"Kleine Störungsmeldung" - Foto: Fake/Collage

Die Nachrichten: Neues aus Absurdistan

Lüge, Lüge, Lüge – und eine bekloppter als die nächste. 24 Stunden im deutschen Nachrichtendschungel. Die Urwaldreportage.

von Max Erdinger

+++ 17 Uhr am 20.02.2024: Die ARD-Tagesschau. In Kiew laufen Gedenkveranstaltungen. Es geht um den “Euro-Maidan” vor zehn Jahren, den Hauptauslöser für den überflüssigerweise noch immer andauernden Ukrainekrieg. Zu diesem Ereignis gibt es die sehr sehenswerte Doku “Ukraine On Fire” von Oliver Stone aus dem Jahr 2016. Der dreifache Oscarpreisträger zeichnet in seiner Doku fast minutiös die Ereignisse von damals nach, komplettiert durch viele Zeugenaussagen. Die Redaktion der 17 Uhr-Tagesschau von heute muß davon ausgegangen sein, daß niemand wissen kann, wie das damals tatsächlich gelaufen ist, und daß sie deshalb völlig frei irgendwelche Märchen von der Sehnsucht der lieben Ukrainer nach der tollen EU, der Freiheit, der Demokratie und den westlichen Werten erfinden dürfe. Oder, wie man das heute nennt: Daß sie ein total realitätsfremdes “Narrativ” in die Hirne der Schafsherde einpflanzen darf. Kein Wort über Victoria Nuland, kein Wort über die spendable Konrad-Adenauer-Stiftung, kein Wort von den “Demonstrationsgeldern”, die damals ausgezahlt wurden – und die 100 Toten, die im Auftrag der Rädelsführer des Putsches gegen Janukowitsch vor die Läufe von Scharfschützen gelockt wurden, die damals, etwas entfernt vom Hauptgeschehen, auf den Dächern einiger Häuser postiert worden waren, sind, wenn es nach der ARD-Tagesschau geht, im Auftrag der Regierung erschossen worden. Es waren genau die 100, die als Zahl von der US-Botschaft in Kiew als Vorbedingung dafür genannt worden waren, daß Söldner von “Academi” (vormals “Blackwater”) auf Seiten der Putschisten ins Geschehen eingreifen. In Kiew werden sie heute als das “Himmlische Hundert” verehrt, ganz so, als habe es sich um arglose Bürger gehandelt, die nichts weiter getan hatten, als ihre demokratischen Rechte auf Protest wahrzunehmen. Tatsächlich waren sie von denen, die dort am heutigen Tag Krokodilstränen vergießen, gezielt geopfert worden, um bewaffnete Unterstützung durch “Academi” zu erhalten. Kein Wort in der ARD-Tagesschau, daß sich die ethnischen Russen in der Ukraine keinen EU- & Nato-hörigen Präsidenten aufs Auge drücken lassen wollten, nachdem der auf Interessensausgleich bedachte Präsident, den sie mitgewählt hatten, für die geostrategischen Interessen der Nato, der USA und der EU mit einem Putsch nach Art der berüchtigten Farbrevolutionen aus dem Amt verjagt worden war. ARD-Tagesschau am 20.02.2024: Die bislang dreisteste aller Geschichtsklitterungen. Volksverblödung im Quadrat. Oliver Stone hat übrigens drei Jahre später mit “Reveiling Ukraine” noch einmal nachgelegt. +++

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“Ukriane On Fire”: Stone-Doku aus dem Jahr 2016 – Screenshot Gigazine

+++ Unsicherheitskonferenz in München. Die hochkompetente US-Vizepräsidentin Kamala Harris ist anwesend und sorgt für Unterrichtung. Demzufolge sieht es bei den Russen so aus: Horrende Verluste, 350.000 Gefallene, kaum noch Soldaten, Knackis werden zwangsrekrutiert, Munition ist fast alle, die Wirtschaft kollabiert wegen der total effektiven Sanktionen, es gibt kaum noch etwas zu essen – und Putin kann froh sein, daß der heilige Wolodymyr nicht zu Fuß in den Kreml marschiert, um den bösen Diktator mit einem Kinnhaken außer Gefecht zu setzen. Da staunt der Westmedien-Konsument deutscher Provenienz. Hieß es denn nicht in der Woche zuvor noch, daß der total fiese Putin sich zuerst die komplette Ukraine greifen will, um als nächstes Polen anzugreifen, weil er die offene Konfrontation mit der Nato sucht, weswegen auch die liebe Ukraine weiterhin totalunterstützt werden müsse, um die Gefahr durch westwärts marschierende, schwerbewaffnete Horden barbarischer Unzivilisierter für Europa abzuwenden? Wie soll er das denn machen, der total fiese Putin, wenn sich ein ganzes russisches Knacki-Bataillon bereits ein Knoppers zum Frühstück teilen muß, ehe sie auswürfelt, wer das Gewehr mit der einen, übriggebliebenen Kugel im Lauf nach Westen tragen darf, um die Nato das Fürchten zu lehren? Es geht nur eines von beidem: Entweder man muß die Russen fürchten – oder sie sind völlig am Ende. Beides zugleich geht nicht. +++

