Es geht auf Weihnachten zu. Am Sonntag ist schon der 1. Advent. Es kommt Licht ins Dunkel. Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier – dann brennt der Christbaum vor der Tür. Das behagt nicht jedem. Es besteht Verdunkelungsgefahr.
von Max Erdinger
Israel zuerst. Sowohl die BBC als auch die “Financial Times” berichteten, daß die Vorbereitungen auf den Angriff vom 7. Oktober seit drei Jahren gelaufen seien. Das “Training” im Gazastreifen sei in den Wochen vor dem 7. Oktober auch beobachtet worden. Entsprechende Meldungen an die Vorgesetzten seien von Soldatinnen der IDF aus der Grenznähe zum Gazastreifen gemacht -, an höherer Stelle jedoch ignoriert worden. Einer der Soldatinnen soll sogar mit dem Kriegsgericht gedroht worden sein, sollte sie nicht damit aufhören, die Alarmglocken zu läuten. Außerdem hätte das Training für den Angriff vom 7. Oktober aus einer “konzertierten Aktion” von elf (!) islamischen Terrorgruppen bestanden, von denen wiederum die Hamas lediglich eine, wenn auch die federführende gewesen sei. Entsprechende Videos seien sogar im Internet zu sehen gewesen.
Wenn man bedenkt, dass dies alles so offen und ohne große Geheimhaltung passierte, fragt man sich unweigerlich, wie es möglich war, dass die höheren Ebenen der israelischen Sicherheitsstruktur offenbar kollektiv auf beiden Ohren taub waren. Es wirkt beinahe so, als sei das Ignorieren der Warnungen eine sportliche Disziplin innerhalb der Führungsetagen gewesen. Die Vorstellung, dass wiederholte und präzise Hinweise von den Grenztruppen einfach übergangen wurden, ist nicht nur erschreckend, sondern zeugt auch von einem erstaunlichen Maß an Unfähigkeit oder, noch schlimmer, von absichtlicher Nachlässigkeit.
Diese Vorgänge werfen auch ein grelles Licht auf die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen islamischen Terrorgruppen. Dass elf dieser Gruppen gemeinsam operierten, zeigt nicht nur die Komplexität und das Ausmaß des Angriffs, sondern auch eine beunruhigende Effizienz und Koordination. Es ist fast, als hätten sie ein makabres Theaterstück inszeniert, während die Welt zusah und die Verantwortlichen wegsahen. Dass solche Videos im Internet kursierten, ohne dass es zu einer ernsthaften Reaktion kam, macht die Situation noch unfassbarer. Es scheint fast, als hätte man gehofft, dass die Bedrohung einfach von alleine verschwinden würde, wenn man nur lange genug die Augen davor verschließt.
Diese Ignoranz gegenüber offenkundigen Warnsignalen und das Versäumnis, angemessen auf die sichtbaren Vorbereitungen zu reagieren, lassen einen tiefen Schatten auf die Führungsstrukturen und Entscheidungsprozesse innerhalb der israelischen Sicherheitsbehörden fallen. Es bleibt zu hoffen, dass diese eklatanten Fehler gründlich untersucht und notwendige Maßnahmen ergriffen werden, um solche tragischen Versäumnisse in Zukunft zu verhindern.
Früheren Meldungen zufolge hatte sich Netanyahus Kabinett noch am 6. Oktober mit der aktuellen Gefährdungslage befaßt, Entscheidungen jedoch auf den 7. Oktober verschoben, weil am 6. Oktober wegen des bevorstehenden Feiertags niemand die IDF in Alarmbereitschaft versetzen wollte. Das hätte bedeutet, daß für Viele Jom Kippur mit den Familien ins Wasser gefallen – und der Unmut darüber groß gewesen wäre, hätte der Angriff dann doch nicht stattgefunden. Am Morgen des 7. Oktober traf sich das Kabinett erneut und hatte auf einmal ganz reale Dinge zu besprechen. Somit erhärtet sich mein Verdacht weiter, daß der Angriff vom 7. Oktober keine Überraschung gewesen ist, sondern im Rahmen eines fehlerhaften geopolitischen Kalküls als willkommener Zündfunke billigend in Kauf genommen worden sein könnte. Die Überraschung könnte lediglich im unerwarteten Ausmaß des Angriffs bestanden haben.
Die “humanitäre Pause” beim Völkermord im Gazastreifen, die dem Völkermord ein so menschliches Antlitz verliehen hatte, wäre heute eigentlich zu Ende gegangen, wurde aber in letzter Minute um einen weiteren Tag verlängert. Unterdessen drängen sowohl die Vereinten Nationen als auch der US-Außenminister Anthony Blinken auf einen andauenden Waffenstillstand zwischen der Hamas und Israel. Die übrigen zehn islamischen Terrorgruppen scheinen da nichts mitzureden zu haben.
