieg ausgebrochen. Und die linke Lateinsocke war so wild entschlossen, sich gegen mich durchzusetzen, wie ich umgekehrt entschlossen war, mir von ihm kein “K” für ein “C” vormachen zu lassen. Ich war damals Schlagzeuger in einer Schülerband. House Of The Rising Sun, Brown Sugar – solche Sachen. Eines Tages kam Michi mit einem NSDAP-Aufkleber auf seiner E-Gitarre daher. Sehr cool. Den hatte er selbst angefertigt. Einen Tag später hatte Charlie einen auf seinem Bass und ich einen auf der Bassdrum. Ich brachte meine Nachmittage damit zu, NSDAP-Parteiabzeichen herzustellen. Bald hatte ich einen auf meinem Federmäppchen, dann welche auf Schulheften und so weiter. Obwohl ich als Zwölfjähriger bereits das Tagebuch der Anne Frank gelesen hatte und wusste, was die Nazis für verkommene Subjekte gewesen sind. Eine Mao-Bibel hatte ich übrigens ebenfalls. Weiß der Geier, wo der Michi die damals hergehabt hatte. Daß mein progressiver Lateinlehrer ein charakterlich verkommenes Subjekt war, wusste ich allerdings auch sehr schnell. Mehr instinktiv. Einer von der Sorte muß es wohl auch gewesen sein, der Aiwanger nun gegen jeden Anstand 35 Jahre später “verpfiffen” hat.

Bayern heute

Einen Autoritätsgläubigen, einen dieser widerlichen Nachplapperer & Meinungsinhaber kann meinereiner heute noch auf 100 Meter gegen den Wind riechen. Und er täuscht sich selten. Man muß in Bayern kein Nazi sein, um zu wissen, wen man via “Nazi” auf die Palme bringen kann. Das sind alle, die sich im Besitz einer “besseren Moral” wähnen, ökosozialistische “Moralnazis”, sozusagen,  – und dennoch die Ukronazis bei ihrem Massenmord unterstützen. Wegen “souveräne Nation” und dem ganzen geschichts- und faktenbefreiten Bullshit, den sie sich in ihrem opportunistischen Konformitätswahn zum vermeintlich eigenen Vorteil haben einbimsen lassen. Was für widerliche Kretins.

Wenn es mir nicht um den armen Hund gewesen wäre, hätte ich heute einen, der auf den Namen Hitler hört. Weil es wahrscheinlich nichts Amüsanteres gibt, als in Deutschland mit einem Hund unter Leuten spazieren zu gehen, dem man zuruft: Wo ist mein Hitler? Komm, mein Hitler! Hol das Stöckchen, Hitler! Hitler sitz! Hitler mach Platz! Oder beim Tierarzt: Mein süßer Hitler müsste mal wieder entwurmt werden.

Von dem Aiwanger halte ich nicht viel. Er wurde von einem fiesen System angegriffen, an dem er sich selbst beteiligt hatte. Man koaliert nicht mit der Söder-CSU des Jahres 2023. Das hätte ich Aiwanger vorher sagen können, wenn er es hätte wissen wollen. Leben und leben lassen – längst vorbei.

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