Auch Ansage! betroffen: Bayerns Verfassungsschutz rückt Ukraine-kritische Medien in die Nähe “russischer Propaganda”

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Feind hört mit: Das Misstrauen der Staates gegenüber regierungskritischen Medien wächst stetig (Foto:Pixabay/succo)

Nicht nur auf Bundesebene, sondern auch in seinen “Dependancen” respektive Entsprechungen in den Bundesländern ist der Verfassungsschutz mittlerweile zu einer die gesellschaftliche Spaltung vertiefenden, grundgesetzliche Freiheiten aushöhlenden und somit geradezu gemeingefährlichen politischen Gesinnungsinstanz umgewandelt worden, der seine Kompetenzen immer schamloser ausdehnt. In einer weiteren ungeheuerlichen Grenzüberschreitung hat der Bayerische Verfassungsschutz nun eine Liste deutscher Medien veröffentlicht, deren Layout in Russland imitiert werde, um Desinformationen zu verbreiten (sogenannte „Doppelgänger-Seiten“), und außerdem noch eine weitere Liste, auf der sich deutsche Medien finden, die angeblich „Nachrichten passend zum russischen Narrativ verbreiten“. Diese Nachrichten würden dann die Betreiber russischer Fake-Webseiten nutzen, „um die Reichweite einzelner Inhalte zu erhöhen“. Zu diesen Medien zählt die Behörde unter anderem Ansage!, „Tichys Einblick“, die „Junge Freiheit“, die „Berliner Zeitung“, die Schweizer „Weltwoche“, die „Nachdenkseiten“ und sogar die Webseite der BSW-Politikerin Sevim Dagdelen sowie den dezidiert linken, von Jakob Augstein (Sohn des “Spiegel“-Gründers Rudolf Augstein) verlegten „Freitag“.

Alleine schon diese äußerst heterogene Auswahl angeblich “prorussischer“ Medien, die Kritik an der einseitigen Ukraine-Politik der Ampel-Regierung äußern und sich für Friedensverhandlungen mit Russland oder auch nur für eine kühle, realpolitische Sichtweise auf den Krieg aussprechen, zeigt, dass es hier nur um regierungsamtliche Stigmatisierung und Verleumdung von Meinungen geht, die dem erwünschten Regierungsnarrativ zuwiderlaufen. Dass auf vielen der indizierten Seiten, namentlich auf Ansage!,  keinesfalls eine redaktionelle “Linie” gefahren wird, sondern höchst kontroverse Standpunkte auch zum Ukrainekonflikt veröffentlicht wurden, spielt dabei keine Rolle – schon im Rahmen einer offenen Debatte geäußerte Meinungen führen dazu, dass einem der Staatsschutz willkürlich das Etikett “Verbreitung russischer Propaganda” aufpappt.

Nur noch Freund und Feind

Bemerkenswert auch: Wenn es um die Ukraine geht, kennt der deutsche Staat plötzlich keine „Rechten“ und „Linken“ mehr, sondern nur noch Freund und Feind. Dabei wird sogar insinuiert, dass diese Medien mehr oder weniger absichtlich oder zumindest mit stillschweigender Zustimmung mit Russland paktieren. Der Verfassungsschutz setzt damit de facto fest, dass jede kritische Nachfrage zur Ukraine-Politik der Bundesregierung zwangsläufig russische Propaganda sei. Zudem werden Medien öffentlich an den Pranger gestellt – und das durch eine Behörde, deren Aufgabe der Schutz eigentlich der in der Verfassung verankerten Grundrechte, einschließlich der Pressefreiheit, ist. Es ist eine neuerliche Machtanmaßung dieser offensichtlich völlig außer Kontrolle geratenen Institution, die sich ihrer eigentlichen Funktion denkbar weitestmöglich entfernt hat. Dass dies sogar bei einer von einer CDU/Freie-Wähler-geführten, mithin vermeintlich bürgerlichen Regierung beaufsichtigten Behörde wie dem bayrischen Landesverfassungsschutz geschieht (und nicht etwa in Thüringen, wo der Linksextremist Bodo Ramelow regiert), beweist nur das Ausmaß der Deviation.

