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Lithium aus Argentinien für Elektroautos: Scholz und von der Leyen – die neuen Kolonialherren

Mehr als die Hälfte der weltweiten Lithiumvorkommen liegen im sogenannten Lithium-Dreieck, das von Argentinien, Chile und Bolivien gebildet wird. Geht es nach der EU-Präsidentin und dem amtierenden Kanzler, soll das für ihre E-Autos benötigte  Metall hier abgebaut werden. Umweltschäden und indigene Gemeinschaften, die dadurch ihre Heimat und Lebensgrundlage verlieren, spielen für sie offenbar keine Rolle. Der aufkeimende Protest wird durch ein neues Gesetz einfach niedergebügelt und mit harten Strafen belegt. 

In der argentinische Provinz Jujuy, an der Route 52, haben Bewohner der umliegenden Gebiete ein Protestcamp errichtet. Hier, auf 3500 Meter Höhe liegt die Salzwüste Salinas Grandes, eins von Argentiniens sieben Naturwundern. Die kilometerweite Salzkruste bildet ein durch natürliche Prozesse entstehendes Warenmuster.

Und genau hier, liegt das “neue Gold” unter der Erde, auf das ganz Europa wegen seiner eingeleiteten Energiewende scharf ist: Lithium. Für jedes der 15 Millionen Elektroautos, die bis 2030 durch die Straßen surren sollen, werden durchschnittlich rund acht Kilo des leichtesten Metalls der Erde benötigt, so der Tagesspiegel.

“Sie sagen, das Elektroauto ist die Zukunft. Aber was tun wir? Die Gemeinschaften dafür opfern, um den Planeten zu retten. Welchen Planeten? Wir leben alle auf demselben Planeten“, meint Clementes Flores, der dem Volk der Kolla angehört und der sich den Protesten von 30 indigenen Gemeinschaften angeschlossen hat.

Bereits seit 13 Jahren wehren sie sich juristisch, mit Straßenblockaden und Demonstrationen gegen einen Lithium-Abbau in Salinas Grandes. Nun macht es ihnen eine Verfassungsänderung, die die Provinzregierungen innerhalb weniger Tage verabschiedete,  noch schwerer. Sie beschneidet unter dem Vorwand, den “sozialen Frieden” erhalten zu wollen, massiv die Rechte vor allem der indigenen Bevölkerung. Die neue Verfassung schränkt das Recht auf Demonstration ein, Straßenblockaden sind verboten. Darüber hinaus regelt sie das Eigentum des Provinzstaates, der in Argentinien über seine Bodenschätze selbst verfügen kann, ohne dabei Rücksicht auf die indigenen Völker zu nehmen, die dort leben.

Auch de Artikel, der bisher das „Recht auf eine gesunde und ausgewogene Umwelt“ regelte, wird geändert. In der alten Verfassung aus den Achtzigerjahren musste alles unterlassen werden,  was Luft, Wasser und Boden verunreinigen könnte. Nun müssen Umweltschäden nur noch “behoben und entschädigt” werden.

Die Menschen haben jetzt die berechtige Angst, daß ihnen für den Abbau des begehrten Lithiums, ihr Land weggenommen wird. Die neue Provinzverfassung  treibt Tausende Auf die Straße. Erste Proteste eskalierten, Fahrzeuge brannten, die Polizei setzte Schlagstöcke und Gummigeschosse ein. Mindestens 170 Menschen wurden verletzt, einige schwer, ein 17-Jähriger wurde am Auge getroffen. Es gab fast 70 Festnahmen. Menschen in der betroffenen Provinz Jujuy berichten von Bedrohung und unrechtmäßigen Hausdurchsuchungen. Trotz des Drucks geben sie nicht auf. Bis heute halten die Straßenblockaden an, es bilden sich kilometerlange Staus.

Drei Minen sind in Argentinien bereits in Betrieb. Clemente Flores erzählt von den Umweltschäden. Es gäbe immer weniger Süßwasser, das zum Teil auch noch ungenießbar sei. Der Lithium-Abbau in Salinas Grandes wäre ihr Tod erklärt Flores. “Ohne Wasser müssten wir hier verschwinden.“

Süßwasser ist in der Salzwüste ein knappes Gut und das wird jetzt rücksichtslos zur Produktion von Lithium verbraucht. Zwei Millionen Liter Wasser werden benötigt, um eine Tonne Lithium zu produzieren. In Cauchari-Olaroz wird dieses Wasser aus den Salzbecken entnommen und in große Pools gepumpt, dort verdampft es über mehrere Monate unter der heißen Sonne bis Lithium zurückbleibt.

Die Menschen, die seit Jahrtausenden im Einklang mit der Natur leben und von ein wenig Ackerbau und Viehzucht leben, bleiben jetzt auf der Strecke.

Die Nachfrage nach Lithium steigt seit Jahren an. Im vergangenen Jahr wurden weltweit 130.000 Tonnen produziert, fünf Jahre zuvor war es noch knapp die Hälfte. Die Deutsche Rohstoffagentur DERA rechnet bis 2030 mit einer Nachfrage von bis zu 550.000 Tonnen Lithium.

Argentinien ist hinter Australien, Chile und China der viertgrößte Lithium-Produzent. Drei Minen gibt es bereits, fünf weiter befinden sich im Bau. Argentiniens Präsident Alberto Fernández will die Produktion bis 2030 verzehnfachen. Der deutsche Bundeskanzler Scholz und die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen haben ihm in diesem Jahr die Aufwartung gemacht. Man wolle die Zusammenarbeit beim Thema Lithium intensivieren, heißt es.

“Es gibt einen großen Druck auf die Regierungen in Lateinamerika, Vereinbarungen zu unterzeichnen, die Zugang zu den Ressourcen ermöglichen, die für die Energiewende nötig sind“, weiß die argentinische Soziologin Maristella Svampa, die sich unter anderem zu sozioökologischen Konflikten beschäftigt. Sie fordert Aufklärung über die möglichen Auswirkungen auf die Umwelt. Bisher gibt es angeblich zu diesem Thema “keine Daten”.

“Die Gemeinschaften in Salinas Grandes sagen seit 2010 Nein zum Lithium-Abbau. Und die Regierung versucht mit allen Mitteln, diese Widerstände zu überwinden, um den Abbau weiterzubringen im Einvernehmen mit transnationalen Konzernen“, erklärt Svampa. „Es sind undemokratische Konsultationen, sie sind erzwungen, manipuliert, schnell und ohne vorherige Informationen.“

Für sie trägt die verordnete Energiewende “neokolonialistische Züge. Der globale Norden profitiert, während der Süden wieder als Rohstofflieferant herhalten muss.“ (MS)

 

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