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Neulich im Probenkeller

Wie die Kreativität unserer Jugend verkümmert

Von Peter Keuner

Wir befinden uns in einer durchschnittlichen Kleinstadt am Harz in Deutschland im Jahr 1987 und dort in einem Neubaugebiet. Hier bauen seit nunmehr 7 Jahren junge Familien ihre Häuser. Beim Nachbarn fahren Samstag morgens drei Autos vor: Ein giftgrüner R4, ein weißer R5 und ein roter VW-Polo. Aus den Autos holen mehrere junge Menschen irrwitzig viele Instrumente, Verstärker, Boxen, Kabel, Mischpulte, Mikrophone usw. und schleppen sie in den “Freizeitkeller“ des Nachbarn. “Friederike, Du beste aller Ehefrauen! Hast Du nicht Lust auf eine Autowanderung durch den Harz? Hier wird es nämlich gleich laut!“ –

– Wer kennt sie noch, die Übungssessions mit wechselnden Freunden in irgendwelchen Kellern zwischen Tischtennisplatten und den Gartenmöbeln oder bei Bauer Otto in der leerstehenden Scheune oder gar bei “Michael“, dem Sohn einer örtlichen Bauunternehmergröße, im gerade zu Reinigungszwecken wasserbefreiten 20m-Pool (wer kann schon sonst sagen, dass er zum Mukkemachen über eine Leiter eingestiegen ist)? Da praktisch bei jedem Treffen entweder die Besetzung oder die Location wechselte und nur der harte innere Kern der Initiatoren gleichblieb, nannten sich die “Bands“ gerne sehr individuell: Aus den “grünen Unterhosen“ (ein Lacher: Alle hatten bei der Session AUSNAHMSLOS die gleichen, giftgrünen Unterhosen mit schwarzen Nähten vom Grabbeltisch bei Karstadt an – es war klar, wie die Band heißen musste) wurden die “scarp atmospherics“, als man vor der Session vom Stand von “Brot für die Welt“ die billige aber schmackhafte Linsensuppe in riesigen Mengen verköstigt hatte und es danach in den kleinen Kabuff von Keller im Haus von Dicky ging. Später, mit steigendem Lebensalter, wurden die Namen dann auch schonmal “seriöser“: “Harzer Roller“, “Die einzigartige Gert-Höllerich-Tanz-Kombo“, “Schlaukopf und seine Familie vom Steinberg“, “Die Hupengrabscher“, “Orca in Walhalla“, …und natürlich “Totgefickt und glücklich“ … eine schöne Zeit!

Natürlich wurden immer auch irgendwelche real existierenden Songs nachgespielt, aber fast immer mit “persönlicher Note“. Man kann sich nicht vorstellen wie geil “Highway Star“ von “Deep Purple“ klang, wenn “St. Birnwart“ den Bass mit seinem Fagott rockte und sich die komplett verzerrte Gitarre von “Dicky“ eine Solo-Battle mit dem Kuhlo-Horn von “Dirk dem Tier“ (er trank gerne Bier) lieferte. Oder als drei der zukünftigen potentiellen Grammygewinner beim Fahradfahren auf dem Schulhof erwischt und dazu verdonnert wurden, die “Schulordnung“ handschriftlich abzuschreiben, wurde kurzerhand bei Bauer Otto eine Aufnahme in folgender Besetzung getätigt: Tuba, Schlagzeug und Rhythmusgitarre. Im Stil von “Word up“ von Cameo wurde die Schulordnung musikalisch gefällig eingesprochen statt “Word up“ wurde allerdings “Ord-Nung!“ gerufen)– den am Ende des Oevres kommentierenden und imitierten “Behördenfurz“ (“wenn die Obrigkeit denkt, ein Furz sich aus dem Arsche drängt!“) eingeschlossen. Mit den handschriftlich abgeschriebenen Schulordnungsexemplaren übergaben wir feierlich auch eine Tonbandkassette (“TDK“, die waren billiger als “BASF“) mit der akustischen Schulordnungsversion.  Kurz: Wir hatten Spaß und imitierten nicht nur unsere Vorbilder, sondern fingen irgendwann auch an, EIGENE Ideen musikalisch umzusetzen.

Jetzt, knapp vierzig Jahre später, sind aus allen Bandkollegen von damals Menschen geworden, die im Leben stehen und auf verschiedenste Weise kreativ unterwegs sind. Im Gegensatz zu “damals“ verkommen Talentshows immer mehr zu professionellen Karaoke-“Plitschi-Platschi-Nachgelatschi“-veranstaltungen. Die Jugendlichen versuchen ihre Vorbilder exakt zu kopieren – der Drang, etwas selbst auszutüfteln wurde ihnen medial genommen – Du kannst nur Karriere machen, wenn Du das machst, was Dir gesagt wird. Die musikalische Vernuttung greift um sich und deshalb brauchen wir uns auch nicht zu wundern, wenn den meisten Jugendlichen nichts Relevantes mehr einfällt und sie vom System zu Knechten von “Musikbossen“ degradiert werden. Ich möchte zum Abschluss noch einmal das Schlußwort des großartigen Werkes “Schulordnung“ zitieren: “Wenn die Obrigkeit denkt, ein Furz sich aus dem Arsche drängt!“

Hier gibt es die einzige youtube-Aufnahme der legendären scarp athmospherics:

 https://www.youtube.com/watch?v=QuHAgt3oD_w

Cameo: “Word up“:

https://www.youtube.com/watch?v=MZjAantupsA

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