Die letzte Ölung für Deutschland

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In meinem Heimatdorf war es ein vertrautes Bild: Der Pfarrer, begleitet von zwei Ministranten, machte sich auf den Weg zu einem Sterbenden. Der Gang von der Kirche zum letzten Haus des Dorfes war selten länger als 15 Minuten. Die Menschen, die den Priester rufen ließen, wussten, dass es an der Zeit war, Abschied zu nehmen. Kein Arzt konnte mehr helfen, keine staatliche Hilfe wie heute bei VW war erwünscht. Die letzte Ölung sollte den Übergang in die Ewigkeit bereiten – eine heilige Handlung, bei der das Irdische dem göttlichen Platz machte. Und während heute VW in den letzten Zügen liegt, freut sich Toyota des Lebens.

Gastbeitrag von Meinrad Müller

Wir Ministranten trugen das Weihrauchfass und begleiteten den HerrnPfarrer, der in seinem schwarzen Köfferchen das Kreuz und das geweihte Salbungsöl mit sich führte. Die Zeit, die wir am Bett des Sterbenden verbrachten, war stets eine zutiefst ergreifende und feierliche Stunde. Der Duft des Weihrauchs, das gedämpfte Flackern der Kerzen, die lateinischen Gebete – all das schuf ein Klima der Gnade. Es war, als würden die Mauern des Hauses zum Gotteshaus, als ob Himmel und Erde für einen Moment eins würden.

Die Angehörigen hatten das Zimmer sorgfältig vorbereitet. Meist standen schon zwei brennende Kerzen am Nachttisch und auch eine Schale mit Weihwasser. Es war eine alte Tradition, dass die Familie ihr Zuhause in dieser schweren Stunde feierlich herrichtete, als Ausdruck von Respekt vor dem Mystischen. Als der Priester das Haus betrat, wurde er begrüßt mit „Gelobt sei Jesus Christus“. Sein Kommen war nicht ein Moment des Schmerzes. Es war ein Zeichen der Nähe Gottes, der den Sterbenden in seine Hände nehmen würde.

Das Kerbholz zerbrechen

Bevor ihm die letzte Ölung gespendet wurde, wünschte der Kranke, so er noch bei Sinnen war, in der Regel beichten zu dürfen. Die Angehörigen und wir Ministranten verließen dann das Zimmer, um dem Kranken seine letzte Aussprache mit Gott zu ermöglichen. In der Stille der Beichte offenbart ein Katholik seine tiefe seelische Not, die er vielleicht lange mit sich getragen hatte. Die Vergebung durch den Priester, die Absolution, brachten dem Sterbenden oft eine sofortige und sichtbare Erleichterung. Es war, als ob die schwere Last von den Schultern fiel und  sein Herz wieder Frieden fand.

Die Kraft der Rituale

Nach der Beichte kehrten wir ins Zimmer zurück. Den Weihrauchduft, den wir währenddessen tüchtig im Flur verbreiteten, hüllte das Haus in einen heiligen Schleier. Der Priester, neben dem Kranken sitzend, sprach lateinische Gebete und Fürbitten. Dann tauchte einen Finger in das heilige Öl und zeichnete damit ein Kreuz auf die Stirn und die Hände des Kranken. Dies ist das letzte Sakrament, das ein Katholik empfangen kann. Diese heilige Salbung war es, die ihn auf dem letzten Weg stärkte und die so gereinigte Seele Gott anvertraute. Der Segen des Priesters galt nicht nur dem Sterbenden, sondern auch den Angehörigen samt Kinderschar, die in dieser Stunde des Abschieds Trost fanden. Näheres unter (Jak 5,14-15).

„Jetzt kann ich in Frieden sterben“, flüsterte der Kranke oft, und diese Worte zeugten von einer tiefen, gelebten Gläubigkeit. Befreit von der Angst vor dem Unbekannten, konnte er sich dem Tod in der Gewissheit hingeben, dass er nicht allein war. Sein Glaube versprach ihm, dass er an der Pforte des Himmels empfangen würde, nicht als Fremder, sondern als ein Kind Gottes, das heimkehrt.

Deutschland ohne Salbung

Doch heute steht unser Land vor einem ganz anderen Tod. Statt der heiligen Ölung erwartet Deutschland den letzten Ölwechsel, bevor das Verbrennerauto in der Schrottpresse der Geschichte verschwindet. Diejenigen, die diese Krise verursacht haben, können nicht auf das Mitleid der Kirche hoffen. Denn diese sitzt in diesem Fall mit im Wendeboot, das auf direktem Kurs in den ökonomischen Abgrund treibt. Das Heulen und Zähneklappern der Verantwortlichen wird im Universum widerhallen, doch ohne Hoffnung auf Vergebung. Doch wer weiß?

Denkmäler für diese Verursacher wird es nicht geben. Ihre Namen werden nicht auf Marktplätzen verewigt, sondern in Vergessenheit geraten – wie der Staub vergangener Zeiten, den die letzten Windräder davontrugen.

So wie die letzte Ölung im Leben des Gläubigen den endgültigen Übergang markiert, so scheint auch für Deutschland eine Schwelle überschritten, von der es keinen einfachen Rückweg gibt. Ohne Reue, Einsicht und Umkehr bleibt nur der Abstieg, denn die verantwortlichen Entscheidungsträger haben sich von der Vernunft und den moralischen Grundlagen entfernt, auf denen unser Land einst fest stand.

Möglicherweise wird im Bundestag bald gesungen „Eine feste Burg ist unser Gott“, wenn es noch etwas hülfe.

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