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Wasserstoff-Wahn: Europas Energiewende bedroht wertvolle Ökosysteme in Chile

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Chile soll zur grünen Energiequelle der Welt aufsteigen. Das Land, das seine extremen Klimabedingungen nutzen will, um grünen Wasserstoff zu produzieren, steht im Zentrum der Pläne mächtiger Industrieländer. Doch während europäische Firmen eifrig auf ihre Chance warten, droht in Chile ein ökologisches Desaster von beispiellosem Ausmaß. Viele Einheimische und Umweltschützer schlagen Alarm, denn die Umwelt- und Lebensgrundlagen der Region Magallanes stehen die Interessen anderer auf dem Spiel (sueddeutsche: 07.08.24).

Grüner Wasserstoff um jeden Preis bedroht die Zerstörung eines Ökosystems

Das Feuchtgebiet Bahía Lomas in der Region Magallanes ist einer der wichtigsten Lebensräume für Küstenvögel weltweit. Doch die Pläne, hier massenhaft Windräder zur Wasserstoffproduktion zu errichten, bedrohen dieses empfindliche Ökosystem. „Jedes Jahr kommen hier rund 100.000 Vögel an“, warnt der Biologe Heraldo Norambuena. Darunter befinden sich bedrohte Arten wie die Rotkopfgans und der Magellanregenpfeifer, deren Population ohnehin schon auf wenige Hundert Exemplare geschrumpft ist. Der Bau von Windparks entlang ihrer Zugrouten könnte diese Arten endgültig auslöschen.

Trotz dieser offensichtlichen Risiken wird das Projekt massiv vorangetrieben. Es ist die Rede davon, dass große Konzerne allein in Magallanes 13 Prozent des weltweiten Bedarfs an grünem Wasserstoff erzeugen wollen. Das würde eine bisher unvorstellbare Anzahl an Windkraftanlagen und die damit einhergehenden Umweltschäden mit sich bringen. Diese Pläne machen deutlich, dass dies nicht im Interesse Chiles oder der globalen Umwelt erfolgt, sondern vor dem im Interesse der Industrieländer dient, die ihren Energiebedarf auf Kosten anderer decken wollen.

Energiewende auf Kosten Chiles: Wie Europa eine Region für grünen Wasserstoff opfert

Heraldo Norambuena kritisiert die Projekte scharf: „Der Großteil der Energie wird ins Ausland exportiert, während die Region die Umweltzerstörung ertragen muss.“ Was hier passiert, ist nichts anderes als der Ausverkauf einer ganzen Region, um die Energiewende in Europa voranzutreiben. Die Unterstützung durch europäische Politiker und Gelder zeigt, wie wenig Rücksicht auf die lokale Bevölkerung und die Umwelt genommen wird. So hat die EU 200 Millionen Euro bereitgestellt, um diese Projekte zu finanzieren. Das deutsche Wirtschaftsministerium steuert ebenfalls Millionen bei.

Chile hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2040 zu den drei größten Produzenten von grünem Wasserstoff weltweit zu gehören. Doch der Preis, den das Land dafür zahlen soll, ist hoch. Die Infrastruktur, die dafür in der bisher unberührten Region Magallanes notwendig ist, wird die Landschaft nachhaltig verändern. Windräder, Straßen, Stromleitungen und Entsalzungsanlagen werden benötigt. Tausende Arbeiter und ihre Familien sollen in die Region ziehen, was weiteren Druck auf die lokalen Ressourcen ausübt. Diese großflächigen Eingriffe in die Natur stehen im Widerspruch zu den Interessen der lokalen Bevölkerung, die nicht nur ihre Heimat, sondern auch ihre Lebensgrundlagen gefährdet sieht.

Grüner Wasserstoff oder neue Ausbeutung? Widerstand in Chile wächst gegen internationale Megaprojekte

Die Widerstände vor Ort nehmen zu. Alfonso Campos, ein Anwalt aus der Kommune San Gregorio, äußert sich kritisch: „Das hier ist der falsche Ort für solch riesige Projekte.“ Er sieht in den Plänen eine Fortsetzung der kolonialen Ausbeutung, bei der reiche Länder die natürlichen Ressourcen armer Regionen ausbeuten, ohne Rücksicht auf die sozialen und ökologischen Folgen. Obwohl einige seiner Nachbarn bereits Verträge mit den Betreiberfirmen abgeschlossen haben, lehnen viele Bewohner die Projekte entschieden ab. Die Ankunft großer multinationaler Unternehmen wie HNH Energy, die grünen Ammoniak für den Export produzieren wollen, verstärkt die Sorgen der Menschen.

Die Auswirkungen dieser Projekte beschränken sich jedoch nicht nur auf die Region Magallanes. In der Region Antofagasta, 4000 Kilometer nördlich, soll ebenfalls grüner Wasserstoff produziert werden. Dort, in der Atacama-Wüste, haben jahrelange industrielle Aktivitäten die Umwelt stark belastet. Jetzt soll die Produktion von grünem Wasserstoff die Kohlekraftwerke ersetzen und gleichzeitig die globale Nachfrage bedienen. Doch auch hier wird die lokale Bevölkerung vor vollendete Tatsachen gestellt, während die Gewinne ins Ausland fließen.

Chile steht vor einem Dilemma: Einerseits locken die Versprechungen wirtschaftlicher Entwicklung und globaler Bedeutung, andererseits drohen irreversible Umweltschäden und die Ausbeutung der lokalen Bevölkerung. Die Industrieländer, die auf Chiles Ressourcen schielen, sollten sich ihrer Verantwortung bewusst sein und nicht erneut auf Kosten anderer ihre eigenen Interessen durchsetzen. Der Biologe Heraldo Norambuena fasst die Situation treffend zusammen: „Momentan sieht es so aus, als wolle man das Maximum herausholen. Doch das wäre ein Desaster für den Umweltschutz und für Chile.“

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