Eine neue Brücke für Dresden

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Reizvoll, aber unrealistisch: Die Wiederherstellung der historischen alten Corolabrücke, hier auf einer Aufnahme von 1895 (Foto:Wikicommons)

Ein paar Tage nach dem Zusammenbruch mag es voreilig erscheinen, über die Entstehung einer neuen Brücke nachzudenken. Der Vorteil besteht vielleicht darin, dass eine solche Überlegung noch nicht im kakophonischen Stimmengewirr untergeht. Noch sind die Gutachten über die Tragfähigkeit der beiden noch stehenden Brückenzüge nicht abgeschlossen. Ich wage zu prognostizieren, dass es sich auch bei einer ermittelten und haftungsrechtlich verantwortbaren Restlaufzeit der verbliebenen Brückenteile nicht als sinnvoll erweisen wird, diese zu erhalten. Der Einsturz sollte als Chance begriffen werden, Dresden mit einer neuen Brücke einigermaßen zukunftssicher und möglicherweise auch attraktiver zu machen. Es handelt sich um die zentrale verkehrstechnische Verbindung der rechts- mit der linkselbischen Stadthälfte, von Altstadt und Neustadt, Hauptbahnhof und Flughafen. Um einen Aussichtsbalkon an der Dresdner Altstadt, den Zigtausende am Tag überqueren.

Für einen Brückenneubau gibt es drei grundsätzliche Möglichkeiten: Die erste wäre ein Wiederaufbau in der bisherigen Form. Die erneute Errichtung als Spannbetonbrücke bildet zweifellos den nächstliegenden und auch schnellsten Weg zur Wiederherstellung der verkehrlichen Verbindung. Die Straßenanschlüsse, die Grundidee nur eines im Fluss befindlichen Pfeilers und wesentliche genehmigungsrechtliche Grundlagen könnten übernommen werden. Die Herstellung von Spannbeton ist inzwischen so weit entwickelt, dass mit einer Lebensdauer von mindestens 200 Jahren gerechnet werden kann. Im (unwahrscheinlichen) Optimalfall steht eine solche Brücke in drei Jahren. Die Brücke in der bisherigen Gestalt ist zwar keine Schönheit, hat aber auch als nüchternes, ingenieurtechnisches Bauwerk eine gewisse Akzeptanz unter Dresdnern erlangt. Die Baukosten lägen bei 120 Millionen, zuzüglich der Kosten für die verkehrlichen und stadttechnischen Anbindungen.

Ein Gimmick mehr

Die zweite Option wäre der Wiederaufbau der historischen Carolabrücke. Es ist nicht schwer vorauszusagen, dass ein Wiederaufbau der historischen, am letzten Tag vor Kriegsende gesprengten Carolabrücke als steinerne Bogenbrücke mit reichen Schmuckelementen nicht nur unter Dresdnern einige Vorfreude auslösen dürfte. Man wird die Bilder in Kürze sehnsüchtig aus den Archiven kramen. Die Vervollständigung des Stadtbildes wäre gewiss, und die Dresdner, Touristen und Fotografen hätten ein Gimmick mehr. Diese Variante wird allein deshalb diskutiert werden müssen. Zur Wahrheit einer solchen nostalgischen Rückbesinnung gehört allerdings auch, dass heute derlei Brücken kaum irgendwo auf der Welt noch gebaut werden. Der planerische und logistische Aufwand wäre enorm, die Planungs- und Bauzeit würde mit Sicherheit mehr als fünfzehn Jahre in Anspruch nehmen und wäre durchaus vergleichbar mit dem Aufwand, der bei der Frauenkirche betrieben wurde. Die Baukosten würden sich gegenüber einem reinen Ingenieurbauwerk mit Betonelementen vervielfachen. Allerdings wäre, ähnlich wie bei der Frauenkirche, damit zu rechnen, dass sich Mäzene finden, die sich für ein solches Projekt ideell und finanziell eher einsetzen als für eine Brücke, die architektonisch im Beliebigen verbleibt und deren Finanzierung dem Gezerre von Stadt, Land und Bund überlassen bleibt. Ich halte einen solchen restaurativen Wiederaufbau aber letztendlich aus pragmatischen Gründen für wenig wahrscheinlich.

Bleibt als dritte Möglichkeit noch eine neue, moderne Brücke. Dies ist die am schwersten vorstellbare Variante. Zwar zählen Brücken zu den herausforderndsten und beliebtesten Aufgaben für Architekten und Tragwerksplaner, doch nach erstem Überlegen finden sich international kaum Beispiele, die sich neben einer barocken Stadtsilhouette wie der oberhalb der Brühlschen Terrasse denken ließen und in einem solchen Ensemble bestehen würden. Das jahrzehntelange Gezeter um die Gestaltung der Waldschlösschenbrücke hat bereits eindrücklich gezeigt, wie schwierig Brückenneubauten in der Dresdner Stadtlandschaft sind.

Selbstbewusste Zutat

Dabei wäre im Elbbogen durchaus ein mutiges, modernes und stadtbildprägendes Bauwerk – beispielsweise in Form einer innovativen Hängebrücke – denkbar gewesen, eine selbstbewusste Zutat sozusagen, wie sie etwa das benachbarte (zur Entstehungszeit natürlich ebenfalls heftigst umstrittene) “Blaue Wunder” darstellt. Doch man entschied sich schließlich nicht etwa für einen der zahlreich eingereichten, nach restriktiver Ausschreibung freilich auch nicht sonderlich überzeugenden Wettbewerbsbeiträge, sondern für das dünnste Brett: Eine ärgerlich verhuschte, sich abduckende Banalität mit statisch merkwürdigem Erscheinungsbild, die niemals irgendwo als nennenswerter Beitrag zur Stadtbaukultur genannt werden wird. Es war der Weg des geringsten Widerstands, der am Ende dann doch den Entzug des Weltkulturerbetitels zur Folge hatte.

Eine neue Carolabrücke müsste sich somit als selbstbewusste Zutat zu Dresden mit höchstem gestalterischen Anspruch begreifen und den Kontext des Dresdner Stadtbilds weiterführen. So wie alle stadtbildprägenden Bauten – vom Eiffelturm bis zum Zwinger – treffen Bauwerke dieser Qualität naturgemäß auf massive Widerstände: Oft genug zurecht (zuviele Experimente gehen schief), hin und wieder aber auch zu Unrecht, wie sich viele Jahre später erweist. Ich kann mir eine solche Brücke für Dresden als eine Bereicherung vorstellen. Möglicherweise wäre ja die Verwendung von Sandsteinpfeilern in Verbindung mit einem innovativen Stahltragwerk eine Möglichkeit, den Brückenschlag vom Gestern zum Heute zu bewältigen und Dresden ein neues Wahrzeichen für die folgenden Generationen hinzuzufügen.

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