Petrochemie (Bild: shutterstock.com/Avigator Fortuner)

Petrochemiebranche in Europa vor dem Kollaps

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Die Petrochemiebranche in Europa steht vor dem Aus. Die Hersteller in der Region importieren die Grundstoffe zur Herstellung von Plastik aus dem Ausland. Das liegt daran, dass die Energiepreise die inländische Produktion zu teuer machen. Das letzte Mal, als europäische Petrochemieanlagen so wenig von ihrem bevorzugten Rohstoff war 1975, und die Region leckte immer noch ihre Wunden nach der ersten Ölkrise. Fast ein halbes Jahrhundert später stirbt die Branche (Bloomberg: 20.11.23).

Ein Beitrag von Blackout-News

Europas Petrochemiebranche vor dem Aus: Import ersetzt heimische Produktion von Kunststoffen

Es wäre ein Fehler, dies als Sieg im Kampf gegen Plastik zu interpretieren. Europa verbraucht weiterhin enorme Mengen an Schaumstoffen, Farben, Harzen und allen anderen Produkten, die petrochemische Fabriken herstellen. Es ersetzt jedoch die inländische Produktion durch importierte Waren.

Der Verbrauch von Naphtha, einem essenziellen Rohstoff der Petrochemieindustrie in Europa, wird 2023 auf den niedrigsten Stand seit fast 50 Jahren sinken, was einem Rückgang um 40 % entspricht. Naphtha ist ein unverzichtbarer Grundstoff für die Herstellung einer Vielzahl von petrochemischen Produkten, einschließlich Kunststoffen, Lösungsmitteln und Treibstoffen. Der dramatische Rückgang im Naphthaverbrauch ist ein Indikator für tiefgreifende Veränderungen und Herausforderungen, denen die europäische Petrochemieindustrie derzeit gegenübersteht.

Petrochemikalien sind bekanntermaßen energieintensiv in der Herstellung. Die europäischen Produzenten sehen sich hierbei einem erheblichen Wettbewerbsnachteil gegenüber, insbesondere aufgrund der hohen Energiepreise. In Europa sind die Kosten für Erdgas etwa fünfmal höher als in den USA. Diese Diskrepanz in den Energiekosten hat weitreichende Konsequenzen für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie. Ein besonders drastisches Beispiel ist Ethylen, ein zentraler Baustein für die Kunststoffproduktion. Derzeit ist es kostengünstiger, Ethylen in Texas zu produzieren und über den Atlantik nach Europa zu transportieren, als es direkt vor Ort in Europa herzustellen. Viele petrochemische Unternehmen haben ihre Strategien entsprechend angepasst und beziehen nun Ethylen aus den USA.

Diese Entwicklung führt zu einem signifikanten Verlust an wirtschaftlicher Aktivität in Europa. Der Rückgang der heimischen Produktion bedeutet, dass weniger Wertschöpfung innerhalb der EU stattfindet, was wiederum negative Auswirkungen auf die Handelsbilanz hat. Die EU, die traditionell einen starken Exportsektor im Bereich der Chemieprodukte hatte, sieht sich nun einer Erosion ihrer Handelsbilanz gegenüber. Dies wirkt sich nicht nur auf die wirtschaftliche Stabilität der Region aus, sondern hat auch direkte soziale Konsequenzen, da Arbeitsplatzverluste in der Petrochemieindustrie unvermeidlich sind.

Die Verlagerung der Produktion ins Ausland hat zudem weitreichende Folgen für die Energieversorgungssicherheit Europas. Die Abhängigkeit von importierten petrochemischen Produkten und Rohstoffen erhöht die Verwundbarkeit der europäischen Wirtschaft gegenüber globalen Marktvolatilitäten und geopolitischen Spannungen. Eine sichere und stabile Energieversorgung ist jedoch von entscheidender Bedeutung für die wirtschaftliche und politische Stabilität der Region.