Glücklicherweise blieb das Gebaren der Münchner Behörde nicht ohne Folgen: Sowohl in der Politik wie auch in den kritischen Medien, vor allem in der Auslandspresse, wurde die Nennung der Medienliste mit Unverständnis bis Fassungslosigkeit zur Kenntnis genommen. Gegenüber der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ) kritisierte Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki das Vorgehen des bayrischen Verfassungsschutzes nicht nur als „unangemessen“, sondern als „schlicht rechtswidrig“. Es sei nicht dessen Aufgabe, „mediale Inhalte daraufhin abzuklopfen, ob sie ins russische Narrativ passen“, zumal das „russische Narrativ“ in der Bundesrepublik ohnehin „unter dem breiten Schirm der Meinungsfreiheit“ stehe. Die behördliche Einordnung erwecke den Eindruck, „die Inhalte der genannten Websites seien – obgleich nicht verboten – schädlich für die Menschen im Land“. So etwa gehe in einem Rechtsstaat “natürlich nicht“ an, da dieser „keine Gütesiegel für gute und schlechte Meinungen“ verteile. Sevrim Dagdelen sprach von einem „Angriff auf die Presse- und Meinungsfreiheit“. Tatsächlich kann die öffentliche Bloßstellung als angebliche russische Propagandawerkzeuge zu massiven Einnahme- und Vertrauensverlusten führen.

Kettenhunde der Politik statt Hüter der Verfassung

Vor allem können die betroffenen Seiten überhaupt nichts dafür, wenn ihre Inhalte auch in Russland verbreitet werden. Dies machte auch Ansage!-Herausgeber Daniel Matissek gegenüber der „NZZ“ deutlich: Von einer Weiterverbreitung redaktioneller Inhalte durch „Doppelgänger“ sei ihm persönlich nichts bekannt, jedoch gebe es „reale, teilweise in Russland ansässige Propaganda-Websites“, die „ungefragt Inhalte übernehmen und sich im Ausland jeder zivil- und strafrechtlichen Verantwortung entziehen“. In der Tat: Was der Verfassungsschutz hier tut, ist nichts anderes als eine Variation der üblichen “Kontaktschuld”. Auf demselben Niveau könnte man beispielsweise eine Liste veröffentlichen: “Webseiten, die auch von Pädophilen schon einmal geteilt wurden” – und dann beliebige Medien von “Stern” bis “Süddeutsche” oder “taz” auflisten, als ob die Redaktionen irgendeinen Einfluss darauf hätten, welche verwerflichen Subjekte ihre Inhalte weiterverbreiten. Hier geht es also ausschließlich um Diskreditierung und darum, missliebige regierungskritische Medien ins Zwielicht zu rücken.

Dass die Betreiber der betroffen Seiten vor Veröffentlichung des Behördenberichts gar nichts von ihrer dortigen Erwähnung erfuhren, unterstreicht das fragwürdige Vorgehen der Behörde zusätzlich: Der bayerische Verfassungsschutz hielt es offenbar in keinem einzelnen Fall für nötig, die Betroffenen zu kontaktieren, bevor er sie als angebliche Propagandisten im Dienste des Kremls bloßstellte. Dieter Stein, der Chefredaktor der „Jungen Freiheit“, stellte klar, dass es nicht zum Aufgabenfeld des Landesamtes für Verfassungsschutz gehöre, „derartige rufschädigenden Bewertungen über unabhängige Medien abzugeben, die weder die Frage des Extremismus noch ausländische Spionage betreffen“. Seine Redaktion werde “den Verfassungsschutz schriftlich zum Löschen der Hinweise über die ‘Junge Freiheit’ auffordern und bei Nichtbefolgung juristische Schritte einleiten“, kündigte er an. Auch Ansage! und weitere Opfer dieser staatlichen Verleumdung bereiten rechtliche Schritte vor. Der bekannte Medienanwalt Joachim Steinhöfel erklärte, dass er das Landesamt für Verfassungsschutz bereits gestern, nach Bekanntwerden des Vorgangs, für zwei Mandanten unverzüglich abgemahnt habe. Außer Frage steht: Dieser neuerliche Angriff des Staates auf die Meinungsfreiheit darf nicht unbeantwortet bleiben, da er einmal mehr zeigt, dass dessen Organe sich nur noch als Kettenhunde der Politik, nicht aber als Sachwalter der Grundrechte der Bürger verstehen. Inzwischen ist es so weit gekommen, dass der Verfassungsschutz im Land der Meldestellen, der Phänomenbereiche “Delegitimierung“, und Vergehen “unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“ die größte Bedrohung für die Verfassung selbst geworden ist.

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