Karaganow, Putins Berater, befürwortet den Einsatz früher, begrenzter Atomschläge gegen politisch-militärische Entscheidungszentren nicht nur in der Ukraine, sondern notfalls auch außerhalb der Ukraine, um die Amerikaner und den kollektiven Westen zuvor zukommen, um einen endlosen Krieg der USA und der NATO gegen Russland in der Westukraine zu vermeiden und den Selbsthaltungstrieb des Westens zu entfachen. Das schrieb Sergei Karaganow am 13.06. in der Russia Globalaffairs.
Karaganow ist russischer Politikwissenschaftler, der den Rat für Außen- und Verteidigungspolitik leitet, eine gegründete Denkfabrik für Sicherheitsanalysen und außerdem Berater der Präsidenten Boris Jelzin und Wladimir Putin. Er soll sowohl Putin wie dem Außenminister Sergei Lawrow nahestehen.
Er fordert in dem Artikel, den Amerikanern und dem kollektiven Westen notfalls mit einem präventiven begrenzten Nuklearschlag auf ukrainisch-westliche, politische-militärische Entscheidungszentren nicht nur in der Ukraine, wieder Ehrfurcht vor dem russischen nuklearen Abschreckungspotential beizubringen. Einer der wesentlichen Aspekte Karaganows ist, dass der andauernde Krieg zwischen Russland und der Ukraine auch mit einer vernichtenden Niederlage der Ukraine nicht beendet sein wird.
„Waffenstillstand ist möglich, Frieden aber nicht“
„Er wird weiter gehen“, schreibt er, „denn eine noch stärker verbitterte, ultranationalistische Bevölkerung, die mit Waffen vollgepumpt wird, wird weiter kämpfen. Das wird eine blutende Wunde, mit unvermeidlichen Komplikationen und der Gefahr eines neuen Krieges. Die schlimmste Situation kann eintreten, wenn wir auf Kosten enormer Verluste die gesamte Ukraine befreien und sie in Trümmern liegen bleibt, mit einer Bevölkerung, die uns dann größtenteils hasst. . . . Die Fehde mit dem Westen wird daher weitergehen, da der den daraus resultierenden Guerillakrieg unterstützen wird.”
„Waffenstillstand ist möglich, Frieden aber nicht“, so Karaganow weiter.[ ] „Die Richtung dieses Kräftevektors des Westens weist eindeutig auf ein Abrutschen in Richtung Dritten Weltkrieg hin. Er hat bereits begonnen und kann zufällig oder aufgrund der Inkompetenz und Verantwortungslosigkeit der modernen herrschender Eliten im Westen zu einem ausgewachsenen Feuersturm werden.”
Nach Karaganows Ansicht ist der von den USA geführte Krieg gegen Russland in der Ukraine mit Unterstützung der NATO deshalb möglich, weil im Westen die Angst vor einem Atomkrieg verschwunden ist. Was heute in der Ukraine passiert, argumentiert er, wäre in den früheren Jahren des Atomzeitalters undenkbar gewesen. Selbst Schmidt und Kohl wären in die Bunker gekrochen, schreibt er weiter.
Wir können kaum erwarten, dass in Zukunft vernünftigere Führer an die Macht kommen
Im Text fordert er: Es sei notwendig, den Selbsterhaltungstrieb, den der Westen verloren hat, zu wecken und ihn davon zu überzeugen, dass seine Versuche, Russland durch die Bewaffnung der Ukrainer zu zermürben, für den Westen selbst kontraproduktiv sind. Wir müssen die nukleare Abschreckung wieder zu einem überzeugenden Argument machen, indem wir die Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen unannehmbar hoch ansetzen und die Abschreckungs-Eskalationsleiter rasch, aber umsichtig nach oben schieben.