Kamala Harris (Bild: shutterstock.com)
Kamala Harris (Bild: shutterstock.com)

+++ Die Israelis verteidigen nur das Existenzrecht ihres schönen Landes Israel. So muß man das sagen, wenn man ein braver und artiger “Gerade-wir-als-Deutscher” ist. Und wehe, man sagt es anders. Dann wäre man womöglich auf die hundsgemeine Pali-Propaganda hereingefallen. Nein, das darf man nicht. Man muß schön glauben, was die netten Herrn aus der israelischen Regierung an Hochinformativem zum Besten geben. Israelis lügen nicht. Weil sie nämlich Israelis sind. Doch, doch, doch, so ist das. Ruhe im Puff!

Aber es gibt Amerikaner, die keine “Gerade-wir-als-Deutschen” sind, weswegen sie auch ein wenig näher an der Realität berichten dürfen. Ich weiß nicht mehr, ob es der Ex-UN-Waffeninspekteur Scott Ritter oder der britische Ex-Diplomat Alastair Crooke gewesen ist, der gestern von einer Umfrage in Israel erzählte, derzufolge über 70 Prozent der Israelis dafür sind, daß die IDF in den Südlibanon einmarschiert, um dort der Hezbollah den Garaus zu machen. Die Hezbollah deckt von dort aus nämlich den israelischen Norden mit Raketen ein, so daß etwa 200.000 Israelis gar nicht mehr dort leben, sondern weiter im Süden zum Teil in Hotels untergebracht sind. Nordisrael sei ab etwa 50 Kilometer vor der Grenze zum Libanon so gut wie menschenleer, heißt es. Aus israelischen Regierungskreisen wiederum heißt es, die Hezbollah solle sich gefälligst bis zum Fluß Litani nach Norden zurückziehen, da man sie ansonsten Mores lehren wolle.

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Litani (Fluß), rot markiert – Screenshot Facebook

Südlich des Litani würden sie ihre Lektion auf libanesischem Gebiewt erteilt bekommen. Dem widersprach allerdings Hezbollah-Chef Nasrallah schon vor längerer Zeit. Er sagte, daß der nächste Kampf zwischen der Hezbollah und der IDF keinesfalls im südlichen Libanon stattfinden würde, sondern auf israelischem Territorium. Im Jahr 2006 war die IDF von der Hezbollah schon einmal des Landes verwiesen worden, woraufhin die Israelis so sauer gewesen sind, daß sie Kampfjets nach Beirut schickten, um die Zivilisten im Stadtteil Dahija aus der Luft zu ermorden. Seither gilt in Israel die Dahija-Doktrin, die besagt, daß, wenn der Konflikt mit dem gegnerischen Militär nicht zu gewinnen ist, die Zivilbevölkerung des Feindes dran zu glauben hat. Das ist übrigens mit der Hamas im Augenblick genauso. Die ist weit davon entfernt, besiegt worden zu sein. Aber über 30.000 Zivilisten haben schon dran glauben müssen. Vielleicht gibt es ja bald eine Gaza-Doktrin als Ergänzung zur Dahija-Doktrin. Die israelische Hannibal-Direktive ist ja auch nicht von schlechen Eltern: Bevor der Feind deinen Landsmann als Geisel nimmt, tapferer IDF-Soldat, jagst du ihm am besten selber eine Kugel in den Kopf. Doch, doch, die Israelis sind, was das Kriegerische angeht, die zivilisiertesten von allen. Absolut. Wahre Gentlemen. Die kennen sich aus wie kein Zweiter, wenn es um staatliches Existenzrecht geht. Die wissen genau, welcher Staat eines hat und welcher auf gar keinen Fall. Da kann gar nichts schiefgehen.

