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Der Rundfunkstaatsvertrag und Seymour Hersh

Der Enthüllungsbericht des investigativen Journalisten Seymour Hersh hat für viel Wirbel gesorgt. Jedoch wird sein Bericht von westlichen Medien und Politikern kaum erwähnt. Die Bundesregierung verweigert die Antworten auf parlamentarische Anfragen zur Nord-Stream-Sprengung und verweist auf Geheimhaltungsinteresse. Ein Skandal, der die Medien nicht interessiert. Bei vielen Alternativmedien ist über das laute Schweigen berichtet worden und die Empörung war und ist groß. Um das Verhalten der öffentlichen rechtlichen Medien zu verstehen, muss man ein wenig in der Geschichte blättern.

Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg

In den drei westlichen Besatzungszonen wurde nach dem Krieg an der Entwicklung einer demokratischen Presse und eines freien Rundfunks gearbeitet – unter der Zensur der alliierten Sieger natürlich. Ein gemeinsames Konzept hatten Engländer, Amerikaner und Franzosen nicht, aber in jeder ihrer Besatzungszonen entstanden mehrere Militärsender, die zu den Keimzellen bundesdeutscher Rundfunkanstalten werden. Nach mehrmonatigen Beratungen schlossen sich am 9. und 10. Juni 1950 die sechs Landesrundfunkanstalten zur „Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland” (ARD) zusammen. Der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wurde und wird durch den Rundfunkstaatsvertrag geregelt.

Ein Blick in den Vertrag lässt schnell erkennen, warum viele Medien schweigen. Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist es, durch die Herstellung und Verbreitung ihrer Angebote als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen. So heißt es im Vertrag:

„Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (…) sollen hierdurch die internationale Verständigung, die europäische Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Bund und Ländern fördern”. (§11)

Man beachte den letzten Satz: Die europäische Integration soll von ARD und ZDF gefördert werden. Was bedeutet das genau? Das lässt sich schnell prüfen, weil dieser gewichtige Begriff es zu einem eigenen Wikipedia-Eintrag geschafft hat.

Dort heißt es: „Die europäische Integration steht begrifflich für einen ‚immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker‘. (…) 1994 durch ein Papier von Wolfgang Schäuble und Karl Lamers geprägt, bezeichnet der Begriff Kerneuropa (wichtigstes Ziel der europäischen Integration) eine Gruppe derjenigen europäischen Staaten, die durch die weitestgehende politische, wirtschaftliche und militärische Integration miteinander verbunden sind. Konkret können hierunter gegenwärtig die Staaten verstanden werden, die zugleich Mitglieder nicht nur der EU, sondern auch der Eurozone, des Schengener Abkommens und der NATO sind”.

Das bedeutet, die Fernsehanstalten sind vertraglich verpflichtet, alle Nato-Entscheidungen gutzuheißen. Wenn die NATO in die Ukraine einmarschieren will, dann bleibt den Sendern nur ein sehr kleiner Spielraum für Kritik. Es nutzen auch keine noch so zutreffenden Warnungen vor den damit verbundenen Kriegsgefahren: Die NATO gehört zur europäischen Integration und ist deshalb zu fördern. Somit haben Journalisten, Chefredakteure und die Moderatoren mit berühmten Namen kaum eine andere Wahl haben: Sie müssen Nato-freundlich berichten. Denn so steht es in ihren Verträgen. Dafür muss man kein Verständnis aufbringen, aber es als Tatsache begreifen.

Wenn sich allerdings der Enthüllungsbericht des investigativen Journalisten Seymour Hersh als wahr erweist, dann wird es auch diesen Vertrag hinwegfegen und die Nato obsolet erscheinen lassen. Denn wozu braucht es ein Bündnis, in dem sich die Partner gegenseitig angreifen?

Nun hat sich ein weiterer Zeuge gemeldet, der die Geschichte von Hersh bestätigt. Der NATO-Offizier will aus Angst vor Konsequenzen anonym bleiben. Seine Beschreibung passt zu den von Seymour Hersh zusammengetragenen Informationen und untermauert diese. Die Geschichte verdichtet sich immer mehr und so scheint es  nur eine Frage der Zeit, bis der Wind sich dreht.

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