Erfrieren für den Frieden? (Bild: shutterstock.com/Stephm2506)
Erfrieren oder Verarmen fürs Klima - oder beides?(Bild: shutterstock.com/Stephm2506)

Droht Europa erneut eine Energiekrise?

Vor einem Militärstützpunkt am Rande der nigerischen Hauptstadt Niamey, in dem französische Soldaten untergebracht sind, versammelten sich Anfang September erneut zahlreiche Unterstützer der Putschisten, die für einen Abzug der französischen Truppen aus dem westafrikanischen Land protestierten. Auch der französische Botschafter in Niger wurde aufgefordert, das Land zu verlassen. Laut Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron wurde der französische Botschafter wie eine „Geisel“ zu behandeln. Die Lieferung von Lebensmitteln werde verhindert. Er könne nicht hinausgehen und ernähre sich von Militärrationen.

Nicht nur der französische Botschafter, sondern auch Frankreich ist nun in einer schwierigen Situation. Niger war zuletzt ein wichtiger Partner für Frankreich in seinem Anti-Terror-Kampf in der Sahelzone. Nach Staatsstreichen in Mali und Burkina Faso liegt in dem Land sein letzter Militärstützpunkt in der Zone. Mit dem Putsch in Niger verliert Frankreich einen weiteren Verbündeten. Die Militärjunta in Niger kündigte eine Reihe von Militärabkommen mit Frankreich auf, forderte den Abzug der im Land stationierten französischen Soldaten und sperrte den Luftraum speziell für französische Flugzeuge. In zunehmender antifranzösischen Stimmung in Niger kündigte Macron am letzten Sonntag an, alle Soldaten und den Botschafter aus Niger abzuziehen.

Das gewaltigere Risiko liegt jedoch in nigerischen Uranlieferungen für französische Atomkraftwerke. Frankreich betreibt die meisten Atomkraftwerke in Europa und produziert rund 70 Prozent seines Stroms aus Atomenergie. Für seine 56 Atomkraftwerke bezieht Frankreich rund 20 Prozent seines Uran-Bedarfs aus Niger. Nach dem Staatsstreich kündigten die Militärjunta in Niger an, die Uranexporte nach Frankreich einzufrieren. Obwohl der vom französischen Staat kontrollierte Orano-Konzern selbst bekanntgab, dass die derzeitige Krise keine kurzfristigen Risiken für die Versorgungskapazitäten von Orano sowohl in Frankreich als auch international birgt, läßt sich die offensichtliche Preiserhöhung des Urans nicht bestreiten. Mitte September erreichten die Kosten für Urankonzentrat aufgrund des Putsches in Niger schon ein Rekordniveau von 65 US-Dollar pro britisches Pfund (0,45 kg). Dem Handelsblatt zufolge wird das Angebot knapp sein und die Nachfrage weiter steigen. Das heißt, in Frankreich könnte der Strompreis demnächst kräftig ansteigen.

Das ganze Europa ist nicht unbeeinflusst. Die erhöhten Kosten für Frankreichs Kernkraftwerke treffen neben französischen Familien vor allem deutsche Kunden. Seit der Abschaltung der letzten drei Kernkraftwerke Mitte April in Deutschland ist die Abhängigkeit von Stromimporten aus Frankreich sprunghaft angestiegen. Andererseits ist Niger mit einem Anteil von 24 Prozent an den Gesamtlieferungen eines der wichtigsten Uranlieferanten Europas. In einer Zeit, da man den Uran-Bezug aus dem Einflussbereich Russlands minimieren will, spielen die Uranimporte aus Niger eine wichtigere Rolle bei europäischer Diversifizierungsstrategie. Sollte die Uranlieferungen aus Niger wegen des Putsches gefährdet sein, hätte Europas Energieversorgung erneut ein Problem. Außerdem galt der demokratische Niger lange als wichtiger Partner Europas in Westafrika zur Terrorbekämpfung und war als Transitland für die Eindämmung von Flucht- und Migrationsbewegungen in Richtung Europa von enormer Bedeutung.

Im Vergleich sind die USA in einer eher unbelasteten Situation. Bislang erkennen die USA den Staatsstreich noch nicht an. Als Victoria Nuland, Staatssekretärin im US-Außenministerium und die Nummer drei der US-Außenpolitik, am 7. August in Niamey den Stabschef der Nigers Armee traf, vermied auch sie das Wort vom Staatsstreich. Während Frankreich den Putsch in Niger aufs schärfste verurteilte und der Militärjunta mit einem möglichen militärischen Eingreifen drohte, versprach die Biden-Regierung, Militär-Intervention in Niger durch ECOWAS-Truppen zu verhindern, die von Frankreich vorangetrieben werden. Zudem machen die USA ihre Top-Diplomatin Kathleen FitzGibbon zur neuen Botschafterin in Niamey, was die nigrische Militärjunta als ersten Schritt zu ihrer zumindest informellen Anerkennung werten kann.

Eigentlich ist es nicht das erste Mal, dass Frankreich von seinem US-Verbündeten verraten wird. Im Jahr 2021 unterzeichneten die USA, Großbritannien und Australien ein neues Verteidigungsabkommen, das den Australiern ermöglicht, atombetriebene U-Boote aus den USA zu ordern und den 2016 unterzeichneten 65-Milliarden-Dollar-Vertrag mit Frankreich über Bord zu werfen. Und das erfuhr Paris aus den Veröffentlichungen amerikanischer Zeitungen und stößt selbstverständlich auf zornige Enttäuschung in Frankreich. Der damalige französische Außenminister Jean-Yves Le Drian sprach von einem „Dolchstoß in den Rücken“. Auch damalige Verteidigungsministerin Florence Parly zeigte sich äußerst verärgert über eine „unsolidarische Art und Weise“, Alliierte einfach so auszubooten.

Das ist auch nicht das erste Mal, dass Europa wegen der Energieprobleme in Schach gehalten wird. Der Krieg in der Ukraine ist ein nachdenkliches Beispiel. Ölembargo gegenüber Russland ließ die Öl-Preise viel schneller steigen. Ein Lieferstopp für Erdgas aus Russland besonders nach der Nord-Stream-Sabotage führte zu einem drastischen Anstieg der Gaspreise. Mit steigenden Energie- und anderen Preisen sind die Auswirkungen in Europa erheblich. Die Inflation im Euroraum war im Oktober 2022 laut Eurostat auf 10,7 Prozent gestiegen. Und vielen ist es bekannt, dass hohe Inflation die wirtschaftliche Erholung Europas gefährdet. Auch die deutsche Wirtschaft ist stark betroffen. Laut einer Studie des Industrieverbandes BDI drosselte oder sogar unterbrach fast 10 Prozent der deutschen Firmen die Produktion und fast 30 Prozent der Firmen ist bereits, Unternehmensanteile oder Teile der Produktion sowie Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern. Die Folgen? Europa und Deutschland stürzen sich in die Abhängigkeit von schmutzigem teuren LNG aus den USA. Und die USA gelten wieder als attraktivste Wirtschaftsregion.

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