Windkraft (Bild: shutterstock.com/Bubbers BB)

Offshore-Windindustrie in der Krise – Die Probleme nehmen zu

Die Windkraft auf dem Meer soll die wichtigste Energiequelle werden. Es gibt jedoch eine große Kluft zwischen den Ausbauzielen und den Produktionskapazitäten, und einige Projekte stoßen auf Probleme. Zuerst hat der Energiekonzern Vattenfall ein riesiges Windprojekt in Großbritannien gestoppt (Blackout-News: 21.07.23).

Ein Beitrag von Blackout-News.org

Jetzt muss Orsted, der weltweit größte Offshore-Betreiber, 730 Millionen Dollar abschreiben (Blackout-News: 03.09.23). Der Grund dafür sind gestiegene Kosten. Verzögerungen bei Lieferungen, Inflation und steigende Zinsen machen Offshore-Windkraftanlagen für viele Unternehmen unrentabel (Handelsblatt: 01.09.23). Die Krise in der Offshore-Windindustrie hat gerade erst begonnen.

Offshore-Windindustrie am Abgrund: Lieferverzögerungen und hohe Kosten bedrohen die Energiewende

„Wir haben festgestellt, dass die Fähigkeit unserer Lieferanten, ihre Verpflichtungen und Vertragszeitpläne einzuhalten, immer stärker gefährdet ist“, erklärt Orsted-Chef Mads Nipper. „Dies könnte zu Verzögerungen bei den Einnahmen, zusätzlichen Kosten und anderen Auswirkungen auf das Geschäft führen.“ Die Aktien des Energiekonzerns fielen um mehr als 25 Prozent nach dieser Ankündigung.

In der Offshore-Windindustrie „entwickelt sich gerade ein perfekter Sturm“, warnte RWE-Chef Markus Krebber kürzlich. Nicht nur steigende Finanzierungskosten bereiten der Industrie Probleme. Es gibt auch eine erhebliche Kluft zwischen den Ausbauzielen und den Produktionskapazitäten.

Derzeit werden in Europa, dem zweitgrößten Windenergiemarkt der Welt nach China, jährlich Offshore-Windturbinen mit einer Kapazität von sieben Gigawatt produziert. Um die Nachfrage zu befriedigen, müssten die Kapazitäten auf 20 Gigawatt erhöht werden. Dies erfordert erhebliche Investitionen der Turbinenhersteller. Allerdings stecken diese tief in der Krise und schreiben Verluste. Das Milliarden-Debakel von Siemens Gamesa ist nur ein Beispiel von vielen.

Für die Energiewende ist dies ein ernstes Problem, da Offshore-Windenergie in den kommenden Jahren die dominierende Energiequelle weltweit sein soll. Die ambitionierten Ausbauziele für Europa sind beeindruckend: Bis 2030 sollen in der EU Windturbinen mit einer Gesamtkapazität von 60 Gigawatt in Betrieb sein, bis 2050 sogar 340 Gigawatt. Derzeit sind es nur bescheidene 32 Gigawatt.

Warum die Ausbauziele 2030 in Gefahr sind

„Der Markt ist stark überhitzt. Die Ausbauziele sind so schnell und drastisch gestiegen, sowohl national als auch international, dass die vorhandenen Ressourcen dem nicht gewachsen sind“, sagt Dirk Briese von Trendresearch, einem Marktforschungsunternehmen. Es sind doppelt so viele Stromkabel und mehr als dreimal so viele Arbeiter und Umspannwerke erforderlich. Dies sei schlichtweg nicht realisierbar, betonen hochrangige Branchenvertreter. „Die Ausbauziele für Windenergie bis 2030 sind nicht erreichbar, weder in Deutschland noch international“, stellt Briese klar.

Der dänische Offshore-Riese Orsted ist ein Beispiel dafür. Das Projekt Ocean Wind 1 vor der Küste von New York verzögert sich um ein Jahr, weil der Hersteller der Fundamente den Liefertermin nicht einhalten kann. Gleichzeitig sind die erwarteten Steuererleichterungen über das Förderprogramm Inflation Reduction Act (IRA) der US-Regierung wahrscheinlich nicht so groß wie erhofft.

Die hohen Zinsen in den USA belasten nicht nur Offshore-Projekte, sondern auch einige Onshore-Windparks. Wenn die Zinsen hoch bleiben, könnten die zusätzlichen Kosten im schlimmsten Fall auf insgesamt 2,3 Milliarden US-Dollar steigen. Orsted hält derzeit an den Projekten fest, prüft jedoch auch die Möglichkeit eines vollständigen Stopps.

Die Energiewende steht vor großen Herausforderungen, da bereits vergebene Großprojekte nicht wie geplant umgesetzt werden. Dies gefährdet die Erreichung der Klimaschutzziele in einer Zeit, in der die Offshore-Industrie ihre Ausbauziele erreichen muss, so RWE-Chef Krebber im August bei der Vorstellung der Quartalszahlen.

Warum ein Milliardenprojekt gestoppt wurde

Dieses Problem wird durch verschiedene Faktoren verschärft, darunter steigende Kosten aufgrund der anhaltenden Inflation, höhere Zinsen und strukturelle Versorgungsengpässe sowie gestörte Lieferketten.

