Memoiren schreiben - Symbolfoto: Imago

Selenskyjs Memoiren: Wie ich einmal beim NATO-Gipfel gewesen bin

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Wolodymyr Selenskyj ist inzwischen tief enttäuscht vom NATO-Gipfel in Vilnius nach Kiew zurückgekehrt. Dort sitzt er neben einem Berg von Puderzucker oder Weizenmehl an seinem Schreibtisch und verfasst seine Memoiren für die Nachwelt. Eine Satire.

von Max Erdinger

Liebe Nachwelt! Mit den schönsten Hoffnungen bin ich nach Vilnius gefahren. Viele Menschen jubelten mir dort zu. Aber ich hatte gleich den Verdacht, dass es nicht echt gewesen ist. Die sahen alle so aus, als seien sie dafür bezahlt worden, damit die Westmedien schöne Bilder erhalten. Später dann, als die Jubelperser weg waren, war ich ziemlich einsam. Alle meine Hoffnungen wurden ebenfalls zerstört. Meine Ukraine wird kein NATO-Mitglied werden. Noch nicht einmal eine Einladung für eine NATO-Mitgliedschaft habe ich erhalten. Von Sicherheitsgarantien für mein Land haben sie stattdessen geredet, diese hundsgemeinen Säcke. Dann kam heraus, dass es gar keine Sicherheitsgarantien der NATO sind, sondern welche der G7. Ich musste bitterlich weinen. Als ob ich nicht schon traurig genug gewesen wäre, hackten sie weiter auf mir herum. Weil ich bloß einen Meter siebzig groß bin. Oder klein.

Es ist ein schrecklicher Schlag für mich und mein Land. Nach all den Jahren des Kampfes, der Opfer und des Leids, nach all den Träumen von Sicherheit und Stabilität, stehe ich nun hier, mit gebrochenem Herzen und ohne die erhoffte Unterstützung. Es ist schwer zu ertragen, dass die Welt meine Ukraine nicht so sieht, wie ich es tue. Dass sie meine Bemühungen und meine Visionen nicht anerkennen. Stattdessen fühle ich mich allein gelassen und verraten, von denen, die ich für meine Verbündeten gehalten habe.

Aber ich werde nicht aufgeben. Auch wenn die Straße steinig ist und die Zukunft ungewiss, werde ich weiterkämpfen für mein Land und für die Menschen, die mir so viel bedeuten. Denn auch wenn wir klein erscheinen mögen, so tragen wir doch große Träume in unseren Herzen. Träume von Frieden, Freiheit und einem besseren Morgen. Und solange ich atme, werde ich nicht ruhen, bis diese Träume Wirklichkeit geworden sind.

Während ich bereits von Weinkrämpfen geschüttelt wurde, drückten mir die NATO-Fieslinge mit einem hämischen Grinsen in ihren hochmütigen Westvisagen auch noch rein, dass die Sicherheitsgarantien von jedem Land der G7 einzeln gegeben würden und dass es jedem dieser Länder selbst überlassen bleibt, wann es das tun will. Fast wäre ich auch noch ohnmächtig geworden. Als ich wütend mit dem Fuß aufstampfte, während mir Sturzbäche von Tränen über die Wangen liefen, so dass mein Bart ganz nass wurde, bohrte mir der Engländer mit seinem indischen Zeigefinger eine Delle in mein schönes olivgrünes Hemd und blaffte mich an, dass er nicht Amazon sei, wo ich einfach so alles bestellen kann, was mir gefällt. Und dass ich gefälligst dankbar sein soll für den ganzen nutzlosen Krempel, den sie bisher bei mir in meiner Ukraine abgestellt haben, um sich daheim die Verschrottungskosten zu sparen.

Bestimmt übernehmen sie auch die Kosten für die Verschrottung nicht, wenn mir der Putin die Rechnung dafür schickt und dazu schreibt, dass er nicht der soziale Verschrottungs-Hilfsdienst e.V. ist. Bei mir in der Ukraine stehen eine Menge alter Schrottpanzer herum, die mir der Westen vorher angepriesen hat als den allereffektivsten Russenschreck. Diese Tierpanzer sind alle verreckt. Und innendrin schaut es erst recht aus wie Sau. Überall geborstene Knochen und Fettspritzer. Nicht schön.

