Demonstrieren Sie gegen das Böse! Dann sind Sie ein Guter. (Symbolbild:Imago)

Zivilreligion Demokratie: Demonstrieren Sie doch!

Gehen Sie mal Demonstrieren. Demonstrieren bringt’s. “Wir” sind eine Demokratie. Da gibt es ein Demonstrationsrecht. Oder melden Sie selbst eine Demonstration an. Wenn es den geben sollte: Besorgen Sie sich vorher einen Demonstrationsanmeldungsberechtigungsschein. Was glauben Sie eigentlich?

von Max Erdinger

Demonstrationen in der Demokratie allerweil, sortiert nach Wichtigkeit: Erster Platz für eine Demonstration gegen den Dritten Weltkrieg. Demonstrieren Sie recht zahlreich dagegen, dann wird schon keiner stattfinden. Zweiter Platz: Demonstration gegen den WHO-Pandemievertrag und die Internationalen Gesundheitsvorschriften. Diese Demonstration kommt leider nur deshalb auf den zweiten Platz, weil sie sich erübrigen würde, sollte die auf dem ersten Platz keinen Erfolg haben. Die Bronzemedaille im nationalen Demonstrationswettbewerb geht an die Demonstration gegen das neue EU-Mediengesetz. Sie müssen sich schließlich völlig frei informieren können, damit Sie wissen, wogegen Sie am besten demonstrieren sollen.

Was ist eine Demonstration?

Ein anderes Wort für “Demonstration” ist “Bestätigung”. Mit der Demonstration bestätigen Sie denen, gegen die Sie protestieren, daß Sie noch immer an die Wirksamkeit demokratischer Umgangsformen glauben. Das sorgt bei denen für Beruhigung. Solange Sie denen signalisieren, daß Sie noch immer glauben, Ihre Meinung sei gefragt, ist bei denen alles in Butter. Wer sind die?

Die sind Volksvertreter

Der Volksvertreter ist fast die schönste aller demokratischen Illusionen. Fast so schön wie die, daß Ihre Meinung zählt. Warum ist die Idee schön, daß Ihre Meinung zählt? Weil Sie sich dadurch eine Wichtigkeit einbilden dürfen, die Sie realiter nicht haben. Klicken Sie auf “Gefällt mir”. Auf “Gefällt mir nicht” können Sie gar nicht klicken. Der entsprechende Button fehlt. Merken Sie sich einfach: Es gibt keine Volksvertreter. Es gibt nur Leute, die so bezeichnet werden. Und glauben Sie mir: Dafür, daß Sie glauben sollen, es gäbe Volksvertreter, gibt es einen leicht zu durchschauenden Grund. Der wiederum besteht ebenfalls in einer Illusion: Sie sind der Souverän und haben Wichtigeres zu tun, als Ihre Interessen zu vertreten. Sie müssen zum Beispiel – und nicht zu knapp – Steuern erwirtschaften oder zu Tante Elfriede nach Brunsbüttel fahren. Deshalb haben Sie Vertreter für alles das, was Sie nicht selbst erledigen können. Der Tag hat schließlich nur 24 Stunden.

Der Volksvertreter kommt aus dem Volk und ist allein deshalb schon voll qualifiziert zur Vertretung von Volksinteressen. Aus dem Volk und für das Volk. Hurra! Da kann gar nichts schiefgehen. Der Volksvertreter ist der Edelste von Allen, ein wahrer Altruist, und denkt an sich selbst ganz zuletzt. Deshalb muß er auch von Diäten leben, der Gute, anstatt daß er vom Volk für die Vertretung seiner Interessen fürstlich bezahlt wird. Er wird nicht bezahlt, sondern für seine aufopferungsvolle Tätigkeit entschädigt. Es kommt Ihnen ein wenig merkwürdig vor, daß niemand das Volk entschädigt, wenn der Volksvertreter nichts als Scheiße baut? – Dagegen gibt es ein Mittel: Gehen Sie demonstrieren! Wie gut, daß Sie in einer Demokratie leben.

