Maximilian Krah (Bild: IMAGO / Sven Simon)

Der Rückfall in alte Muster: Die AfD im Spagat zwischen etabliertem Kuschelkurs und innerparteilicher Loyalität!

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Bisweilen fällt es mir als Politikberater schwer, manche Entscheidungen von Parteien in ihrer Sinnhaftigkeit und Logik nachzuvollziehen. Nicht selten fragt man sich, ob es ihnen an einer fachkundigen Unterstützung bei ihrer Kommunikation fehlt, wenn sie ausgerechnet im Wahlkampf mit Beschlüssen hervortreten, die Geschlossenheit, Integrität und Stabilität der eigenen Reihen in Gefahr bringen.

Von Dennis Riehle

Und so hat die Krisen-PR im Falle der #AfD versagt, deren Vorsitzende sich gegen weitere Auftritte des EU-Spitzenkandidaten ausgesprochen und ihn offenbar zu einem Rückzug aus dem Bundesvorstand bewegt haben. Denn welcher Eindruck bleibt beim Außenstehenden haften, wenn diese Reaktion unmittelbar auf Ankündigungen der französischen Grande Dame des Rassemblement National folgt, man werde künftig nicht mehr in eine gemeinsame Fraktion mit der Alternative für Deutschland eintreten – weil sich Maximilian #Krah zuvor in einem Interview über die SS zweifelsohne ambivalent und nicht in jeglicher Hinsicht geschickt geäußert hat. Immerhin waren seine Worte so gewählt, dass er durchaus damit hätte rechnen müssen, dass diese ohne einen entsprechenden Kontext zu einem erneuten Skandal beitragen können. In der Sache hat er lediglich einen nüchternen Befund wiedergegeben, wonach man sich generell mit Pauschalisierungen zurückhalten sollte. Denn man muss mit unvoreingenommenem, paniklosem und verstandsmäßigem Blick auf die Geschichte feststellen, dass nicht wenige Bürger gerade zum Ende des Hitler-Regimes auch gewaltsam zum Eintritt in das Unterdrückungskommando genötigt wurden, blauäugige Mitläufer waren oder überhaupt nicht erfassten, mit welcher Brutalität und Menschenverachtung die Schutzstaffel maßgeblich und vordergründig am Holocaust beteiligt war.

Zwar gilt auch hier, dass Unwissenheit nicht vor Strafe schützt – und ein Mitgehangen auch ein Mitgefangen bedeutet. Aber sicherlich sollte die Schuld jedes Einzelnen wesentlich an den konkreten Taten gemessen werden, die er selbst begangen, mitgetragen oder zumindest ideell gefördert hat. Und auf nichts Anderes hatte Krah hingewiesen – und damit allein eine Logik angewandt, die man auch bei der Bewertung anderer Diktaturen seit jeher vertritt. Schließlich war auch nicht jeder Bürger der DDR am Unrecht des Staates beteiligt, in dem er gezwungenermaßen gelebt hat – und allzu verständlich nicht alleine befähigt war, diesem Apparat die Stirn zu bieten. Doch da wir im Moment in einer Atmosphäre leben, in der die Systempresse, die Regierung und all ihre Handlanger aus Gesellschaft, Ökonomie, Wissenschaft, Kirchen oder Verbänden nur darauf warten, einen neuen Aufhänger für eine weitere Affäre zu finden, ist es durchaus zu empfehlen, Worte mit Bedacht zu wählen. Da die Einlassungen aber sachlich nicht zu beanstanden waren, entpuppt sich die Konsequenz, die Chrupalla, Weidel und das Spitzenteam der AfD gezogen haben, als unverhältnismäßig und schädlich für die Reputation ihrer Partei. Denn so hat man sich schlussendlich erpressbar gemacht gegenüber dem Partner in Paris, der sich nicht zum ersten Mal in einer Distanzeritis übte – und wohl nur darauf wartete, dass sich eine Gelegenheit finden lassen würde, um das Miteinander aufkündigen zu können. Zum jetzigen Zeitpunkt auf Abstand zu den eigenen Leuten zu gehen, das ist Wasser auf die Mühlen der geifernden Massenmedien – die den gestrigen Paukenschlag erwartungsgemäß für einen Abgesang genutzt haben, um den Zerfall der Alternative für Deutschland herbeizureden.

