Ein Politiker beim Denken (Symbolfoto:Von Lolostock/Shutterstock)

Deutschlands Intellektuelle im Delirium: Bitte gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen

Wenn der Hörsturz ist so nah’: Eine Freundin brüllt mir dieser Tage ihren Pazifismus dermaßen kreischig und ohne ausgesteuerte Höhen durchs Telefon, dass es pfeift. „Netanjahu ist ein Faschist! Also, das muss man jetzt auch mal sagen dürfen – und was die Israelis mit den Palästinensern machen, das ist doch noch viel schlimmer und da sagt keiner was!“ Ende Gelände, Leitung tot, Freundschaft schwer beschädigt.

Von Hans S. Mundi

„Also, du bist ja kräftig für Israel, ich eigentlich auch, aber was die Juden da in Gaza machen, das ist doch keinen Deut besser“ – so und ähnlich höre ich es dieser Tage scheinbar überall. Nur noch ganz wenige in meinem Umfeld denken wie ich, sind geschockt, fühlen sich elend, haben große Probleme die Nachrichten, die Erzählungen und die Bilder vom Überfall auf Israel zu verarbeiten, wegzustecken, einzusortieren. Es geht nicht. Wer mit Woodstock im Geiste und mit dem Spirit der ganzen friedlichen Popkultur vergangener Jahrzehnte aufwuchs und lebte, der dürfte an jenem 7. Oktoberscheisstag besonders hart getroffen worden sein, als es auch um ein Massaker an Musikfans ging. 260 tote Festivalbesucher des absolut friedlichen Supernova-Festivals sind für sich genommen schon so wahnsinnig schrecklich, unfassbar und ein Anschlag auf unsere westliche Zivilisation – aber dann kommt daneben dann die denkbar größte Steigerung von Appeasement, die groteske Gleichsetzung der Täter mit den Opfern: Die Juden sind doch genauso schlimm, die machen das auch und noch viel mehr, die haben doch selber schuld, denn das ist doch gar kein Vergleich zu dem, was die da den Palästinensern antun.

Ich habe mir den makabren Scherz erlaubt und bei Google mal einige dieser Behauptungen in Wortmarkierungen gefasst. Geben Sie mal Begriffe ein wie folgend: „Israelis zertrümmern palästinensischen Frauen bei Vergewaltigung das Becken“, „Juden nageln palästinensische Babys an Türen und köpfen sie“, „Israelis überfallen Kulturfestival der Palästinenser und töten mehr als 200 Besucher“ oder auch „Israel beginnt Massaker an Palästinensern und verschleppt hunderte Geiseln“. Nichts. Google schweigt.

Aber all die falschen Freunde der Israelis, die schweigen nicht. Wer jetzt immer noch betroffen wegen des Angriffs auf die einfache Bevölkerung in Israel am 7. Oktober ist, der sollte schnellstens seine Uhr vorstellen, denn dieser Tag existiert nicht mehr im Bewusstsein der meisten Mit-Menschen. Außerdem hat mal wieder Nichts mit Nichts zu tun. Das erklären uns auch die hiesigen Zentralverbände des Islam durch eisiges Schweigen. Dabei gilt: Es kracht und scheppert beim dritten Pro-oder-Kontra-Gesinnungskrieg der letzten Jahre. Wir erleben eine beispiellose Zerfleischung und Zerstörung menschlicher Beziehungen unter Freunden, mit Bekannten, in Gruppen, Vereinen, Familien und selbst innerhalb von Parteien und deren Gliederungen. Die Dominanz von Mikromeinungen nimmt zu, das Allgemeinwohl ist durch Partial-Ansichten wie in die Luft gesprengt, das kleinste Karo ist brüllend an der Macht und nun wird auseinanderdividiert, was eigentlich mal zusammen gehörte.

