Erdingers Absacker; Bild: Collage
Erdingers Absacker; Bild: Collage

Erdingers Absacker: Ein amerikanisches Sittengemälde

Ja, nach der Lektüre dieses Artikels werden sie wieder schreien, ich sei antiamerikanisch eingestellt. Das stimmt so nicht. So, wie alles andere nicht stimmt, womit meinereiner oft etikettiert wird. Gerade was die USA angeht, habe ich für die Amerikaner mehr Hoffnung als für die Deutschen. Was es dort an Untersuchungsausschüssen zu Fauci, zu Biden und den sozialen Netzwerken wegen deren Verletzung des Rechts auf Redefreiheit gibt, sucht in Deutschland seinesgleichen. Aber man muß unterscheiden zwischen USA national und USA international.

National könnten die USA vielleicht wieder zu dem werden, was sie ihrer Verfassung nach zu sein hätten: Ein freies Land mit freien Bürgern. Schwieriger dürfte sein, dieses freie Land mit seinen freien Bürgern von dem Wahn zu befreien, es sei ein Leuchtturm der Hoffnung für die Welt. International betrachtet sind die USA nämlich schon lange das Krebsübel dieser Welt. Nicht, daß es nicht außer den USA noch andere Schurkenstaaten gäbe, das schon. Aber von denen erhebt keiner den Anspruch, die moralische Führungsmacht auf Gottes schönem Globus zu sein. Das Problem ist der amerikanische Exzeptionalismus.

Wie komme ich überhaupt auf das Thema? Mir ist etwas widerfahren, das nicht oft passiert. Mit zunehmender Faszination habe ich einen Kriminalfall in South Carolina verfolgt, der in den USA zuletzt bundesweit Schlagzeilen machte. Es geht um den Mord an Maggie (52) und Paul Murdaugh (22), Mutter und Sohn. Die beiden waren in den Abendstunden des 7. Juni 2021 zuhause erschossen worden. Diese Woche wurde nun der Ehemann und Vater, Alex Murdaugh, zu zweimal lebenslänglich verurteilt. Er gilt als der Mörder. Noch unmittelbar vor der Urteilsverkündung beteuerte er erneut seine Unschuld.  Ich bin zwar nicht restlos, aber doch mindestens zu 80 Prozent davon überzeugt, daß der Richtige verurteilt wurde. Was für seine Täterschaft spricht, ist schon sehr erheblich.

Aber selbst wenn er nicht der Täter gewesen wäre: Was im Prozessverlauf nebenher herausgekommen ist, war atemberaubend. Allein dafür finde ich das Urteil schon gerecht. Die Morde hätte es da gar nicht mehr gebraucht. Da ist eine gigantische Fassade in sich zusammengestürzt. Alex Murdaugh war nämlich einer der “Honoratioren” in Hampton County, einem ländlichen Bezirk von South Carolina – und in South Carolina generell. Alteingesessener Adel, sozusagen. Murdaugh war Rechtsanwalt und Solicitor, was im amerikanischen Rechtssystem eine Art Anwalt des Staates ist, wenn auch nicht direkt ein Staatsanwalt.  Die Murdaughs waren in Hampton County hochangesehene Leute, sehr einflußreich. Schon der Großvater von Alex Murdaugh war Solicitor, ebenso der Vater. Die Familie hatte über Generationen erheblichen Wohlstand angehäuft. Im Gerichtsgebäude von Walterboro, wo Alex Murdaugh verurteilt wurde, musste zu Prozessbeginn ein Ölgemälde entfernt werden, ein Porträt seines Großvaters, um keinen Grund für einen Befangenheitsantrag gegen das Gericht zu geben. Reichlich merkwürdig, wenn man bedenkt, daß so ein Ölgemälde nichts an dem ändert, was die Murdaughs in Hampton County generationenlang gewesen sind.

Eine schrecklich nette Familie

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Von links nach rechts: Paul Murdaugh (+), Maggie Murdaugh (+), Alex Murdaugh und Buster Murdaugh – Foto: Screenshot CBS News

