Wladimir Putin während seiner Ansprache am 24.6.2023 - Foto: Imago

Russland: Putsch, Putin & Prigoschin – der Tag danach

Es ist Sonntag, der 25.06.2023, 13.00 Uhr MEZ. Es wäre naiv, anzunehmen, der Ukrainekrieg als Stellvertreterkrieg im Kampf um eine neue, multipolare Weltordnung, internationale Geheimdienste und der 24-Stunden-Putsch von Wagner-Chef Prigoschin hätten nichts miteinander zu tun, weshalb es bei der Aufregung gestern den ganzen Tag um eine innerrussische Angelegenheit gegangen sei und um sonst nichts.

von Max Erdinger

Wagner-Chef Prigoschin scheint an einem wunden Punkt geknackt worden zu sein. Unmittelbarer Auslöser für seinen Entschluß, seinen “Marsch der Gerechtigkeit” auf Moskau zu starten, um die Regierung Putin zu stürzen und sich dabei als Retter Russlands zu begreifen, war wohl seine Überzeugung,  die Wagner-Gruppe sei von russischen Raketen angegriffen worden. Daß er das geglaubt hat, ist einer Vorgeschichte geschuldet. Ab nächstem Monat hätte die Wagner-Gruppe dem russischen Verteidigungsministerium und der Führung jener Streitkräfte unterstellt werden sollen, die Prigoschin bekanntermaßen für “Luschen” hält. Prigoschin war alles andere als einverstanden damit. Wenn man ihn also glauben machen konnte, daß sein Widerstand gebrochen werden sollte, indem man ihm signalisierte, daß man auf die Wagner-Gruppe eher verzichten resp. sie sogar bekämpfen würde, anstatt sie weiterhin seinem Kommando zu überlassen, dann könnte das bei Prigoschin insofern auf “furchtbar fruchtbaren” Boden gefallen sein, als daß es seine persönliche “Paranoia” bestätigt hätte. Als “sabotiert” vom russischen Verteidigungsministerium und der russischen Heeresführung, von den Herren Shoigu und Gerassimow also, kam er sich wegen der unzureichenden Versorgung mit Munition ohnehin schon länger vor. Überhaupt war Prigoschin mit der russischen Kriegsführung ganz allgemein nicht einverstanden. Da brauchte es nur noch den einen, entscheidenden Impuls, den Tropfen, der das Faß gar zum Überlaufen bringt, um ihn davon zu überzeugen, daß er und seine Söldner beseitigt werden sollten. Der knapp 24-stündige Putsch per “Marsch der Gerechtigkeit” auf Moskau wäre dann eben das Resultat gewesen.

Wer hat Prigoschin den Floh ins Ohr gesetzt?

Gegen 18 Uhr gestern Abend scheint sich das Mißverständnis vom russischen Raketenangriff auf die Wagner-Gruppe aufgelöst zu haben. Zwar war die Wagner-Gruppe tatsächlich angegriffen worden, wobei zwei Fahrzeuge der Wagner-Gruppe zerstört wurden, und tatsächlich kam der Angriff auch nicht aus ukrainischer, sondern aus russischer Richtung. Es waren aber keine Russen, die da angegriffen hatten. Das scheint man Prigoschin glaubhaft vermittelt zu haben. Er war in eine geheimdienstliche Falle getappt, bzw. in einen Teil der Falle. Die hatte nämlich einen zweiten. Ich komme gleich darauf zurück. Prigoschin stoppte daraufhin jedenfalls seinen Marsch auf Moskau und befahl seinen Söldnern, in ihre Feldlager zurückzukehren. Zu diesem Zeitpunkt waren Kadyrows Tschetschenen auf ihrem Marsch nach Rostow am Don nur noch zwei Stunden vom Einsatzziel entfernt, wo sie nach dem medial kolportierten Willen Putins der Wagner-Gruppe hätten den Garaus machen sollen. Das hat sich nun unblutig erledigt. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie abgrundtief dämlich sich Prigoschin selbst vorgekommen sein muß, als ihm klar wurde, von wem er auf welche Weise hereingelegt worden war. Wenn er denn hereingelegt wurde und nicht eine vorher mit Putin abgesprochene Rolle spielte. Das könnte nämlich durchaus sein.