In Reaktion auf diese Herausforderungen müssen europäische Entscheidungsträger und Industrievertreter strategische Maßnahmen ergreifen. Eine Möglichkeit besteht darin, die Energieeffizienz in der Petrochemieindustrie zu erhöhen und auf nachhaltigere Produktionsmethoden umzusteigen. Dies könnte durch Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie durch die Förderung von Technologien zur Nutzung erneuerbarer Energien erreicht werden. Darüber hinaus könnten politische Maßnahmen zur Senkung der Energiekosten und zur Unterstützung der heimischen Produktion beitragen, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Petrochemieindustrie zu stärken.

Die gegenwärtige Situation verdeutlicht auch die Notwendigkeit einer engeren internationalen Zusammenarbeit und Handelsabkommen, die den freien und fairen Handel mit petrochemischen Produkten fördern. Gleichzeitig müssen Maßnahmen ergriffen werden, um die Resilienz der europäischen Wirtschaft zu stärken und die Abhängigkeit von importierten Rohstoffen zu reduzieren.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der drastische Rückgang des Naphthaverbrauchs in Europa ein Symptom tieferliegender struktureller Probleme in der Petrochemieindustrie ist. Die Bewältigung dieser Herausforderungen erfordert koordinierte Anstrengungen auf politischer, wirtschaftlicher und technologischer Ebene, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu erhalten und die langfristige wirtschaftliche und energetische Sicherheit der Region zu gewährleisten.

Europa in Plastikkrise: Petrochemiebranche am Rande des Zusammenbruchs

Zunächst etwas Kontext: Im Durchschnitt verbraucht eine Person in Europa rund 150 Kilogramm Kunststoff pro Jahr, mehr als doppelt so viel wie der globale Durchschnitt von 60 Kilogramm, so die Europäische Umweltagentur. Kunststoffe sind überall – von Lebensmittelverpackungen bis hin zu Baumaterialien, von Mobiltelefonen bis hin zu Kleidung.

Als Nächstes die Daten. Die petrochemische Industrie basiert hauptsächlich auf zwei Rohstoffen: Erdgas und Naphtha. Naphtha ist ein Nebenprodukt der Ölraffinerie und ähnelt in gewisser Weise Benzin. Die Internationale Energieagentur sagt voraus, dass der europäische Naphtha-Verbrauch in diesem Jahr auf den niedrigsten Stand seit 48 Jahren sinken wird. Das entspricht 34,2 Millionen metrischen Tonnen. Im Vergleich zu den Werten vor Covid-19 ist das ein Rückgang um 18,5 %, und es liegt fast 40 % unter dem bisherigen Höchststand vor zwei Jahrzehnten.

Krise der Petrochemiebranche in Europa: Steamcracker am Rande des Zusammenbruchs

Die Steamcracker sind entscheidend für die petrochemische Industrie. Sie verwandeln Naphtha und Gas in chemische Bausteine. Doch sie laufen derzeit mit geringer Auslastung, was unrentabel ist. Aufgrund ihrer enormen Fixkosten betreiben Unternehmen ihre Steamcracker normalerweise so nahe wie möglich an ihrer Kapazitätsgrenze während des gesamten Jahres. Alles unter 90% ist eine Quelle der Sorge; 85 % sind schlecht, und 80 % gelten als katastrophal. In den letzten Quartalen haben sie jedoch mit Verlusten zwischen 65 % und 75 % ihrer Kapazität gearbeitet.

Inoffiziell sagen Industrie-Manager, dass sie nur für eine begrenzte Zeit Geld verlieren können – daher sind Schließungen im Jahr 2024 sicher. Die IEA hat diplomatisch ausgedrückt, dass die Erholung der petrochemischen Industrie in Europa immer schwieriger wird. Industrie-Manager sind direkter und sagen, dass sie keine Erholung erwarten.

Europäische Unternehmen passen sich entsprechend an. Als sich BASF SE, das Unternehmen, das in Europa mit Petrochemie gleichgesetzt wird, vor einigen Wochen mit Investoren traf, wollten seine Führungskräfte alles außer ihrem Heimatmarkt besprechen. Schaut man sich ihre Präsentationsfolien an, fällt der Bau einer neuen Fabrik in Zhanjiang, China, mit einem Preis von 10 Milliarden Dollar auf. „Die Bauaktivitäten haben zugenommen, derzeit sind mehr als 15.000 Bauarbeiter täglich auf der Baustelle“, heißt es in den Folien. Bei europäischen Chemieunternehmen ist der Anteil der Ausgaben für neue Projekte in Asien in den letzten anderthalb Jahrzehnten laut Schätzungen der Investmentbank Jefferies Financial Group Inc. um etwa 50 % gestiegen.