Paul Murdaugh, das Mordopfer, hatte selbst bereits ein Leben auf dem Gewissen. Der junge Mann hatte im Alter von 19 Jahren im betrunkenen Zustand einen Motorbootunfall verursacht, bei dem die Freundin (19) eines seiner Freunde ums Leben kam, die mit ihm Boot gesessen war. Ihre Leiche wurde Tage später fünf Meilen flußabwärts gefunden. Wie durch ein Wunder war es aber nie zu einem Prozess gegen Paul Murdaugh gekommen, weswegen eine Theorie am Anfang der Ermittlungen im Mordfall Maggie & Paul Murdaugh gewesen ist, daß es sich um einen Racheanschlag  für den ungesühnten Tod jener jungen Frau gehandelt haben könnte, die 2019 bei dem Bootsunfall ihr Leben verloren hatte. Maggie & Paul Murdaugh waren am 7. Juni 2021 mit zwei verschiedenen Schußwaffen, aus denen jeweils mehrfach gefeuert wurde, regelrecht zu Hackfleisch zerschossen worden. In der Nähe des Murdaugh-Anwesens wurde auch 2015 bereits eine Leiche gefunden, nämlich die eines Bekannten der Murdaugh-Söhne, Steven Smith, damals 16 Jahre alt und offen homosexuell. Sein Auto wurde drei Meilen weiter neben der Strasse entdeckt. Offiziell hieß es damals, Steven Smith sei von einem Lastwagen angefahren worden, der ihn mit dem Außenspiegel am Kopf traf, was das Verletzungsbild am Schädel der Leiche erkläre. Allerdings wurden nie irgendwelche Glas – oder Lackrückstände an der Leiche oder auf der Straße gefunden. Auch wiesen Kleidung und Schuhe des Opfers keinerlei Schleif- oder Sturzspuren auf, die darauf hätten schließen lassen, daß der Körper durch den Zusammenprall mit einem Fahrzeug beschleunigt worden wäre. Die Todesursache von Steven Smith steht bis heute nicht eindeutig fest.

Was im Prozessverlauf gegen Alex Murdaugh herauskam, hat es aber ohnehin in sich. Er hatte von Mandanten seiner Kanzlei mehrere Millionen Dollar ergaunert resp. veruntreut. Besonders abscheulich ist der Fall einer ehemaligen Haushälterin der Familie Murdaugh. Sie war im Alter von 57 Jahren auf dem Anwesen der Murdaughs eine Treppe hinabgestürzt und hatte sich dabei Schädelverletzungen zugezogen, denen sie vier bis fünf Wochen später im Krankenhaus erlag. Sie hinterließ zwei Söhne, einer davon geistig behindert, der andere sowohl mit Alex Murdaugh als auch mit dessen Söhnen bekannt. Er arbeitet als Pfleger in einem Krankenhaus. Im Prozess gegen Alex Murdaugh wurde er vernommen. Es ging um eine Klage, die Alex Murdaugh in seinem Namen gegen die Versicherungsgesellschaft erhob, bei der die Murdaughs selbst versichert gewesen sind. Noch bei der Beerdigung der langjährigen Haushälterin war Alex Murdaugh an den hinterbliebenen Sohn herangetreten und hatte ihm eine Entschädigungssumme von seiner eigenen Versicherung in Aussicht gestellt. 100.000 Dollar seien für den Unbedarften und seinen geistig behinderten Bruder drin, so Alex Murdaugh. 100.000 für jeden der Beiden.

Hinderlich sei nur, daß ein einfacher Treppensturz keine Ansprüche begründe, weswegen Übereinstimmung bei der Aussage herrschen müsse, die Hunde der Familie Murdaugh seien Auslöser für den Treppensturz gewesen. Der Sohn der Haushälterin willigte ein und unterschieb das Mandat. Die Klage gegen die Versicherung ging durch. Entschädigungssumme 505.000 Dollar. In einem weiteren Klageschritt dann 3,8 Millionen, zuletzt dann 5,5 Millionen. Die Summe wurde an einen Anwaltskollegen von Murdaugh überwiesen, der sie dann an Murdaugh weiterleitete. Murdaugh hatte die Klage an seinen Kollegen abgegeben, damit vordergründig keine Interessenkonflikte auftreten mit ihm als Versicherungsnehmer und Vertreter des Klägers in Personalunion. Der unbedarfte Sohn der verstorbenen Haushälterin jedoch hat nie auch nur einen Cent davon gesehen. Als die Summe längst ausbezahlt worden war, wurde ihm auf seine Nachfragen zum Stand der Dinge seitens Alex Murdaugh immer nur gesagt, die Sache sei kompliziert, mache aber Fortschritte. Als der Sohn der Haushälterin eines Tages erfuhr, daß ihm das Geld vorenthalten worden war, verklagte er Alex Murdaugh. Resultat: 6,5 Millionen.

Das muß man sich einmal vorstellen: Alex Murdaugh, der “Ehrenmann” von Hampton County, hatte über 5 Millionen Dollar einbehalten, die ihm gar nicht zustanden, ohne dem geprellten Sohn einer Haushälterin, die über 20 Jahre lang bei ihm zuhause die Wäsche gewaschen und seine eigenen Söhne mit großgezogen hatte, wenigstens die 100.000 Dollar zu geben, die er ihm bei der Beerdigung seiner Mutter mit der Miene tiefster Anteilnahme in Aussicht gestellt hatte. Wohlwissend, daß der Bruder seines Mandanten geistig behindert ist und daß dessen Unterbringung und Pflege viel Geld verschlingt. Was für ein habgieriges Monster hinter der Fassade größter Anteilnahme.