Verfassung & Schutz

Damit das formidable Leben des Souveräns in der Demokratie nicht von Unholden beeinträchtigt wird, gibt es eine Verfassung, in der drinsteht, wie das in der Demokratie mit ihrem astreinen Rechtsstaat, der ganz unglaublichen Freiheit und den heiligen Westwerten gefälligst zu handhaben ist. Wie? Sie meinen, Sie hätten gar keine Verfassung sondern nur ein Grundgesetz? Fein, daß Sie darauf hingewiesen haben. Sie sind ganz ein Schlauer. Es ist direkt ein Jammer, daß einer, so schlau wie Sie, seine Interessen nicht selber vertritt, sondern sie von Volksqualfizierten vertreten lassen muß. Demonstrieren Sie! – “Gegen das Grundgesetz! Für eine Verfassung!” – Sie werden sehen, wer als nächstes das Grundgesetz gegen Sie in Schutz nimmt: Der Verfassungsschutz. Warum heißt er so im Lande des Grundgesetzes? Weil das Land mit dem Grundgesetz in einer hundsmiserablen Verfassung ist. Und die schützt der Verfassungsschutz. Deswegen heißt er so. Wäre es anders, müsste er Volksvertreterschutz heißen, weil Grundgesetzschutz nun wirklich absolut gelogen wäre.

Bundesverfassungsgericht

Bestellen Sie sich ein Bundesverfassungsgericht von der demokratischen Speisekarte, wenn Sie Appetit auf Demokratie, Freiheit und westliche Werte haben. Wenn es so scheiße schmeckt wie das, was Volksvertreter ständig bauen: Gehen Sie demonstrieren! Am besten vor der nächsten Geschäftsstelle des Hotel- und Gaststättenverbandes. Ihre Meinung zählt!

Fehlerfreiheit

So fehlerfrei wie Sie mit Ihrer Meinung, derentwegen Sie demonstrieren gehen, sind sonst nur noch die Israelis. Vorher waren es die Ukrainer. Oder, wie man zu sagen pflegt: “Israel” und “die Ukraine”. Länder machen keine Fehler. Weswegen man sich Plakate für Demonstrationen pinseln muß, mit denen man die vorteilhafte “Eiständwisserei” betreiben kann. Damit die anderen Demokraten sehen können, daß Sie auf der Seite der Fehlerfreien stehen. Das ist ganz exzellent für Ihre Selbstwahrnehmung. Besonders dann, wenn Sie von Natur aus eigentlich fett und häßlich wären.

Wichtig: Bescheidwissen

Im Grunde ist es so, daß Sie demonstrieren gehen, weil Sie nicht Bescheid wissen. Aus den Medien, die Ihnen von den “Volksvertretern” als “Qualitätsmedien” angedient werden, damit Sie Bescheid wissen – woran wiederum der “Volksvertreter” in seiner Eigenschaft als altruistischer Musterdemokrat brennend interessiert ist -, können Sie nämlich den Grund fürs Demonstrieren nicht rausgezogen haben. Das heißt, daß Sie gar nicht demonstrieren dürften, weil nämlich nur Demokraten demonstrieren dürfen, Verschwörungstheoretiker aber nicht. Demokraten wiederum lesen die “Qualitätsmedien”, weswegen es für Demokraten gar keinen Grund zum Demonstrieren gibt. Wenn Sie trotzdem demonstrieren gehen, brauchen Sie sich auch nicht darüber zu beschweren, daß der demokratische Volksvertreterschutz sein mißbilligendes Auge auf Ihnen ruhen läßt. Aber meinetwegen: Gehen Sie demonstrieren, so lange es noch geht. Wenn erst einmal das Social-Credit-System funktioniert, werden Sie sich das ohnehin nicht mehr leisten wollen und sich einer anderen Freizeitbeschäftigung widmen.

