Die Mauer in den Köpfen: Auch heute noch aktuell (Foto: Policas/Shutterstock)

Westdeutsche Journalistenarroganz: Die “Welt” bedient das Klischee vom Dunkeldeutschland

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Was in dezidiert linken Medien Usus ist, hätte man von der als konservativ oder zumindest liberal geltenden „Welt“ eigentlich nicht erwartet. Doch ausgerechnet hier erschien gestern ein Artikel, der in das Lamento über den angeblich seit Jahrzehnten rechtsradikalen Osten einstimmte, in dem wohlmeinende Linke gnadenlos gejagt und verprügelt werden – und der als Musterbeispiel einer auch nach fast 35 Jahren seit dem Mauerfall virulenten westdeutschen Arroganz und Überheblichkeit, gerade im Medienbetrieb, gegenüber den als obskur wahrgenommenen “Ossis” gelten kann. „Überfälle, Drohungen, Beleidigungen: Dass rechtsextreme Täter Andersdenkende und anders Aussehende von Straßen und Plätzen vertreiben wollen, hat im Osten eine unselige Tradition“, meint Autor Claus Christian Malzahn. Die „Schlägertrupps“ würden die Rolle der Stasi bei der Überwachung übernehmen.

„Der Kampf um den öffentlichen Raum eskaliert“, so Malzahns düstere Diagnose. 40 Jahre lang habe die SED bestimmt, was auf Marktplätzen und Straßen, in Kindergärten, Schulen und Universitäten, in Restaurants oder Kneipen, in Museen, Galerien, Konzerthallen oder auf Freilichtbühnen geschah und verhandelt wurde. Was nicht ins „preußisch-sozialistische Bild“ gepasst habe, sei „meist verboten, getilgt, weggesperrt“ worden. Die SED habe diesen Kampf zwar verloren, die Frage, „wer die 1989 gewonnene Freiheit wann, wo und auf welche Weise ausleben“ dürfe, sei jedoch wieder „hochaktuell“. Vor allem Grüne und Sozialdemokraten sollten derzeit zum Schweigen gebracht werden, klagt Maltzahn. Die Zahl körperlicher Angriffe auf ihre Vertreter sei noch nie so hoch gewesen. Vor allem Thüringen, Sachsen und Brandenburg identifiziert er als rechte Hotspots im Osten, wo Linke sich nicht angstfrei im öffentlichen Raum bewegen dürfen. Maltzahn zieht dann eine direkte Linie zwischen den angeblich so schrecklichen heutigen Angriffen auf SPD- und Grünen-Politiker und den rechtsradikalen Übergriffen in den frühen 90er Jahren. Schon bei diesen Neonazis habe es bereits die Vorstellung „national befreiter Zonen“, gegeben „also Regionen, in denen Ausländer kein Aufenthalts-, mitunter auch kein Lebensrecht hatten“. Diese Vorstellung sei auch von vielen Menschen geteilt worden, die selbst keine Steine oder Brandsätze geworfen hätten. Aus dieser verhetzten Stimmung erwuchs letztlich auch der rechtsextreme Terror des NSU.

Unerträglicher Paternalismus

Er selbst habe damals Interviews in Rostock geführt, berichtet Maltzahn. Darin seien die Angriffe auf Ausländer „mit einem vermeintlichen Recht auf Heimat, die es zu schützen und zu verteidigen gelte“, begründet worden. Diese Tradition bestehe bis heute fort. Die NPD habe sich inzwischen in „Die Heimat“ umbenannt, auch für die AfD sei das ein zentrales Schlüsselwort. Für diejenigen, „die Jagd auf Sozialdemokraten und Bündnisgrüne machen“, sei offenbar ausgemacht, „dass sie aus dieser „Heimat“ getilgt werden sollen, zumindest sollen sie sich dort nicht weiter bemerkbar machen“. Man könne sich fragen, ob solche Attacken heute auch etwas mit einer stillen, paradoxen Sehnsucht nach einem Land zu tun haben, in dem politische Kontroversen so gut wie nicht vorkamen“, küchenpsychologisiert Maltzahn. „Vom Kampf um den öffentlichen Raum zu einem fairen Meinungswettbewerb im öffentlichen Raum sind wir derzeit weit entfernt“, so seine bizarre Diagnose, wobei er sogar von einer „späten Niederlage der Friedlichen Revolution“ faselt.

Mit demselben unerträglichen Paternalismus, der seine linken Kollegen auszeichnet, spricht Maltzahn den Ostdeutschen wieder einmal die demokratische Reife ab und konstruiert eine haarsträubende Kontinuität zwischen der kommunistischen DDR-Herrschaft und den vermeintlichen rechten Hetzjagden auf linke Politiker. Dass hier Ursache und Wirkung vertauscht werden und die zunehmende Verzweiflung vieler Ostdeutscher auf eben solche Diffamierungen zurückzuführen sind, kommt Maltzahn offenbar nicht in den Sinn. Auch nicht, dass der Unmut über SPD und Grüne an der zerstörerischen Wahnsinnspolitik liegen könnte, den beide Parteien in der Ampel-Regierung anrichten. Massenmigration, Migrantengewalt, Klima- und Genderwahn, Sprachpolizei und Einschränkung der Meinungsfreiheit – womöglich befürchten Ostdeutsche deshalb ihrerseits eine „Niederlage der Friedlichen Revolution“, mit der sie einst ihre Freiheit erkämpft haben. Sie dürften eher in den Bundesregierungen der letzten 20 Jahre eine Widergängerin der SED erkennen. Maltzahn scheint sich einen Osten zu wünschen, der genauso sediert und gehorsam ins grüne Utopia taumelt, wie der Westen. Gerade ihre Erfahrung mit der SED hat die Ostdeutschen jedoch gelehrt, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Maltzahn und Co. kann man so viel politischen Instinkt nur wünschen. (TPL)

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