Kurz bevor Prigoschin wegen des vermeintlich russischen Raketenangriffs auf die Wagner-Gruppe seinen “Marsch der Gerechtigkeit” startete, und während er bereits lief, waren vom russischen Geheimdienst FSB in Moskau mehrere Terrorverdächtige festgenommen worden, die offensichtlich eine Serie von Sprengstoffanschlägen im gesamten Stadtgebiet geplant hatten. Sie sollen vom ukrainischen Geheimdienst eingeschleust worden sein, um als zweiter Teil der Falle zu funktionieren. Der Plan war offenbar, in Moskau Chaos, Zerstörung und Verwirrung zu stiften, während Prigoschin nach Moskau marschiert, wo er von der Bevölkerung dann als Befreier von jenem Chaos begrüßt werden sollte, für das die Bevölkerung zweifellos die russische Staatsführung, respektive Shoigu und Gerassimow verantwortlich gemacht hätte, wodurch Putin gezwungen worden wäre, aus Sicherheitsgründen den Kreml zu verlassen. Eine neue Variante des Maidan-Putsches in Kiew von 2013/2014. Der Gesamtplan scheint vom britischen MI-6 ausgeheckt worden zu sein, wie aus Kreisen von Ex-CIA-Mitarbeitern zu hören ist. Die zweiteilige Falle laut MI-6/CIA/SBU-Plan also: Prigoschin und die Wagner-Gruppe fungieren als die eine Komponente im Plan, der Terror per Anschlagsserie in Moskau als die zweite. Die beiden Komponenten dieser Inszenierung erscheinen zunächst als unabhängig voneinander auftretende Phänomene und ergänzen sich nach Prigoschins Ankunft in Moskau zu einem sinnvollen Ganzen. Putin muß sich in Sicherheit bringen.

Daß innerhalb Russlands ein Raketenangriff von Nichtrussen auf die Wagner-Gruppe gestartet werden kann, liegt daran, daß die russische Grenze noch immer ziemlich durchlässig ist. Sie wird nicht lückenlos gesichert, weil das angesichts ihrer Länge einen Personal- und Technikaufwand bedeuten würde, der schwerlich zu gewährleisten wäre. So konnte bereits die Attentäterin Natalia Vovk, die im vergangenen Jahr Darja Dugina, die Tochter von Alexander Dugin, mit einer Autobombe tötete, sogar als ukrainische SBU-Agentin recht ungehindert mit einem Privatfahrzeug nach Russland einreisen und unter Verwendung eines neuen Kennzeichens mit demselben Auto auch wieder ausreisen. Es war auch für ukrainische Truppen kein größeres Problem, von Charkow aus auf das Gebiet von Belgorod zu gelangen, um dort eine zeitlang zu marodieren, ehe sie von Russen wieder vertrieben werden konnten. Anfang Mai gab es den Drohnenangriff auf den Kreml  – und alles weist daraufhin, daß diese Drohnen in Russland selbst gestartet wurden, bedient von Leuten, die unbemerkt ins Land kommen konnten.

Eine Frage der Glaubwürdigkeit

Entlarvend ist in diesem Zusammenhang der Schnack des “Militärexperten” Nico Lange (CDU) beim ZDF am heutigen Tage, der noch immer das Narrativ verbreitet, die Angriffe in der Region Belgorod von vor drei Wochen auf ur-russischem Territorium seien von äußerst mysteriösen “Anti-Putin-Russen” durchgeführt worden, die seither – weiß der Geier weshalb – wieder völlig vom medialen Westbildschirm verschwunden sind. Hat jemand etwas von einer russischen “Anti-Putin-Truppe” gehört in der vergangenen Woche? – Nicht? In der vorvergangenen vielleicht? – Auch nicht? Machen die “Anti-Putin-Russen” vielleicht Urlaub? Ob sie wohl jemals wieder aus dem Urlaub zurückkommen werden? Oder wurden sie gar vom Virus dahingerafft?