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So ein Existenzrecht ist schon was Feines – Foto: Inna Reznik/Shutterstock

Das hat man gefälligst zu wissen als “Gerade-wir-als-Deutscher”. Dichter, Denker, Kulturvolk und so weiter. Wenn nicht: Antidingsbumsit, dumme Sau und gesellschaftliche Ächtung. Aber zurück in den Südlibanon und zur Hezbollah: Der Ex-Un-Waffeninspekteur und Ex-Marine-Intelligence-Officer Scott Ritter hat schon vor längerer Zeit Zahlen zur Bewaffnung der beiden Konfliktparteien genannt und sich auch zur jeweiligen Truppenstärke geäußert. Allein diese Daten geben die Vermutung nicht her, daß Israel in einer hitzigen Auseinandersetzung mit der Hezbollah einen Blumentopf zu gewinnen hätte. Das sähe nur dann anders aus, wenn sich die USA tatkräftig einer Unterstützung der israelischen Seite befleißigen würden, was sie prinzipiell immer gern tun würden, da sie bekanntlich allezeit auf der Seite des Guten stehen wollen. Nun hat Ritter aber auch den Verdacht, daß man in den USA damit angefangen haben könnte, nach Aufwand und Verlust zu kalkulieren – und daß deshalb nicht unbedingt viel dafür spricht, die IDF in ihrem beabsichtigten Krieg gegen die Hezbollah im Südlibanon besonders tatkräftig zu unterstützen, sondern eher nur halbherzig, wenn überhaupt. Die Iraner hingegen hätten es mit der Halbherzigkeit nicht so und würden der Hezbollah auf jeden Fall vollsolidarische Unterstützung leisten, wenn die USA halbherzig mit einsteigen. Das würde bedeuten, daß die hochgerüstete Hezbollah mit ihrer 350.000-Mann-Armee iranische Präzionsraketen erhalten würde, mit denen sie von zwischen dem Litani und der Grenze zu Israel bis nach Eilat am Golf von Akaba jedes Ziel treffen würden, das sie vernichten wollen. Das wiederum seien gar keine schönen Aussichten für die hochzivilisierten Gentlemen von den IDF, deren ritterliche Scharfschützen nie im Leben palästinensische Kinder im Alter zwischen fünf und acht Jahren mit bestens gezielten Kopfschüssen ermorden würden. Wenn doch, dann wäre es Pali-Propaganda aus Paliwood.

Was einen möglichen Kriegseintritt der arabischen Liga angeht, meinte Ritter, daß der wohl endlich erfolgen würde, sollte sich die Hezbollah im Südlibanon respektive in Nordisrael nicht eindeutig als siegreich erweisen. Das würde mit ziemlicher Sicherheit bedeuten, daß die israelischen Siedlungen im Westjordanland ausradiert werden und fortan Geschichte sind. Alles in allem sieht es zur Zeit wohl danach aus, als sei das Klügste, was Netanyahu tun kann, seine Doktrin von der Dominanz durch militärische Gewalt zu revidieren, zunächst einem umfangreichen Waffenstillstand zuzustimmen – und als nächstes Verhandlungen anzustreben. Für Israel und dessen Existenzrecht ist es wahrscheinlich das klügste, muß man hier einschränkend anmerken. Für Netanyahu persönlich nicht. Sowie nämlich die Waffen schweigen, hätte er wieder seinen Korruptionsprozess an der Backe. Was israelische Gefallene angeht, halten sich die IDF bedeckt, um keine israelischen Staatsbürger zu schockieren, meint Ex-CIA Ray McGovern. Es gebe allerdings Zahlen von Ende Dezember 2023. Damals sei von 380 gefallenen IDF-Soldaten die Rede gewesen, was allerdings stark untertrieben gewesen sein dürfte.

Na, jedenfalls verteidigen die tapferen und edlen Israelis nur das Existenzrecht ihres schönen Landes Israel. Doch, doch, doch. Daß mir da niemand etwas anderes behauptet. Von einem Großisrael haben noch nicht einmal Itamar Ben-Gvir oder Bezalel Smotrich je etwas gehört oder gelesen, geschweige denn, daß sie so etwas Ungeheuerliches je gefordert hätten. Vor Abscheu geschüttelt hätten sie sich. Schließlich kennt man sich in Israel mit dem Existenzrecht von Staaten besser aus als sonst irgendwo auf der Welt. Aber das habe ich ja schon gesagt. Und die “Gerade-wir-als-Deutschen” hätten es ja ohnehin schon gewußt, gell? +++

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