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Alex Murdaugh am Tag des Schuldspruchs – Foto: Today.com

Die Chefin über die Finanzoperationen (CFO) in Murdaughs Kanzlei sagte im Prozess aus, die Tatsache, daß Alex Murdaugh über ein Jahrzehnt lang jeden – Familie und Freunde eingeschlossen – nach Strich & Faden habe manipulieren und belügen können, sei darauf zurückzuführten, daß er ein Meister in der Kunst des Bullshits (“the art of bullshit”) sei. Ihr sei das schon lange klar gewesen. Seine Freundlichkeit, seine Zugewandtheit, sein “menschliches” Interesse, seine Jovialität – alles das sei nur Fassade gewesen. Das ist bemerkenswert, weil er im Prozess noch wochenlang versucht hatte, die Jury hinters Licht zu führen, seine Aussagen an die jeweils neueste Indizienlage anpasste, im Gerichtssaal log, daß sich die Balken bogen – und nur, um sich vor der Urteilsverkündung hinzustellen und zu behaupten, er habe seine Frau und seinen jüngeren Sohn nicht umgebracht. Der Mann muß tatsächlich in dem Wahn gelebt haben, daß er glaubhaft sein könnte, auch nachdem er schon der tausendfachen Lüge und des hundertfachen Betrugs überführt worden war. Er schien sich bis zuletzt für die Figur zu halten, die zu spielen er sich angewöhnt hatte.

“Erschieß mich!”

In den Wochen nach dem Mord an seiner Ehefrau Maggie und seinem Sohn Paul war Alex Murdaugh zwar noch nicht der Hauptverdächtige, aber es zogen sich düstere Wolken über ihm zusammen wegen der finanziellen Unregelmäßigkeiten in seiner Kanzlei. Auch nach seiner Verurteilung wegen zweifachen Mordes zu zweimal lebenslänglich erwarten ihn 100 (!) weitere Klagen von geprellten Mandanten und Kollegen. Im Mordprzess kam heraus, daß Alex Murdaugh über ein Jahrzehnt lang praktisch jeden angelogen und für blöd verkauft hatte, der ihm über den Weg lief. Darunter sein “bester Freund” und Kollege, den er seit Jugendzeiten kannte und mit dem er zu Studienzeiten zusammen wohnte.

Als Alex Murdaugh, nachdem er bereits Frau und Sohn erschossen hatte, klar wurde, daß er seine Finanztricksereien nicht länger mehr unter dem Teppich würde halten können und daß bald alles auffliegen würde, wollte er sich das Leben nehmen. Aber selbst dabei dachte er noch an Geld. Ihm war klar, daß er in den Knast wandern würde, daß er seine Ehefrau und seinen jüngeren Sohn bereits erschossen hatte – und daß sein älterer Sohn Buster der einzige aus seiner Familie sein würde, der sozusagen “übrig bleibt”. Seine Lebensversicherung würde aber nicht zahlen, wenn er sich selbst entleibt – und die 10 Millionen Dollar, die sie im Fall seines schuldlosen Ablebens zu zahlen hätte, wären ideal für seinen Sohn Buster, weil alle Geprellten sich nach Alex Murdaughs Ableben an seinem hinterlassenen Vermögen schadlos halten würden, so daß Sohn Buster praktisch nichts mehr bliebe. Also heuerte Alex Murdaugh für 50.000 Dollar einen “Hitman” an, einen entfernten Verwandten aus der Unterschicht, der ihn erschießen sollte. Der aber erfüllte den “Vertrag” nicht. Letztlich kam Alex Murdaugh auch im Jahr 2021 – nach den Morden an seiner Familie – noch einmal frei, obwohl er zunächst wegen versuchter Vortäuschung einer Straftat (Mord an sich selbst) verhaftet worden war, zusammen mit seinem “Hitman”. Der hatte die Tatwaffe, die ihm Alex Murdaugh mit der Bitte überreichte, ihn zu erschießen, einfach mitgenommen und hatte das Weite gesucht, um sich hernach als Lebensretter von Alex Murdaugh zu präsentieren. Der “Hitman” befand sich dann ebenfalls schnell wieder auf freiem Fuß.

