Es ist die Spitze des Eisberges, der bis weit in die Tiefe der zivilisatorischen Abgründe reicht: Dass es in Deutschland so weit gekommen ist, dass Politiker mit brachialer Gewalt angegriffen werden, liegt ohne Zweifel an Hass und Niedertracht. Doch in der Beurteilung, von welcher Seite diese Verwerflichkeit ausgeht, divergieren die Meinungen erwartungsgemäß zwischen Antifaschisten, Leitmedien und Establishment einerseits – und Unterstützern, Wählern und Funktionsträger rechter Kräfte andererseits.
Von Dennis Riehle
Während es in diesen Tagen allerdings ziemlich leicht fällt, dutzende Beispiele dafür anzuführen, wo Menschen aufgrund ihrer Sympathie und Fürsprache für die AfD ausgeschlossen, diffamiert und unterdrückt werden, bleiben die Erzählungen über eine angebliche Hetze der Alternative für Deutschland gegen ganze Gesellschaftsteile nicht nur unkonkret, sondern ledigliche Erfindungen einer krampfhaft nach rechtfertigenden Belegen für ein Verbot suchenden Kohorte an Verächtern des inhaltlichen, sittlichen und kultivierten Dialogs. Denn es war die Gefährderansprache einer Jugendlichen, die sich symbolischen Zeichentrickfiguren als Ausdruck ihres politischen Bekenntnisses bediente, der Jobverlust einer Agentur-Inhaberin der Versicherung „Allianz“ aufgrund des Teilens eines Posts der anrüchigen Nachwuchsorganisation, Androhungen der Diakonie zur Entlassung aller Wähler der Blauen, das Entbinden von Gemeindeaufgaben „falsch“ gesinnter Ehrenamtlicher in der katholischen und evangelischen Kirche, das Nahelegen der Kündigung durch manche Wirtschaftsbosse gegenüber Mitarbeitern mit einer missliebigen Parteienpräferenz, die Weigerung von Banken zur Durchführung von Überweisungen an die öffentlich Gegängelten, die Rückweisung von Kunden mit patriotischer Grundhaltung im Supermarkt oder die im aktuellen Fall ausgesprochene Abgrenzung des Landessportbundes gegenüber einem seiner Mitglieder, welche ein Zeugnis der Abstumpfung und Verrohung darstellen.
Denn sie allesamt dokumentieren, dass eine nicht unbeträchtliche Zahl an elitären, herrschsüchtigen und anmaßenden Mitgliedern unserer Spezies nicht aufgrund des Verhaltens und der Programmatik wertkonservativer, völkischer oder identitärer Mitbewerber auf dem Tableau in eine Atmosphäre von Polarisierung, Enthemmung und Tyrannei verfallen sind. Sondern wegen einer prinzipiellen Aversion gegenüber Andersdenkenden. Und da können im Augenblick noch so viele Linke, Grüne und Rote ihre Paranoia bauchpinseln, die ihnen eine dehumanisierende Auffassung der AfD suggeriert. Denn es ist nicht sie, die Erinnerungen an die dunkelsten Kapitel unserer Geschichte hervorruft. Damals brandmarkte man jene, welche man aus Sicht von unverhohlenen Rassisten aufgrund ihres religiösen und ethnischen Ursprungs als weniger wertvoll betrachtete – und für vogelfrei erklärte. Und so muss man nicht einmal einen der vielen Tweets bemühen, die nach der Attacke auf den SPD-Politiker Ecke von mehr oder weniger prominenten Persönlichkeiten der Ampel abgesetzt wurden – und Angriffe gegenüber „Plakatierenden“ der „demokratischen Parteien“ als ein Gräuel ansahen. Sie lassen nämlich im Umkehrschluss erahnen, welch Geistes Kind jene unter uns sind, die das Grundgesetz mit Füßen treten. Demnach ist die Würde jedes Menschen unantastbar – ohne Ansehen der politischen Orientierung. Es genügen auch die vielen Versuche, der Alternative für Deutschland durch dreiste Lügen, Falschbehauptungen und Übertreibungen beispielsweise zu unterstellen, sie plane Deportationen von Millionen Bundesbürgern mit Migrationshintergrund, welche am Ende offenlegen, zu welch böswilligen Mitteln man zu greifen bereit ist, um einen weltanschaulichen Gegner mundtot zu machen.
Nein, eine Parallele oder einen Vergleich mit dem Gebaren der echten Nationalsozialisten kann, sollte und darf man aufgrund der singulären und unbegreiflichen Bestialität des Holocaust nicht ziehen. Doch die Etikettierung, mit der man momentan jene als Verfassungsfeinde kenntlich machen will, die sich für Remigration, Retransformation und Revision der gegenwärtigen Zustände und Verhältnisse stark machen, hat durchaus ein erschreckendes Ausmaß an Verächtlichmachung, Denunziation und Entrechtung angenommen. Und da passt es nicht so gut zusammen, sich einerseits als Demonstranten für die Demokratie zu brüsten – um andererseits in totalitärer Mentalität der kritischen Opposition ihre Integrität und den Anspruch auf Unversehrtheit abzusprechen. Diese Doppelmoral ist ein wesentliches Charakteristikum von arglistigem Hochmut, der sich dann wie eine Luftblase aufbläht, wenn man in seiner intellektuellen, kognitiven und biografischen Hilflosigkeit keine Argumente mehr hat – und man sich nach der Kollision mit der oben genannten Meeresscholle im Untergang befindet. So ist es auch die beispiellose Widersprüchlichkeit, sich in Dauerschleife zu einer eigentlich so mahnenden Floskel des „Nie wieder“ zu bekennen – und gleichzeitig Bürger mit einer Überzeugung außerhalb des Altparteienkartells als „Nazis“ zu schmähen, die man laut Böhmermann „keulen“ darf. Selten war ein Klima derart angespannt – und die Entfremdung des Miteinanders so weit fortgeschritten. Wir befinden uns auf einem Weg der ständigen Segregation, bis wir uns irgendwann von uns selbst distanzieren müssen. Erst in diesem Stadium wird sich der Ideologe möglicherweise seiner Schuld bewusst werden, die er mit dem Verfechten von Repression, Drangsal und Schikane der untadeligen Menge auf sich geladen hat.