Es ist so: Der Kriegsberichterstatter Patrick Lancaster hatte die fragliche Kampfzone bei Belgorod inspiziert und jede Menge Beweise dafür vorgefunden, daß des “Militärexperten” Langes (CDU) “Anti-Putin-Truppe” in Wahrheit ukrainische Armee gewesen ist, die dort ein wenig marodiert hat, ehe sie von den Russen wieder vertrieben wurde. Amerikanische und NATO- Munitionsreste, darunter Streumunition, ukrainische Zigarettenkippen, blaugelbe Plastikbänder und so weiter. Es gibt ein eindrucksvolles Video von Lancasters Inspektionsreise durch das russische Grenzgebiet zwischen Charkow und Belgorod, welches das Narrativ des deutschen “Militärexperten” ins Reich der Märchen verweist.

Der “Mann fürs ZDF”, der CDU-Politiker Nico Lange hingegen, ist kein Kriegsberichterstatter, sondern Politikwissenschaftler und Politikberater. Genau der richtige Mann, um vom “ZDF” zu Putsch, Putin & Prigoschin befragt zu werden. Auskunft des “ZDF” zu seiner Person: “Er arbeitet seit Juli 2022 für die Zeitenwende-Initiative bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Zuvor war Lange bis 2018 für die Konrad-Adenauer-Stiftung tätig, leitete unter anderem die Auslandsbüros in der Ukraine und in den USA. Lange arbeitete anschließend für die Saarländische Staatskanzlei und in der CDU-Zentrale. Von 2019 bis 2022 war er Leiter des Leitungsstabes im Bundesministerium der Verteidigung.” – Nichts als die Wahrheitsliebe trägt er daher im lauteren Leiterherzen, der “Militärexperte” vom Leitungsstab fürs “ZDF”. Na logo … – und niemals würde das “ZDF” zulassen, daß den Zuschauern jemand die Story vom Pferd auftischt.  Grundehrliche “Experten” so weit das Auge reicht. Das aber nur nebenbei.

Was geschieht nun?

Wladimir Putin scheint sich am heutigen Sonntag wieder einigermaßen beruhigt zu haben. Während seiner kurzen, sehr ernsthaft vorgetragenen Ansprache gestern, sprach er noch von einem Dolchstoß Prigoschins in den Rücken Russlands und davon, daß die Putschisten allesamt zur Verantwortung gezogen werden würden. Dem allerdings standen gestern schon die Versicherungen Prigoschins gegenüber, die Motive seines Marsches auf Moskau seien der allerpatriotischsten Natur.

24 Stunden später stellt sich die Situation folgendermaßen dar: Prigoschin hat sich zwar bis auf die Knochen blamiert, wird aber nicht angeklagt werden. Er wird sich stattdessen in Weißrussland niederlassen. Daß er noch Chef der Wagner-Gruppe bleiben wird, darf man wohl ausschließen. Jedoch wird die russische Justiz nichts weiter gegen ihn unternehmen. Die großflächigen Rekrutierungs-Plakate für die “Wagner-Gruppe” im ganzen Land sind über Nacht verschwunden.

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Seit heute in ganz Russland verschwunden: Wagner-Werbung für Rekrutierungen – Foto: Imago

Die Wagner-Söldner, die sich an Prigoschins Marsch auf Moskau beteiligt hatten, kommen ebenfalls straffrei davon. Auf allen russischen Seiten herrscht heute offiziell die Einsicht, daß sie ums Haar einem perfide eingefädelten Plot auf den Leim gegangen sind. In welcher Form die Wagner-Gruppe weiterhin für Russland kämpfen wird, muß man abwarten. Darüber läßt sich im Augenblick noch nicht viel sagen. Anzunehmen ist, daß sie zu einem großen Teil der regulären russischen Armee unterstellt werden wird. Aber ist es wirklich so, daß alle der Ansicht sind, sie seien ums Haar einem perfide eingefädelten Plot auf den Leim gegangen? Oder gäbe es da auch inoffizielles Wissen?