Der einzige verbleibende Familienangehörige, Buster Murdaugh, der ältere Sohn, konnte im Mordprozess gegen Alex Murdaugh noch nicht einmal das exakte Geburtsdatum des eigenen Vaters nennen. Eine schrecklich nette Familie. Schrecklich nett war sie tatsächlich. Die Fotos, die es von dieser Familie gibt, verströmen alle das Flair von einer “Loving Family”.

“Dallas” in South Carolina

Vielleicht kann sich der eine oder der andere noch an eine amerikanische Fernsehserie erinnern, die in Deutschland ab 1982 ein Straßenfeger wurde. “Dallas” hieß sie. Sie enthielt etwas Neues, für amerikanische Familienserien bis dahin Unübliches: einen Bösewicht in der Familie, der trotzdem ganz selbstverständlich zur Familie gehörte und ein geschäftlich sehr erfolgreicher Bösewicht war. Das war J.R. Ewing, gespielt von Larry Hagman (“Bezaubernde Jeannie”). Seine Frau, Sue Ellen Ewing, wurde angesichts seiner angeborenen Boshaftigkeit und seiner Rücksichtslosigkeit zur Trinkerin und weinte viel. Sein jüngerer Bruder Bobby (Patrick Duffy) war der moralische Gegenentwurf zu J.R., verheiratet mit Pamela, die oft ziemlich wütend auf J.R. wurde, weil der ihren Bruder Cliff Barnes geschäftlich ständig über den Tisch zog und hernach noch über ihn spottete. Cliff Barnes war das absolute Weichei in der Serie. Mutter Ellie war die “gute Seele” in der Familie Ewing auf der “Southfork Ranch” und hatte Verständnis für jeden.

Genau so wurde im Prozess auch Maggie Murdaugh beschrieben, die ermordete Ehefrau des Täters Alex Murdaugh. Über Maggie Murdaugh nur das Beste. Sie konnte für gar nichts irgendetwas und wusste von nichts. Eine völlig ahnungslose Seele, die bisweilen Entspannung suchte bei ihrer Schwester und deren beiden Töchtern. Ehemann Alex und die beiden Söhne waren doch ein wenig anstrengend für die zart Besaitete. Sie nahm es eben in Kauf, meinte es aber gut.

Das Bemerkenswerte an der Serie “Dallas” war, daß sie es erfolgreich schaffte, bei den Zuschauern gewisse Sympathien, vielleicht auch Bewunderung für den Bösewicht J.R. zu wecken. Wer heute an die Fernsehserie “Dallas” zurückdenkt, hat als erstes wahrscheinlich Larry Hagman vor dem inneren Auge. Die subtile Botschaft der Serie war, daß geschäftlicher Erfolg alles entschuldigen kann. Die Filmfigur J.R. war ein echter Fiesling, der sich mit seiner eigenen Fiesheit nicht auseinandersetzen musste. Er musste nur gewinnen. Die Empörung seiner anderen Familienmitgieder änderte daran nichts. Am Ende gewann immer J.R.. – und die Familienharmonie nach außen blieb stets gewahrt.

Das ist die Analogie, die mir zu der spektakulären Geschichte aus South Carolina einfällt. Alex Murdaugh ist J.R.. Ein respektierter, geachteter und seines Einflusses wegen auch gefürchteter “Leithammel”. Als “Dallas” im deutschen Fernsehen anlief damals, war Alex Murdaugh in South Carolina gerade 14 Jahre alt. Ich würde mich nicht wundern, wenn es in den USA viele solcher J.R.s wie Alex Murdaugh gäbe. Der Zeitgeist der vergangenen vierzig Jahre gibt’s her.

Umso analoger und cuckoldiger kommt mir ein Tweet von Olaf Scholz vor, der dieser Tage in Washington weilte, um eminent wichtige Gespräche mit Joe Biden zu führen. Er scheint so über den Tisch gezogen worden zu sein, wie in der Fernsehserie “Dallas” der notorische Loser Cliff Barnes von J.R. Ewing jedes Mal – oder eben wie die vertrauensseligen Klienten von Alex Murdaugh. Deutsches Selbstbewußtsein? Rückgrat? – Totale Fehlanzeige.

Ich bin nicht antiamerikanisch. Ich bin bloß nicht in der Zeit stehengeblieben. USA 1960 ist nicht gleich USA 2023. Und nur deswegen behaupte ich im Jahre 2023: Wer diese gegenwärtigen USA zum Freund hat, der braucht keinen Feind mehr. Die USA sind auf ihre Art so degeneriert, wie Deutschland auf die seine. Und wenn zwei Degenerierte aufeinander treffen, von denen der eine stärker als der andere ist, dann geht das für den schwächeren Degenerierten extrem übel aus.

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Scholz Biden
Olaf Scholz und der liebe Joe – Screenshot Twitter

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