Europas Petrochemiebranche am Abgrund: Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Zukunft der Branche

Wie wirkt sich das auf die Wirtschaft aus? Vor der Pandemie wies Europas chemische Handelsbilanz mit dem Rest der Welt regelmäßig einen Überschuss von 40 Milliarden Dollar auf. Im vergangenen Jahr jedoch schrumpfte dieser Überschuss auf lediglich 2,5 Milliarden Dollar. Obwohl eine leichte Erholung für 2023 erwartet wird, sind die Aussichten für 2024 düster. Europäische Politiker scheinen diese Entwicklungen nicht öffentlich zu thematisieren. In Brüssel, Berlin, Madrid oder London gibt es keine Anzeichen für Alarm. Paris mag einige Anzeichen von Besorgnis zeigen, aber insgesamt bleibt die Reaktion verhalten.

Der Fokus vieler europäischer Länder liegt derzeit auf der Rettung der Offshore-Windindustrie. Diese Bemühungen sind zweifellos wichtig, da erneuerbare Energien eine zentrale Rolle in der zukünftigen Energieversorgung spielen werden. Dennoch stellt sich die Frage, was mit den petrochemischen Unternehmen geschieht, die die Harze und Kunststoffe produzieren, aus denen die Rotorblätter der Windkraftanlagen hergestellt werden. Diese Unternehmen sind ebenfalls von großer Bedeutung für die europäische Wirtschaft und die Energiewende.

Die schrumpfende Handelsbilanz zeigt deutlich, dass die europäische Petrochemieindustrie dringend Unterstützung benötigt. Es geht nicht nur um die wirtschaftliche Stabilität, sondern auch um die Sicherstellung der Versorgung mit wichtigen Materialien und Produkten, die für zahlreiche Industriezweige unerlässlich sind. Der Verlust an Wettbewerbsfähigkeit und die Verlagerung der Produktion ins Ausland gefährden nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch die technologische Souveränität Europas.

Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass politische Entscheidungsträger die Bedürfnisse der Petrochemieindustrie nicht übersehen. Maßnahmen zur Senkung der Energiekosten und zur Förderung von Innovationen in der Produktion können helfen, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Zudem sollte die Integration der Petrochemie in die Strategien für eine nachhaltige Wirtschaft verstärkt werden. Durch Investitionen in umweltfreundlichere Produktionsverfahren und die Nutzung erneuerbarer Energien könnte die Branche zukunftsfähig gemacht werden.

Insgesamt müssen europäische Regierungen eine ausgewogene Herangehensweise finden, die sowohl die Förderung erneuerbarer Energien als auch die Unterstützung traditioneller Industrien umfasst. Nur so kann die europäische Wirtschaft nachhaltig wachsen und sich den globalen Herausforderungen stellen. Die derzeitige Konzentration auf die Offshore-Windindustrie ist wichtig, aber eine umfassendere Strategie, die alle wichtigen Wirtschaftssektoren einbezieht, ist unerlässlich, um langfristig erfolgreich zu sein.

Europa hat bereits andere Industrien an Asien verloren. Stahl, Textilien und Schiffbau sind alle in den Osten gewandert. Diesmal ist der Wettbewerb nicht nur China, sondern auch die USA, dank reichlich vorhandener Kohlenwasserstoffe dort. Die inländische Produktion von Kohlenwasserstoffen boomt unter Präsident Joe Biden. Industrie- und Energiepolitik spielt eine Rolle. Wenn Europa einen Teil seiner alten industriellen Stärke erhalten möchte, müssen die Politiker die petrochemische Industrie öffentlich unterstützen – selbst wenn es bei klimabewussten Wählern unbeliebt ist. Die Branche selbst muss ebenfalls nachdenken. Konsolidierung ist dringend erforderlich. Derzeit gibt es zu viele Unternehmen – und Vorstandsvorsitzende – pro Tonne produzierten Plastiks. Kostensenkungen sollten oben beginnen.

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