Es ist eine bittere Erkenntnis, dass diejenigen, von denen ich Unterstützung erhofft hatte, sich letztendlich als Schlangen herausstellen, die nur darauf bedacht sind, ihre eigenen Interessen zu verfolgen. Die Realität ist grausam und unbarmherzig, und die Träume von Sicherheit und Stabilität, die ich hatte, wurden jäh zerstört. Doch trotz all dieser Rückschläge werde ich nicht aufgeben. Ich werde kämpfen, bis meine Ukraine die Anerkennung und Unterstützung erhält, die sie verdient.

Vom lieben Onkel Joe aus Amerika bin ich auch schwer enttäuscht worden. Noch vor einem Jahr hat er behauptet, er würde mich so lange unterstützen, wie es eben braucht, um den letzten fiesen Russen aus meiner Ukraine zu vertreiben. Ich fürchte, der hat nie wirklich geglaubt, daß es meine Ukraine ist, sondern daß er gedacht hat, es ist seine. Und daß er sich verstellt hat, um mich zu täuschen. In Vilnius hat er mir die Pistole auf die Brust gesetzt und mir unverblümt erklärt, was neuerdings Sache ist: entweder ich kämpfe ihm bis November einen Weg auf die Krim frei, oder ich kann weitere Waffenlieferungen vergessen. Was kann denn ich dafür, daß er wegen seinem Sohn Hunter auf einmal am liebsten vergessen würde, wie sehr er meine Ukraine einmal geliebt hat? – Eben. Gar nichts. Als das mit dem Hunter, Burisma, den anderen Crack-Kumpels und den Provisionszahlungen an den “Big Guy” gewesen ist, habe ich doch noch auftragsgemäß den “Diener des Volkes” im Fernsehen gespielt und keinen Cent von Burisma bekommen. Das ist doch nicht fair?

Was soll ich denn jetzt machen in meiner Ukraine? Immer mehr meiner Ukrainer rechnen mir kleinlich vor, daß ich 300.000 von ihnen über die Klinge hätte springen lassen. Für nichts und wieder nichts. Da kann doch ich nichts dafür. Ich habe doch nur gemacht, was die Engländer und die Amis mir aufgetragen haben. Außerdem sind es doch meine. Mit denen kann ich machen, was ich will. In den Fleischwolf werfen, Defätisten verhaften, Oppositionelle einknasten, ethnische Russen erschießen, Studenten zwangsrekrutieren lassen. Schließlich bin ich der Diener des Volkes und nicht sie selber. Meine Ukraine ist eine freiheitliche Demokratie. Die Uschi aus Brüssel ist auch nicht so freundlich wie sie immer tut, glaube ich. Damit ihr euch vorstellen könnt, welche Albträume mich plagen, habe ich mir vom Kolomojskyj seinem Trickfilmer mal ein Bild anfertigen lassen. So geht’s mir heute.

Selenskyj Albtraum
Selenskyjs Albtraum – Screenshot Facebook

Vielleicht sollte ich nach Miami in meine Villa abhauen? Zu gefährlich, wahrscheinlich. Da hat mich der SBU sofort. Und die CIA hilft ihm wahrscheinlich noch dabei. Die werden sicherstellen wollen, dass ich später nie ausplaudere, was wir in den vergangenen beiden Jahren tatsächlich miteinander besprochen hatten. Ob ich vielleicht mal bei meinem Freund Lindsey Graham daheim klingeln soll mitten in der Nacht? Vielleicht könnte ich bei ihm daheim wenigstens ein Bett auf dem Dachboden bekommen.

Meine Villa an der Versiliaküste in Forte dei Marmi ist auch viel zu gefährlich. Da kommen in der Nacht schwarz uniformierte Männer in schwarzen Schlauchbooten ohne Licht, legen unterhalb meiner Villa am Strand an, ohne dass es jemand bemerkt – und dann stürmen sie zu mir ins Schlafzimmer und schießen mich mausetot. Batumi an der georgischen Schwarzmeerküste vielleicht? Eines der fünf Appartements, die ich dort in einem Hochhaus weit oben habe? Die Georgier sind aber auch nicht so gut auf mich zu sprechen, seit sie mit dem Amerikafreund Saakaschwili so schlechte Erfahrungen gemacht haben.

