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Ist „Air Defender“ eine Gefahr für uns?

Deutschland ruft zur großen Übung „Air Defender 2023“: Soldaten aus 25 Nationen mit 250 Luftfahrzeugen wollen sich auf den Ernstfall vorbereiten, einen Krieg mitten in Deutschland. Der fiktive östliche Aggressor wie auch der Zeitpunkt der Übung legen nahe, dass die Bundeswehr wie auch die beteiligten NATO-Staaten ein Signal an Russland senden wollen, das weiterhin mit der Ukraine Krieg führt. Wieviel Provokation steckt hinter der Übung – und welcher Platz kommt Deutschland eigentlich in einem System „kollektiver Sicherheit“ zu?

Ein Beitrag von EinProzent

Deutschland als „Drehscheibe“

„Air Defender“ ist besonders: Es ist die größte Verlegeübung von Luftstreitkräften seit Bestehen der NATO, wie die Bundeswehr selbst schreibt. Damit stehen aber bereits zwei der wichtigsten Punkte zu der Operation fest: Einerseits ist nicht die NATO Ausrichter von „Air Defender“ (sondern Deutschland), andererseits geht es im Kern nicht um das Trainieren von Kampfeinsätzen, Luftangriffen und dergleichen. Der Bundeswehr-nahe Blog Augen geradeaus! schreibt etwa, dass mit dem Start der Übung „das wesentliche Ziel bereits erreicht“ sei. Nämlich so viele beteiligte Flugzeuge überhaupt nach Europa zu transferieren. Allein aus den USA seien über 100 Maschinen eingeflogen worden – zu Zeiten des Kalten Krieges hatte „der große Partner“ der Bundeswehr eine solche Zahl von Flugzeugen einfach bereits im Land stationiert.

Die fiktive Lage, in der das multinationale Bündnis (hauptsächlich NATO-Staaten, aber auch Schweden und Japan) die Hafenstadt Rostock vor feindlichen Truppen beschützt, ist also mehr Anhängsel als Kernelement von „Air Defender“. Dementsprechend äußerte sich auch Generalleutnant Günter Katz, der betonte, dass die Übung als Nachweis zur Funktionsfähigkeit Deutschlands als logistische Drehscheibe diene. Das passt einerseits gut zur geopolitischen Rolle, die Deutschland innerhalb Europas derzeit spielt (nämlich die eines Umschlagpunkts für US-Truppen), andererseits fällt es schwer, daraus eine Provokation gegen die Russische Föderation abzuleiten. Allein, als Signal muss es verstanden werden.

Signal an „niemanden“?

Auf Überflüge und Scheinangriffe in Richtung der russischen Stadt Königsberg verzichten die Übungsteilnehmer ganz bewusst. Auch weist die Bundeswehr jeglichen Zusammenhang zum Ukrainekrieg von sich – die Übung sei schon seit 2018 in der Planung und damit keine Reaktion auf die sog. Spezialoperation der Russen. Was aber auch zur Wahrheit gehört: Bereits im Jahr 2018 lagen die geostrategischen Karten auf dem Tisch; dass Deutschland mit den USA und der NATO zusammen stark gegen Russland aufzutreten hat, das dürfte jedem höheren Bundeswehrverantwortlichen zu jedem Zeitpunkt klargewesen sein.

Aber dass die vermutete russische Bedrohung eben immer mitschwingt, merkt man an den Stellungnahmen zur Übung: Der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Ingo Gerhartz, sprach zwar davon, dass die Übung „gegen niemanden“ gerichtet sei, außer als Signal an die teilnehmenden Bündnispartner selbst. Dass die Durchführung von „Air Defender“ aber mit Blick auf den Ukrainekrieg noch einmal eine ganz andere Bedeutung bekäme, muss auch er zugeben.

Die US-Botschafterin Amy Gutmann hingegen erklärte, es würde sie „sehr wundern, wenn irgendein Staatsoberhaupt der Welt nicht zur Kenntnis nehmen würde, was dies in Bezug auf den Geist dieses Bündnisses, das heißt die Stärke dieses Bündnisses, zeigt.“ Das schließe auch Wladimir Putin ein. Ähnlich äußerte sich auch Eva Högl (SPD), die Wehrbeauftragte des Bundestags, die die Übung klar als Signal an Russland bewertete.

Was Deutschland noch lernen muss

Dass sich die Streitkräfte in irgendeiner Weise zu einem Krieg in Europa verhalten müssen, ist selbstverständlich – und wenn es nur militärstrategische Überlegungen sind. Der Krieg in der Ukraine macht schließlich auch deutlich, welchem Fehlschluss die verkleinerte und auf kleine Auslandseinsätze ausgerichtete Bundeswehr unterlag. Konventionelle Kriege sind weiterhin ein Thema; Augenwischerei betrieb derjenige, der die Bundeswehr schon als eine Art „bewaffnete Schülerlotsentruppe“ im humanitären Dauereinsatz sah. Selbstverständlich beobachtet man in den deutschen Führungsstäben das Vorgehen der jeweiligen Konfliktparteien in der Ukraine ganz genau; ebenso selbstverständlich müssen sie die eigene Militär-Doktrin daran anpassen und diese auch üben.

Davon abzugrenzen ist die Einbindung Deutschlands in das NATO-Bündnis und die damit einhergehende, enge Verknüpfung mit den USA: Denn die geopolitischen Ziele der Vereinigten Staaten müssen nicht zwangsläufig dieselben sein wie die Deutschlands oder Europas. „Air Defender 2023“ ist sicherlich nicht der Auftakt für einen dritten Weltkrieg und auch keine unangemessene Provokation, zu der sie in manchen rechten Medien derzeit gemacht wird. Aber die Übung macht deutlich, wo die Bundeswehr unseren Platz in der Welt sieht: Als Drehkreuz für die US-amerikanischen Streitkräfte, die über Deutschland überall dorthin Truppen und Gerätschaften entsenden, wo diese den Interessen Washingtons dienen. Eine selbstbewusste Nation muss diese Steigbügelfunktion hinterfragen. Unaufgeregt, entschlossen und mit einer klaren Vision, wie eine Friedensordnung in Europa aufrechtzuerhalten und zu verteidigen ist – gegen wen auch immer.