Staat ist gut

Die Steuerlast sei viel zu hoch, meinen Sie? Demonstrieren Sie bloß nicht gegen den Steuerstaat! Der ist der einzige, der dafür garantiert, daß angesichts einer hohen Steuerlast so vieles “kostenlos” ist! Die Schulbildung für Ihre Kinder zum Beispiel. Wenn Sie für das, was da allerweil als “Schulbildung” bezeichnet wird, auch noch selber bezahlen müssten, würden Sie völlig zu Recht ans Demonstrieren denken. Weil die Schulbildung aber “kostenlos” ist, demonstrieren vergleichsweise wenige Demokraten dagegen. Anstatt gegen eine marode Infrastruktur zu protestieren, könnten Sie ja auch selbst mal die Volksschaufel in die Hand nehmen, Schlaglöcher auffüllen und recht völkisch drüberasphaltieren. Ich meine, wenn der Staat schon sonst so viel “kostenlos” für Sie erledigt. Und rennen Sie wegen jedem Kokolores zum Staatsanwalt! Verklagen Sie Hinz und Kunz für alles und jedes! Das ist mindestens so gut wie auf Demonstrationen zu gehen, weil: Solange Sie Hinz und Kunz verklagen, anstatt Ihre Angelegenheiten selbst zu regeln und die Angelegenheiten anderer Leute die anderen Leuten regeln zu lassen, signalisieren Sie dem Staat, daß er der Bestimmer über Ihr Leben ist. Der Staat sieht’s gern. Der Nachbar, dieses unaushaltbare Subjekt, wäscht schon wieder sein Auto im Hof? – Zeigen Sie ihn an!

Vorbildlich: Zeichensetzen

Sie müssen ja auch gar nicht auf Großdemonstrationen gehen, egal, wie sehr Sie sich einbilden, daß Sie es müssten. Sie können sich auch mit einem Pappschild mutterseelenallein auf die Straße pflanzen und Ihr je persönliches Zeichen setzen. Zeigen Sie Ihren Mitdemokraten, daß Sie als einziger etwas begriffen haben – und die anderen nicht. Setzen Sie Ihren Mitdemokraten ein Zeichen! Das ist die sicherste Methode, um zu verhindern, daß die Ihnen eines setzen – und Sie haben automatisch recht. Wer, der Anderen ein Zeichen setzt, müsste sich auch selbst eines setzen lassen? – Na eben. Seit die astreine Demokratie die grottenschlechte Monarchie abgelöst hat, adelt einen niemand mehr, wenn man es nicht selbst erledigt.

Maßvoll bleiben!

Da Sie nun in einer formidablen und rechtstaatlichen Demokratie leben, deren schlechte Verfassung gut geschützt wird, sollten Sie unbedingt auf eine Wortwahl achten, mit der Sie keine Mitdemokraten kränken, vor allem die altruistischen Volksvertreter nicht, die in Wahrheit gar keine sind. Tun Sie nichts, das die altruistischen “Volksvertreter” verschrecken könnte. Gehen Sie lieber demonstrieren! Nutzen Sie Ihre demokratischen Einflußmöglichkeiten, solange Sie noch nicht demokratisch in den Luftschutzkeller gehen müssen!

Merken Sie sich: Die Medien- & Massendemokratie ist schon die Demokratie. Die volksqualifizierten Vertreter des Volkes aus dem Volk und für das Volk sind das demokratische Nonplusultra. Die interessieren sich ganz wahnsinnig für Ihre Interessen und sind in ihrem Altruismus total heiß darauf, sie auch zu vertreten. Lesen Sie die Qualitätsmedien und Sie werden merken, daß das stimmt. Seien Sie kein Verschwörungstheoretiker. Bleiben Sie einfach Demokrat. Gehen Sie demonstrieren!

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