Jedes Urteil sollte von einer Folgenabwägung getragen sein. Und ich bin überaus skeptisch, inwieweit sich die Führungsriege der Blauen diese Mühe gemacht hat. Denn wenn man die beiden Optionen einander gegenüberstellt, die nach dem Bekanntwerden der Verlautbarungen im Gespräch mit “La Repubblica” denkbar gewesen sind, komme zumindest ich zu dem Ergebnis, dass der Kollateralschaden bedeutend kleiner gewesen wäre, hätte man sich im Schulterschluss geübt – anstatt nun auf offener Bühne als derjenige dazustehen, der sich von einem Pendant unter dem Eiffelturm Vorgaben machen lässt. Gerade für das Stammklientel dürfte die aktuelle Entwicklung ein herber Rückschlag sein. So weiß man aus der Vergangenheit, wie derartige Schlammschlachten am Ende zu einer massiven Schwächung geführt haben – weil man die Beschäftigung mit sich selbst vor die Werbung mit politischen Inhalten gestellt hat. Wäre man in Loyalität verblieben und hätte den Anwärter auf den Einzug ins EU-Parlament vor allem mit dem Argument verteidigt, dass all diejenigen, die ihm aus seinen Positionierungen einen Strick drehen wollten, wieder einmal sämtliche Zitate aus dem Zusammenhang gerissen haben, hätte dies zwar vielleicht den Verlust von manch einem Protestwähler bedeutet, dem die AfD plötzlich doch zu rechts war. Im Gegensatz ist der Scherbenhaufen, welchen man inmitten des Endspurts und auf der Zielgeraden nach Brüssel durch den Maulkorb für Krah verursacht hat, bedeutend größer. Zeigt er doch wieder einmal auf, wie sehr Argwohn, Neid und Missgunst innerparteilich verbreitet sind – und dass man bei Bedarf sogar bereit ist, Kollegen ins offene Messer laufen zu lassen.

Mit seinem Vorgehen haben die Granden unter Beweis gestellt, dass die Strömungen diametral zuwiderlaufen, welche sich um Macht und Einfluss in der Alternative für Deutschland duellieren. Kaum etwas ist verletzlicher als die Einheit einer Gruppe, die nur dann für Authentizität, Glaubwürdigkeit und Konsistenz stehen kann, wenn sich ihre Mitglieder nicht gegenseitig die Augen aushacken. Es bleibt ein fader Beigeschmack, der sich durch diesen jüngsten Höhepunkt der schlechten Nachrichten für die Partei im Mund derjenigen verfestigt, die mit einigermaßen viel Kopfschütteln attestieren, wonach man für diese negative Schlagzeile nun ausnahmsweise einmal selbst die Verantwortung trägt. Denn bereits in den letzten Wochen hatte man mit einem gewissen Befremden feststellen müssen, dass Teile der AfD offenbar nicht davor zurückschrecken, ihr bisheriges Alleinstellungsmerkmal aufzugeben. Man hatte sich stets als den kritischen Gegenentwurf betrachtet, der sich in aller Deutlichkeit von den alteingesessenen Akteuren abhebt – und für eine radikale Trendumkehr in nahezu allen politischen Bereichen steht. Inwieweit dieses Prädikat jetzt noch Gültigkeit besitzt, muss man angesichts des Strebens nach Anpassungsfähigkeit an das Establishment durchaus hinterfragen. Da war es schon ein nicht allzu kluger Schachzug, sich mit Blick auf das Gerichtsverfahren um die Einstufung als rechtsextremistischer Verdachtsfall mit eigentümlichen Videos krampfhaft um den Anschein zu bemühen, dass man nichts mit Fremdenfeindlichkeit zu tun hat, sondern viele Anhänger mit Migrationshintergrund vorweisen kann, die allesamt bescheinigten, dass Xenophobie keinen Platz hat – und Pluralismus vielleicht doch nicht so schlecht ist, wenn man ihn denn moderat verfolgt.

All die Investitionen in diesen Prozess waren einigermaßen für die Katz, weil man sich eigentlich schon im Vorhinein hätte ausrechnen können, wie der Richterspruch am Ende lauten würde. Der obsessive Drang, sich zu einem konsensualen Mitbewerber zu gerieren, der als politische Kraft nicht nur regierungsfähig ist, sondern unter Umständen wohl doch sein Dasein als Frontalopposition aufgibt, hat erheblich dazu beigetragen, an Zustimmung unter jenen zu verlieren, die sich weder von Klassifizierungen des Verfassungsschutzes beeindrucken lassen, noch von einem egozentrischen Gebaren der Marine Le Pen, die schon immer ein schwieriges Verhältnis zu Deutschland hatte – und der es am Ende nicht um ein kollektives Eintreten für die Bewahrung der Nationalstaatlichkeit und kulturellen Identität der europäischen Völker geht. Sie hat es sich von Meloni abgeschaut, hinsichtlich der Chance auf den Einzug in den Elysée-Palast Standpunkte zu verwässern und sich programmatisch zu mäßigen. Doch im Augenblick braucht es eben nicht noch eine weitere Partei hierzulande, die der Verlockung auf Prestige bis in die Mitte hinein erliegt – und Forderungen wie jene nach einer stringenten Remigration relativiert, um bei der Breite keinen Anstoß zu nehmen. Und so dürfte es enttäuschend und frustrierend sein, wenn sich manch ein Sympathisant nun an frühere Auseinandersetzungen der AfD erinnert fühlt, welche in Brüchen, Spaltungen und Polarisierungen gipfelten – und die Gelegenheit auf Mehrheiten in weite Ferne rückten. Überzeugungskraft gewinnt man nicht durch das Eingehen auf externe Erwartungen, sondern durch das Widerstehen gegenüber jedem hingehaltenen Stöckchen, über das der politische Gegner den Verlierer springen sehen möchte.