Willst du nicht mehr meiner Meinung sein, dann schlag ich dir den Schädel ein. Corona, Putin, Israel – ein höllischer Dreier plus Klima. Völlig neue Soziotypen entstehen nun schon seit Jahren, etliche mit Sprengstoffgürteln bekleidet oder in permanenter Bereitschaft zum Angriffskrieg auf unliebsame Meinungen und mutmassliche „Intoleranz“. Denunzianz ist das neue Lebensgefühl. Die Leichtigkeit des Schweins. Des Charakterschweins. Es ist so lächerlich, wie es klingt, aber es ist unsere vollkommen bescheuerte, geistlose Schwachsinnsidentität anno 2023. Es erscheinen uns seit geraumer Zeit bis heute „neue Menschen“, wie etwa Merkelianer, Corona-Leugner, Impfgegner, Schwurbler, Verschwörungstheoretiker, Putinisten, Russenpussies, Homophobe, Klimaleugner im Klimasommer beim Klimaregen, Autofetischisten, Israelversteher, Islamophobe und hinter jedem Gebüsch Nazis, Rassisten, alte weisse Männer und Oma, die Klimasau.

Die endlose Palette geschlechtlicher Identitäten und Hautfarbendiversitäten sei auch noch erwähnt. Im Rahmen dieser bizarren und wenig entspannten Begrifflichkeiten wird erkennbar, dass nun jede Facette von Meinung etikettiert, bewertet und eben auch abgewertet wird – Höhepunkt: Die Forderung nach Verbot einer unpassenden Meinung. Da kommt das Problem im Nahen Osten jetzt wie eine Wagenladung Sprengstoff daher und wird mitten in all diesem Orientierungs-Chaos gezündet. Richtig. Jetzt fliegt uns der ganze Laden um die Ohren. Denn der Feind steht plötzlich neben dir, sitzt am Küchentisch oder ist dir zahlenmässig in deiner WhatsApp-Interessengruppe überlegen. Ich verlasse die Gruppe. Das kann man auf Social Media jetzt häufig lesen. Weil Du dich mit Israel solidarisierst, weil du die Heuchelei der gesammelten Linksdenkenden und Neo-Neo-Nazis zum kotzen findest. Man will nicht mehr mit dir. Du willst auch gerne auf die anderen verzichten. Man wollte nie ein Menschenfeind sein und würde sich derzeit am liebsten eine andere Menschheit, eine einsame Insel oder einen weit entfernten Planeten im All als Lebensmittelpunkt auswählen.

Das heillos zerstrittene, auch durch Migration immer weiter auseinander driftende Rest-Deutschland hat seit Merkels unheiligem Krieg gegen das eigene Volk Spaltungen ohne Ende durchlebt. Die AfD ist das sichtbare Erbe dieser spalterischen, unsolidarischen Ära Merkel, die mit ihrem diktatorischen Motto mit maximaler Undemokratie, von der grundgesetzwidrigen „Alternativlosigkeit“ schwadronierend, Gründungsmitglied der blauen Zuwachspartei wurde. AfD? Wird ausgegrenzt, 20 Prozent der Bevölkerung gehören daher nicht mehr dazu. Und nun streiten selbst innerhalb der AfD etliche über Pro und Kontra – wieviel Israel-Courage wollen sie dort in ihren Reihen? Auch die Grünen sind sich nicht mehr ganz sicher, denn an ihrer Spitze steht mit dem Muslim Nouripour immerhin ein Schattenkrieger, der auch schon mal zum Boykott israelischer Waren aufrief. Auch bei Fridays for Future ist der Judenhass offen ausgebrochen und spaltet sich nun in die hiesige Klimaschutzbewegung hinein. Tempo 30 auch für Israels Panzer?

Und selbst hier, in unserem Autoren-Revier, ergreifen geschätzte Kollegen das Wort und kommen als zeigefingernde Oberlehrer im neuen Gewand um die Ecke – wie zuletzt in einer Art Statistikbericht zum Thema „Dürfen sich auch Juden wehren und wenn Ja, wieviel? – und stellen dann Tabellen und Zahlenkolonnen neben abgehackten Köpfen und verkohlten Leichen wehrloser Juden. Wer den strengen Rationalisten gibt, der hat grosse Mühe seine Antipathien gegen den Judenstaat im Zaum zu halten. Überhaupt, da leben ja nur 20 Prozent Juden, meint der komische Kollege.