Merkwürdig: Ist Putin  der schlaueste Fuchs aller Zeiten?

Es gibt gewisse Merkwürdigkeiten, die in der Zusammenschau zu der Annahme verleiten, für Putin sei der perfide eingefädelte Plot gar keine Überraschung gewesen – und daß Prigoschin in Wahrheit nur an seinem wunden Punkt geknackt worden zu sein scheint – mit Betonung auf “scheint”. Daß er geknackt worden ist, wäre für die öffentliche Meinungsbildung dabei vollkommen ausreichend – und propagandistisch direkt nützlich.

Die erste Merkwürdigkeit: Putin hat Prigoschin seit Wochen ungehindert über Shoigu und Gerassimow ablästern lassen. Sogar als Prigoschin den russischen Präsidenten selbst als “vollendete Arschgeige” bezeichnet hatte, blieb Wladimir Putin merkwürdig passiv und tat so, als habe er nichts gehört. Das legt den Verdacht nahe, daß Prigoschin um die Folgenlosigkeit seiner Verbalinjurien gegen Shoigu, Gerassimow und zuletzt Putin gewusst haben muß, ehe er sie vom Stapel ließ, was wiederum den Verdacht begründet, daß es sich um kalkulierte Provokationen in Absprache mit Putin gehandelt haben könnte. War Prigoschin ein Fake-Doppelagent? Wusste Putin, daß westliche Geheimdienste an Prigoschin drangewesen sind? Hat es ihm Prigoschin selbst erzählt? Und haben sie daraufhin einen gemeinsamen Plan geschmiedet, wie der vom Westen perfide eingefädelte Plot hinsichtlich seiner Auswirkungen in sein Gegenteil verkehrt werden könnte? Wurde Prigoschin für die Übergabe seiner “Wagner-Gruppe” an die russische Militärführung ein reichlich vergoldeter Ruhestand bei Freund Lukaschenko in Weißrussland schon lange vorher versprochen? Nach wessen Plan ist der gestrige “24-Stunden-Putsch” tatsächlich verlaufen? Wer hat gewonnen, wer hat verloren? Hat Prigoschin nur in der öffentlichen Wahrnehmung verloren – oder tatsächlich?

Die zweite Merkwürdigkeit: Eine erstaunlich milde Gegenwehr gegen Prigoschins Marsch auf Moskau am gestrigen Tag. Da bewegen sich also Konvoys der “Wagner-Gruppe” auf der Autobahn M4 Richtung Moskau und bieten dabei das Bild eines Hundes, der sich unterwürfig auf den Rücken legt und ohne jede schützende Deckung seinen verwundbaren Bauch präsentiert. Nichts wäre für die russische Luftwaffe leichter gewesen, als diese Konvoys bis auf das letzte Fahrzeug auszuradieren. Aber es ist nicht geschehen. Stattdessen Aktionen, die weniger an Verteidigung, sondern mehr an Verteidigungssimulation gemahnen. Kurz vor Moskau rückten Bagger an, die auf einer Fahrbahnlänge von weniger als fünf Metern einfach den Asphalt der M4 aufgerissen – und ein paar Gräben hinterlassen haben. Schäden, die mit wenig Aufwand innerhalb eines Tages wieder repariert werden können.

Die dritte Merkwürdigkeit: Der Ex-Oligarch Chodorkowski, ein “Dissident”, ein “Freiheitsheld” und “persönliches Opfer des Diktators Putin”, rein zufälligerweise westlicher Wunschkandidat für das russische Präsidentenamt, sozusagen “Jelzin der Zweite” in spe, brüllt am gestrigen Tage heraus, daß Prigoschin seine ganze Unterstützung habe. Prigoschin! Prigoschin! Prigoschin! Ha-ha-ha! Ich kann nicht mehr. 24 Stunden später muß auch Chodorkowski sich eingestehen, daß er vielleicht ein wenig voreilig gewesen ist – und daß er es ab heute für alle Zeiten in Russland verschissen hat. Schöner hat sich noch keiner geoutet. Es wird für Putin von höchstem Interesse sein, was Chodorkowski eigentlich wusste von den Plänen des MI-6 und des ukrainischen Geheimdienstes. Nawalny, diese hochpotente Phantasiefigur des Westens, die in Russland kaum jemand kennt, dürften gestern gegen 18 Uhr ebenfalls die Gesichtszüge entglitten sein.

