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Wider die Heiligsprechung von Julian Nagelsmann

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Ich will gar nicht leugnen, den Fußballtrainer Julian Nagelsmann noch nie gemocht zu haben, also schon nicht als Trainer von Hoffenheim, Leipzig und Bayern München. Dieses ewig motzige, schnell beleidigte Gesicht, wenn es auf dem Rasen mal nicht so lief wie er sich das vorstellte, nervte mich einfach. Doch mein persönliches Unbehagen bei der Beobachtung seiner Trainerreaktionen würden einer schriftlichen Anmerkung kaum wert sein, wäre Nagelsmann nicht seit einiger Zeit als Bundestrainer beim DFB angestellt und damit spätestens seit den deutschen Spielen bei der Fußballeuropameisterschaft sozusagen ein nationales Thema.
Von Wolfgang Hübner
Wenn ich nun allerorten lese und höre, wie toll Nagelsmann die deutsche Mannschaft geformt und wie gut er auf das in der Tat unglückliche Scheitern gegen Spanien reagiert habe, platzt mir allerdings die Hutschnur: Welche außergewöhnliche Trainerleistung soll es darstellen, die besten Spieler der Fußballnation Deutschland bei einem großen Turnier im eigenen Land zu motivieren? Da ist doch ohnehin jeder in der Mannschaft bestrebt, seinen Marktwert noch zu erhöhen und möglichen Ruhm zu ernten! Dazu profitierte Nagelsmann davon, dass der überpolitisierte DFB nach der Blamage in Katar endlich zwei Gänge im Bessermenschentum zurückschalten musste.
Ich rechne es Nagelsmann übrigens hoch an, den Antifafreund Leon Goretzka vor der EM aussortiert zu haben. Doch die im Fernsehen zu beobachtenden Reaktionen und Gesten des Bundestrainers während und nach dem Spiel gegen Spanien haben leider erneut einen jungen Trainer gezeigt, der schlecht verlieren kann und auf das Ausscheiden aus dem Turnier persönlich verletzt sogar mit Tränen reagierte. Soviel Emotion mögen manche ganz toll finden, ich finde sie unreif. Unreif und dumm dazu ist es auch, gleich trotzig vom Griff nach dem WM-Titel 2026 zu reden.
Doch auch das hätte mich noch nicht bewegt, etwas über Nagelsmann zu schreiben. Dazu musste er bei der Abschlusskonferenz des DFB am Samstag erst eine Rede halten, in der er sich, wie die FAZ ganz richtig schreibt, „vom Bundestrainer in den Bundespräsidenten“ verwandelte. In dieser Rede, die Nagelsmann mit Sicherheit nicht ganz spontan formuliert hat, fehlt aber auch kein Gutmenschenklischee – vom Appell zur nationalen Einigkeit bis zum Lob der Vielfalt. Dass der neben ihm sitzende SPD-Funktionär als DFB-Präsident zustimmend nickte, ist nicht verwunderlich. Doch mir reicht ein Steinmeier als Phrasendrescher. Und ich brauche keine multimediale Heiligsprechung eines hochbezahlten Motivators von kickenden Millionären. Wie geht es Ihnen?
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