Deutsche Spaltungsfetischisten finden immer noch etwas zum Teilen, bis in die Atomkerne in den Waffen hinein. Bilden Sie bitte einen Satz mit „Israel“ und „Völkermord“, frei nach dem Jouwatch-Autor, dem alternativen Faktenchecker, mit seiner Logik der Verkappten: Die Hamas kann nicht völkermorden, weil sie ja kein Staat ist; Israel kann das, weil es ein Staat ist. Punkt. Wenn sich Terroristen in Häusern der Zivilbevölkerung verschanzen, neben Krankenhäusern ihre Abschussrampen für Bomben aufstellen und von Schulhöfen aus mörderische Drohnen aufsteigen lassen, dann ist das was? Richtig. Befreiungskampf. Wenn Israel sich gegen die Ermordung von 1400 Zivilisten wehrt und diese Stellungen mit den menschlichen Schutzschilden notgedrungen angreift, was ist das? Völkermord, frei nach kollegialen Erzählungen.

Auf jeden toten Juden kamen/kommen, unter Einbeziehung des statistisch hoch interessanten NS-Megamassakers unter dem Islam-Freund Adolf Hitler, mindestens zehn Statistiken. Irre wird es aber dann, wenn neben solchen Geisterritten durchs Zahlennichts noch die Aufforderung erschallt, die Juden, die eigentlich keine sind, weil sie eigentlich nur 20-Prozent-Israelis sind, mögen doch bitte ihre Waffen in den Wüstensand stecken und den denkbar größten „Judenfreund“ aller Zeiten, seine Hoheit von Osmanien, Sultan Erdogan, dem Besieger und Bekrieger aller Kurden, Jesiden, Aleviten und Armenier, dem heimlichen Unterstützer der IS-Satanisten (ein wahrer Anti-Christ und Anti-Jude!), die Moderation mit den Palästinensern überlassen und sich dann in die Verhandlungsergebnisse einfügen, mitsamt der Unterstützung durch den linksradikalen Altsozialisten Guterres. Der UN-Generalsekretär hatte bei drohendem Zeigefinger auch gleich seine Statistik dabei und rechnete vor, dass die friedliebende Freiheitsbewegung der Hamas nur die Abrechnung für 56 (!) Jahre Besetzung muslimischer Siedlungsgebiete präsentiert habe, inklusive Nebenkosten und Jihad-Umlage. Israel möge bitte die Quittung unterschreiben und in Quadratkilometer Siedlungsgebiet umrechnen. Es sind finstere realsatirische Zeiten. Das Drehbuch hierfür kommt aus der Hölle. Und wenn man einen eigentlich hoch geschätzten Kollegen so erlebt, dann bleibt entweder die Spucke weg oder der zynische Durchmarsch in den Brachialsarkasmus geht los. Ich stoppe hier.

Der deutsch-jüdische Schriftsteller Ralph Giordano erhielt eines Tages zu Lebzeiten in Köln mal wieder Post von hiesigen Judenhassern. Darin war sein Körpergewicht und sein Alter neben Größe und Geschlecht genau angegeben. Im Brief stand: „Herr Giordano, Sie alte Judensau! Wir haben soeben ein Hausschwein mit genau ihrem Gewicht aufgehängt, angestochen und ausbluten lassen… ihre genaue Lebenszeit nach Anstich beträgt demnach…!“ Israelfeinde und Judenfeinde sind regelrecht statistikbesessen. Rationalsadismus muss wohl noch intensiver berauschen als einfach nur Blut.