Und meine Villa auf der Krim ist sowieso weg, ohne dass ich dafür entschädigt worden wäre von diesen diebischen Russen. Es ist eine traurige Ironie des Schicksals, dass diejenigen, denen ich einst vertraute, nun zu meinen größten Feinden geworden sind. Doch selbst inmitten dieser düsteren Zeiten darf ich nicht aufgeben. Ich muss einen Weg finden, mich zu schützen und mein Leben zu sichern, auch wenn die Welt um mich herum immer feindseliger wird.

Na ja, ich esse jetzt erst einmal einen großen Löffel voll Puderzucker. Damit ich nicht einschlafe. Schließlich kann ich niemandem mehr trauen. Obwohl ich dringend einmal schlafen müsste, damit ich das Gejammere und Gemaule von der Olena nicht mehr die ganze Zeit hören muss. Gestern hat sie sogar “kleines Arschloch” zu mir gesagt. Und dass sie mich nie geheiratet hätte, wenn sie geahnt hätte, was für ein käuflicher Versager ich bin, der seinen Preis nicht einmal wert ist. Wenn ich nicht so klein wäre, hätte ich ihr eine gescheuert, glaube ich.

Aber was soll’s? In dieser Welt voller Verrat und Enttäuschung sind solche Aussagen wohl das Geringste, womit man rechnen muss. Schließlich habe ich es selbst zu dem gemacht, was ich jetzt bin: ein kleiner Mann in einer großen Welt, der von seinen eigenen Lügen erdrückt wird. Vielleicht sollte ich mich daran gewöhnen, dass meine Existenz nur aus Puderzucker und Selbstmitleid besteht.

Vielleicht wäre es einfacher, mich einfach meinem Schicksal zu ergeben und die Rolle des kleinen, bemitleidenswerten Versagers anzunehmen. Aber dann wäre ich ja nicht ich selbst, oder? Nein, ich werde weitermachen, so wie immer. Mit einem bitteren Lächeln und einer Portion Zynismus, die mich am Leben erhalten. Schließlich habe ich nichts mehr zu verlieren, außer vielleicht meinen letzten Rest an Würde. Und wer braucht die schon in einer Welt, in der jeder Preis verhandelbar ist?

Jedenfalls habe ich mir das alles viel schöner vorgestellt damals, als es mir mit Hilfe dieser widerlichen NATO-Sackgesichter gelungen war, die Russen endlich zum Überschreiten der Grenzen meiner Ukraine zu motivieren. Das war ein hartes Stück Arbeit damals. Und wie sie alle applaudiert und gejubelt haben damals, als ich in ihren Parlamenten auf Großbildschirmen tolle Sprüche klopfen durfte. Das war schon schön.

Aber jetzt, wo die Realität mich eingeholt hat, fühlt es sich an, als hätte mir jemand einen Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf geschüttet. Denn was bleibt mir jetzt noch von all diesen glorreichen Momenten? Nichts als die bittere Erkenntnis, dass ich die Marionette in einem Spiel der Mächte war, das ich nie wirklich verstanden habe. Statt einer Heldengeschichte ist meine Geschichte nun eine von Verrat und Verlust.

Und während ich hier sitze und mir diese Gedanken durch den Kopf gehen lasse, frage ich mich, ob es das alles wirklich wert war. Die Opfer, die ich gebracht habe, die Menschen, die ich enttäuscht habe, die Träume, die ich zerstört habe. War es das wirklich wert, für ein paar flüchtige Momente des Ruhms und der Anerkennung? Oder hätte ich besser auf mein Gewissen gehört und die Wahrheit gesprochen, auch wenn es bedeutet hätte, dass ich allein dastehe?

Vielleicht ist es an der Zeit, dass ich mich diesen Fragen stelle und mir eingestehe, dass ich mich selbst belogen habe. Denn am Ende des Tages kann ich nicht vor meiner eigenen Verantwortung davonlaufen. Ich muss die Konsequenzen meiner Taten tragen, egal wie schmerzhaft sie auch sein mögen. Es ist an der Zeit, dass ich die Wahrheit akzeptiere und mich meiner Vergangenheit stelle, auch wenn es bedeutet, dass ich mein ganzes bisheriges Leben infrage stellen muss.

Jetzt aber bin ich traurig. So ist das Leben. Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei.

Kiew, den 14.07.2023 – Wolodymyr Selenskyj, “Diener des Volkes”

 

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