Die vierte Merkwürdigkeit: Mit dem heutigen Tag stehen auch Shoigu und Gerassimow unter einem gewissen Rechtfertigungsdruck, ohne daß sich Putin recht eindrucksvoll von ihnen distanzieren müsste. Kein Zweifel, daß Prigoschins monatelanges Gemaule in der Sache seine Berechtigung hatte – und daß Putin dabei einen merkwürdig unbeteiligten Eindruck hinterlassen hat. Daß der “Marsch auf Moskau” unzweifelhaft stattgefunden hat, – dafür sollten Shoigu und Gerassimow besser ein paar vernünftige Erklärungen liefern können. Meine Prognose ist, daß die beiden bald abgelöst werden – und daß dann sowohl Putin als auch Prigoschin erreicht hätten, was sie wollten, aber nicht einmal Putin hätte durchsetzen können. Das russische Militär ist mächtig und folgt seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten, so, wie das amerikanische aus ganz anderen Gründen ebenfalls. Der Druck auf Shoigu und Gerassimow erfolgt seit heute aus dem russischen Militär selbst.

Die fünfte Merkwürdigkeit: Auch der ukrainische Präsidentendarsteller aus dem Fernsehen, der seine Rolle als “Diener des Volkes” vor über drei Jahren aus dem Studio heraus nach Kiew in den Präsidentenpalast verlegt hatte, war am gestrigen Tage voll des Lobes für den “klugen Prigoschin”. Das ist merkwürdig, hat doch derselbe Selenskyj als “Diener des Volkes” vor wenigen Wochen noch Prigoschin als den Schlächter “seiner Ukrainer” in Bachmut – ( in Wahrheit “sein humanes Kriegsmaterial der NATO”) – zur Hölle gewünscht. Was hielt Selenskyj hinsichtlich Prigoschins Rolle beim “Putsch” für sein gesichertes Wissen?

Woher hätte Putin wissen sollen, daß …?

Das ist dem westlichen Medienkonsumenten nicht so ohne weiteres klar zu machen, da er ständig mit ukrainischen Erfolgsmeldungen gefüttert wurde, mit Nachrichten von “Unterstützung für die Ukraine bis zum letzten Mann”, die “gerechte Sache” der Ukrainer, die äußerst vielversprechende “Gegenoffensive” – (die unter enormen Verlusten kläglich gescheitert ist) –  und so weiter, und so fort. Daß die Ukrainer von allem Anfang nie -, noch nicht einmal mit der Unterstützung der NATO, auch nur den Hauch einer Chance hatten, einen konventionellen Landkrieg gegen Russland für sich zu entscheiden, wussten westliche Militärexperten wie Colonel Douglas Macgregor, Scott Ritter und etliche andere, die lediglich nicht unangenehm auffallen wollten mit entsprechenden Äußerungen. Außerdem wusste es Wladimir Putin. Er ist der Stellschraubenmeister, was die Intensität des Krieges angeht, nicht die USA und die NATO. Nur das westliche Medienpublikum durfte es nicht wahrhaben. Das Medienpublikum kämpft aber nicht in der Ukraine, sondern es begnügt sich recht siegreich damit, Ukrainefähnchen zu schwenken.