Dass ihn diese Ansicht selbst abschreckt, liest man zwischen den Zeilen. „Moralisch gesehen sind das schreckliche Entscheidungen, da wir Gottes Waffe einsetzen und uns damit selbst zu schweren geistigen Verlusten verdammen. Aber wenn wir dies nicht tun, kann nicht nur Russland sterben, sondern höchstwahrscheinlich wird die gesamte menschliche Zivilisation aufhören zu existieren“.[ ]
Angesichts der westlichen Entwicklung – der anhaltenden Degradierung der meisten ihrer Eliten – wird jeder ihrer nächsten Aufrufe noch inkompetenter und ideologisch aufgeladener sein als der vorherige. Fast verzweifelt lautet folgender Satz an: „Wir können kaum erwarten, dass dort in naher Zukunft verantwortungsvollere und vernünftigere Führer an die Macht kommen werden. Dies kann nur nach einer Katharsis geschehen, nachdem sie ihre Ambitionen aufgegeben haben“. Dass auch Deutschland sich in einer Art Trauerspiel, Tragödie (Katharsis) befindet, wird im Ausland nicht nur wahrgenommen, sondern teilweise findet sich auch Spott und Häme.(1)
Amerika muss abhauen
Karaganows hingegen führt weiter aus: „Tausende und Abertausende unserer besten Männer opfern und hunderttausende von Menschen, die in dem Gebiet leben, das heute Ukraine heißt und die in eine tragische historische Falle geraten sind, niedermähen . . .. Diese Militäroperation kann nicht mit einem entscheidenden Sieg enden, ohne den Westen zum strategischen Rückzug oder sogar zur Kapitulation zu zwingen und Amerika zu zwingen, seinen Versuch aufzugeben, die Geschichte umzukehren und seine globale Dominanz beizubehalten. . . . Grob gesagt muss Amerika abhauen, damit Russland und die Welt ungehindert vorankommen können.”.
Es bleibt die Hoffnung, dass das im Januar erschiene RAND – Papier, welches der USA den Rückzug aus der Ukraine nahe gelegt wird, zeitnah umgesetzt wird. Vieles spricht dafür, unabhängig davon beginnt in gut drei Monaten der Wahlkampf in den USA und es ist schwierig mit einem schlecht laufenden Krieg zu punkten. Denn es steht nicht gut um die Offensive der Ukraine, die in den westlichen System-Medien seit Monaten mit Vorschusslorbeeren bejubelt wurde.
Thierry Meyssan schrieb bereits den Artikel vom 10.Juni 2023 Der Zusammenbruch von Kiew . Dort skizziert er den Zusammenbruch und fügt an: „Das „Schachmatt” markiert nicht nur das Ende der Ukraine, wie wir sie kannten, sondern auch das Ende der Vorherrschaft des Westens, der auf seine Lügen gesetzt hatte“. „Die Stäbe der Vereinigten Staaten, des Atlantischen Bündnisses und der Ukraine geben sich gegenseitig die Schuld für diese historische Katastrophe. Mehrere hunderttausend Menschenleben und 500 Milliarden Dollar wurden umsonst verschwendet. Die westlichen Waffen, die in den 90er Jahren die Welt erschütterten, sind wertlos im Vergleich zum russischen Arsenal von heute. Die Macht hat die Seiten gewechselt“, so Meyssan weiter
Trotzdem befürchtet Russland einen Jahre dauernden Kleinkrieg, der in der West-Ukraine ausgetragen wird, notfalls mit Söldnern aus den NATO-Ländern um Zeit für Waffennachschub zu gewinnen. Karaganows Ansicht zeigt, dass die Geduld der Russen sich dem Ende neigt und das Land nicht davon aus geht, die Ukraine sei das letzte Ziel geopolitischer Strategien.
Ukrainische Szenario darf sich in Weißrussland nicht wiederholen
So habe Putin, laut Karganovw bereits angefangen, die Strategie der Abschreckung zu nutzen und erklärt weiter: „Durch seine Aussagen und durch die vorwärts Stationierung russischer Atomwaffen in Weißrussland. Dort darf sich das ukrainische Szenario nicht wiederholen. Ein Vierteljahrhundert lang haben wir nicht auf diejenigen gehört, die davor warnten, dass eine NATO-Aggression zu einem Krieg führen würde. Wir haben immer wieder gezögert und versuchten zu verhandeln. Und zu guter Letzt haben wir jetzt einen schweren bewaffneten Konflikt. Der Preis der Unentschlossenheit wird jetzt um eine Größenordnung höher sein“
Das Putin die Strategie tatsächlich nutzten könnte, ist möglich. So erklärte er am 23.06.23 auf Twitter, die neue Satan-II-Rakete der russischen Streitkräfte sei „einsatzbereit” – sie könne Paris in nur 3,5 Minuten und Brüssel in 3 Minuten erreichen und vernichten.
Es ist keine Antwort auf Karaganows Schlussfolgerung möglich Was ist legitim, um die Auslöschung der Menschheit zu verhindern? Nötig ist sicherlich, in den gesamten Gesellschaften des Westens, die Gefahr wieder wahrzunehmen.
[videopress BVEmHx9F]
(1)Während in Russland große Sorge auch über deutsche Politiker herrscht, sorgen sie im restlichen Ausland nicht selten für Spott und Häme.
Foto Csis: Das Nuklearraketen-Arsenal der Russischen Föderation.