Der achtbare Kommunist Hermann L. Gremliza, Herausgeber des „Konkret“-Monatsmagazins, gehörte zu den wenigen wahren Freunden Israels, weil er und Menschen wie er, das unglaubliche Verbrechen des National-Sozialismus an der deutschen Bevölkerung jüdischen Glaubens verstanden hatte. Sein Ausspruch hallt nun nach wie Donnerhall: „Die Deutschen werden den Juden den Holocaust niemals verzeihen.“

Er hatte Taten und Täter begriffen. Er hatte deren Moral, deren Verstand und ihre Handlungshintergründe für sich klar analysiert – was eben intelligenzmässig weit höher angesiedelt ist als das Erbsenzählen von Buchhaltern des Grauens, die ihre absurde Analysiererei aus politischen Krämerseelen über Tatsachen, Ursachen und Opfer stülpen. Gremliza wußte, dass auch die Nachkriegsdeutschen alles tun würden, um mit ihrer simulierten und selbstbesoffenen „Anteilnahme“ an den Opfern von Folter, Mord und Menschenversuchen in den KZ-Sadistenzentren der NS-Barbaren, ihre kalte Hilflosigkeit und ihre dämonische Eitelkeit zu übertünchen. Die Juden blieben immer fern. Distanzopfer. Distanzkümmern. Denn eben paternalistisch fühlen sich deutsche „Gutmenschen“, vor allem die aus höherem Hause, einfach gut. Guter als gut. Denn wir sind die Guttesten und erklären der Welt jetzt mal wie Moral geht. Wir tragen Haltungsbinden in Katar. Und wir retten das Klima. Gendertoiletten für Gaza, Lastenfahrräder für das Westjordanland. Wir beschützen die Juden. In Deutschland. Die Juden in Israel mögen sich bitte an unsere deutschen Anweisungen halten. Denn wir wissen wie Holocaust geht. Also, liebe Juden, so geht das nun aber gar nicht. Die Deutschen haben die Juden in ihren Köpfen für immer entmündigt – und merken es nicht einmal.

Irgendwie kamen bei all dem „Wir stehen für immer an der Seite Israels“ nur Moralkeulen heraus. Das deutsche Dauerbekenntnis des „Nie wieder“ ist eine zwangskollektive Halluzination, so etwas muss jeder einzelne wollen, fühlen, leben, sonst ist das nur wie eine Verpackung, eine Hülle ohne Inhalt. Das wahre Bekenntnis gilt nur für wenige. Sehr wenige. Das bekommen die Deutschen allgemein nicht hin, das mit der echten Empathie. Wenn mehr als 80 Jahre nach den NS-Greueltaten, welche nicht nur Juden betrafen, eine noch recht junge Bundesaussenministerin Annalena Barbock sowohl „Wir sind Israel“ spricht und dann der Hamas im gleichen Atemzug 50 Millionen Euro schenkt, dann stimmt hier etwas nicht. Eine junge Generation Deutscher so herzlos und seelisch krank wie die Mächtigen und ihre willigen Mitstreiter zwischen 1933 und 1945?

Wir sind schizophren und nähern uns dank der verworrenen deutschen Mentalverfassung dem akuten Delirium. Wir spinnen nur noch. Die „Neue Zürcher Zeitung“ schreibt soeben, auf den Spuren des Hermann L. Gremliza: „Nun zeichnet sich ab, was schon am Tag nach dem Massaker zu erwarten war: Die Juden müssen dafür büssen, dass sie zu Opfern wurden.“https://www.nzz.ch/feuilleton/massaker-der-hamas-man-koennte-glauben-den-7-oktober-habe-es-nicht-gegeben-ld.1762070

Hitler und seine Mitsreiter hatten dafür doch längst die Parole ausgegeben, die Deutschen haben sich eben überhaupt nicht geändert und sie sind offenkundig lernresistent: „Der Jude ist an allem schuld!“ Und resignativ fügt das Blatt noch an, in trüber Aussicht auf nun kommendes: „Wenn in diesen Tagen Intellektuelle oder Künstler über Israel schreiben, könnte man fast glauben, den 7. Oktober habe es nie gegeben.“ https://www.nzz.ch/feuilleton/massaker-der-hamas-man-koennte-glauben-den-7-oktober-habe-es-nicht-gegeben-ld.1762070

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