Unternehmen ergreifen Vorsichtsmaßnahmen, indem sie langfristige Kapazitäten sichern, beispielsweise für Wartungsschiffe. Spezielle Schiffe sind erforderlich, um die riesigen Windturbinen aufs Meer zu transportieren, und ihre Kosten können mehrere Hundert Millionen Euro betragen, was die Gesamtkosten erhöht.

Der schwedische Energiekonzern Vattenfall hat den Bau seines Windparks Norfolk Boreas vor der Küste Großbritanniens aufgrund hoher Kosten vollständig gestoppt. Die Entscheidung wurde mit der steigenden Inflation und den Kapitalkosten begründet. Die Kosten für das 1,4 Gigawatt große Projekt im britischen Meer sind um bis zu 40 Prozent gestiegen.

Vattenfall hatte die Auktion Ende des letzten Jahres mit einem Gebot von umgerechnet 43,55 Euro pro Megawattstunde gewonnen. Damit hatte das Unternehmen geplant, Windstrom zu Produktionskosten von 43,55 Euro pro Megawattstunde zu erzeugen, wenn das Projekt 2026 oder 2027 in Betrieb genommen wird. Dieses Gebot galt bereits als sehr ehrgeizig, besonders im Vergleich zu den aktuellen Produktionskosten von knapp 68 Euro pro Megawattstunde, wie von Bloomberg New Energy Finance (BNEF) für das erste Halbjahr 2023 festgestellt wurde.

Windenergiepreise steigen dramatisch: Wettbewerber passen ihre Strategien an

Nicht alle Mitbewerber in der Offshore-Windindustrie sind von steigenden Kosten betroffen. Einige haben konservativere Angebote für Offshore-Ausschreibungen abgegeben und nicht so knapp kalkuliert.

Vestas und andere Hersteller von Windkraftanlagen erhöhen ihre Preise. Laut Vattenfall-Chefin Borg sind auch weitere Projekte gefährdet. Alle geplanten Windparks in der Norfolk-Region werden vorerst überprüft, darunter solche mit einer Leistung von 4,2 Gigawatt.

Die Kosten für den Bau von Offshore-Windparks sind in den letzten beiden Jahren insgesamt um 30 bis 40 Prozent gestiegen. Dies ist zum Teil auf Preiserhöhungen von Turbinenherstellern zurückzuführen. Zum Beispiel ist der durchschnittliche Verkaufspreis des dänischen Windkonzerns Vestas innerhalb von zwei Jahren um fast 37 Prozent gestiegen.

Die Strategie, günstige Preise anzubieten, hat lange Zeit funktioniert, aber die Hersteller waren zu optimistisch. Preise für Rohstoffe wie Stahl sind zwischenzeitlich erheblich gestiegen, und die Turbinenhersteller hatten dieses Risiko nicht ausreichend berücksichtigt, wodurch sie nun mit höheren Kosten konfrontiert sind. Einige Hersteller von Komponenten mussten bereits Insolvenz anmelden (Blackout-News: 30.08.23).

Die Windkonzerne arbeiten nun an ihrer Kostendisziplin, verhandeln Verträge neu, lagern Risiken aus und erhöhen Preise. Dies hat jedoch Auswirkungen auf die gesamte Offshore-Windindustrie. Experten prognostizieren ab 2025 eine deutliche Lücke zwischen Nachfrage und Produktionskapazitäten. „Der Aufbau von Ressourcen und Kapazitäten wie Produktionsstätten, Schiffe und Personal ist zeitaufwändig und langwierig. Das wird einige Jahre dauern“, sagt der Windexperte Briese.

In der Offshore-Windindustrie glaubt niemand mehr daran, dass die Ausbauziele für 2030 erreichbar sind. Dennoch bleibt die Nachfrage hoch. Erst kürzlich erhielt RWE den Zuschlag für den Bau eines Windparks im Golf von Mexiko vor der US-Küste mit einer Kapazität von zwei Gigawatt.

RWE wagt sich trotz Hurrikans und Kostenrisiken in den Golf von Mexiko

RWE erweitert sein US-Portfolio auf insgesamt etwa 5,9 Gigawatt. Im Jahr 2022 hatte das Unternehmen bereits Flächen in der New Yorker Bucht und vor der kalifornischen Küste erworben.

Das neue Projekt im Golf von Mexiko könnte jedoch eine Herausforderung für das Unternehmen darstellen. Die Region ist aufgrund von Hurrikanen und weichem Meeresboden kein einfacher Ort für einen Windpark. Zusätzlich erhöhen die niedrigen Strompreise in der Region den Kostendruck für kapitalintensive Offshore-Anlagen.

Trotz steigender Kapital- und Investitionskosten für erneuerbare Energieprojekte gibt es nach wie vor eine hohe Nachfrage nach Projektfinanzierungen. Dies gilt insbesondere für Länder mit starker politischer Unterstützung für erneuerbare Energien wie Deutschland und die USA. Das sagt Tim Koenemann, Leiter der Abteilung für erneuerbare Energien bei der Commerzbank.

Themen