Was Putin also wusste, war, daß aufgrund der Unmöglichkeit für die NATO, einen konventionellen Landkrieg in der Ukraine für sich zu entscheiden, im Westen die Notwendigkeit bestand, sich etwas völlig Neues einfallen zu lassen, um die Abermilliarden zu retten, die bis dahin in der Ukraine versenkt worden waren.  Da geht es ja nicht nur um die enormen Ackerflächen, die eingekauft worden waren und so vieles andere, sondern auch um die Milliarden, die der Ukraine zu Kriegszwecken von den USA geliehen, nie aber geschenkt worden waren. Die Ukraine hätte das alles zurückzuzahlen. Eine Last für Generationen von Ukrainern. BlackRock verhandelte diesbezüglich schon emsig. Die Generalvoraussetzung dafür, daß die Investitionen nicht unwiederbringlich in den fruchtbaren ukrainischen Schlamm gesetzt worden sind, ist aber, daß die Ukraine als Nation überlebt und weiterhin eine amerikahörige Regierung hat. Wenn also militärischer Sieg nicht geht, was bleibt dem Westen dann übrig? – Solche Geschichten eben wie Prigoschins “Marsch der Gerechtigkeit” auf Moskau. Jeder, der nicht auf die westliche Medienpropaganda der vergangenen anderthalb Jahre zum Ukrainekrieg hereingefallen ist, konnte sich anhand der jüngsten Entwicklungen im Krieg an drei Fingern abzählen, daß etwas in der Art von “Marsch der Gerechtigkeit” wird stattfinden müssen. Daß das konkret so aussehen würde, wie es sich gestern zeigte, ist erst seit heute klar.

And the winner is …

And the winner is: Wladimir Putin! Und zwar unter einer ganzen Reihe von Aspekten. Der wichtigste wahrscheinlich: Seit dem heutigen Sonntag ist er in Russland nicht nur beliebt, sondern wird wahrscheinlich sogar vergöttert. Ein weiterer Schuß in den Ofen des kollektiven “Wertewestens”. Folge: Russland dürfte allmählich endgültig genug von den westlichen “Spielchen” haben und sich überlegen, ob an der amerikanischen Idee, einen begrenzten und kontrollierten Nuklearschlag mit “taktischen Atomwaffen” zu führen, nicht etwas dran sein könnte. Die entsprechenden Sicherheitsverträge hätten sie schließlich ebenfalls nicht selbst aufgekündigt.

Wenn sich der “kollektive Wertewesten” nicht bald bedingungslos geschlagen gibt in der Ukraine, wird das weiter eskalieren müssen. Scott Ritter meint, es sei nicht ganz abwegig, zu unterstellen, daß Russland sehr bald die NATO vor eine fundamentale Entscheidung stellen wird, die in etwa so aussehen könnte: Ein begrenzter russischer Nuklearschlag gegen eine polnische Stadt. Scott Ritter nennt Posen (Poznan) als mögliches Ziel. Daraufhin müssten sich die USA und die NATO überlegen, wie sie reagieren im Wissen, daß die nächste Stadt nach Poznan in Amerika läge: Boston an der Ostküste zum Beispiel. Dann stünden die USA endlich vor der alles entscheidenden Frage: Ist ihnen die Schwächung Russlands, die bedingungslose Unterstützung der Ukraine und die erzwungene Vasallenschaft der EU-Länder tatsächlich wert, daß amerikanische Städte dafür draufgehen?

Man kann nur noch Stoßgebete gen Himmel schicken, daß die US-amerikanischen Arroganzler in ihrer Hybris endlich zur Vernunft kommen. Russland wird niemals mehr zu ihrer Verfügungsmasse zählen. Und wenn darüber die ganze Welt untergeht. Chodorkowski wird niemals der alkoholfreie “Jelzin der Zweite” werden. Das US-amerikanische Zeitalter als Welthegemon ist zu Ende. Die US-Falken sollten sich besser damit abfinden, daß sie ihre “Ukraine-Investitionen” komplett in den Sand gesetzt haben. Die Suppe haben sie sich absolut selber eingebrockt in ihrer Hybris. Dazu gibt es eine lange und eine kurze Geschichte. Die lange fängt mit der NATO-Osterweiterung an, die kurze mit dem Maidan-Putsch 2013/2014. Es waren kluge Politiker im Westen, die bereits Mitte der Neunziger Jahre prognostiziert hatten, daß sich die NATO-Osterweiterung als der amerikanische Kardinalfehler des 21. Jahrhunderts herausstellen wird. Genau so ist es gekommen. – Live with it!

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