Netanyahu und Biden
Wäre die “humanitäre Pause” tatsächlich heute, am 30.11.2023 zu Ende gegangen und die israelische Regierung hätte die Bombardierungen des Gazastreifens wieder aufgenommen, wäre auch der heutige Tag in die Geschichte eingegangen als der Beginn des israelischen Untergangs.
Wie Prof. John Mearsheimer in einem Interview bei Andrew Napolitanos “Judging Freedom” gestern ausführte, stehen sowohl Benjamin Netanyahu als auch Joe Biden vor der Wahl zwischen der Pest und der Cholera. Da die Israelis sehr “verlustsensibel” sind, dürfte die IDF der weiteren Bombardierung den Vorzug vor einer verlustreichen Bodenoffensive mit Häuser- und Tunnelkämpfen geben. Mit einer fortgesetzten Bombardierung allerdings ist das vorgebliche Ziel, die Hamas auszulöschen, nicht zu erreichen, so daß die verlustärmere Variante zugleich auch diejenige ist, die medial nicht mehr zu rechtfertigen wäre, zumal die Frage im Raum stünde, weshalb nur die Hamas vernichtet werden soll, die übrigen zehn am Terroranschlag vom 7. Oktober beteiligten Terrorgruppen jedoch nicht. Die Bombardierung als verlustärmere Variante birgt die Gefahr, daß sich nunmehr andere “Player” in den Konflikt einklinken wie etwa die Türkei, der Libanon und Saudi Arabien. Die verlustreichere Variante wiederum wird der Zustimmung der israelischen Bevölkerung rapide das Wasser abgraben.
In den USA wird Joe Biden von zwei Seiten gegrillt. Der Widerstand gegen das genozidale Vorgehen der Israelis im Gazastreifen ist enorm einerseits, der Einfluß des “American Israel Public Affairs Committee” (AIPAC) auf der anderen Seite allerdings ebenso. In den fünf Swingstates, in denen derzeit Donald Trump in den Umfragen eindeutig vorne liegt, leben viele arabischstämmige Amerikaner. Wenn die Trump wählen, ist die Wahl 2024 für die Demokraten heute schon gelaufen. Dem Vernehmen nach ist die US-Regierung nicht nur darauf aus, Selenskyj in der Ukraine loszuwerden, sondern Netanyahu in Israel ebenso. Der wiederum weiß, was ihm blüht, wenn ein Waffenstillstand von unbestimmter Dauer eintritt. Das kann er nicht riskieren.
Was Netanyahu gestern abend allerdings riskierte, war seine Teilnahme an der Grundsteinlegung für eine israelische Siedlung namens “Ofir” im Gazastreifen. Benannt ist sie nach dem ehemaligen Vorsitzenden des Negev-Tor-Rats, Ofir Liebstein, der von der Hamas ermordet wurde. Netanyahu gestern Abend: “Ofir war ein Anführer, ein Mann des Landes Israel, ein Mann des Aufbaus, ein Mann der Siedlung. Hier werden Kinder aufwachsen und Mädchen, die über seinen Beitrag, sein Heldentum und seine Opfer aufgeklärt werden. Wir werden die Siedlungen restaurieren, die Siedlungen erweitern und weitere Siedlungen hinzufügen. Der Weizen wird wieder wachsen.”
Unterdessen wird die älteste Zeitung Israels, die seit 1919 erscheinende “Haaretz”, vom israelischen Kommunikationsminister Karhi mit dem Kriegsrecht bedroht. Die “Haaretz” hatte u.a. davon berichtet, daß beim verspäteten Eingreifen der IDF am 7. Oktober die “Hannibal-Direktive” umgesetzt wurde, was bedeutet, daß unterschiedslos Geiseln und Geiselnehmer gleichermaßen getötet worden seien. Sie berief sich dabei auf Aussagen von Überlebenden und IDF-Angehörigen. Die Zeitung zitierte nun aus einem Brief des Ministers an “Haaretz”. Darin heiße es, die Zeitung betreibe Desinformation und zersetzende Propaganda, um die Kriegsziele Israels zu unterminieren. Der Minister habe dem Blatt außerdem mit dem Kriegsrecht gedroht. Es könne sein, daß einige Veröffentlichungen der Zeitung sogar jene Grenzen des Erlaubten überschritten, die laut Strafgesetzbuch zu Kriegszeiten gelten.
Man muß sich aber keine Sorgen machen. Israel ist bekanntlich die einzige Demokratie im Nahen Osten, wie man an Netanyahus Schleifung der Gewaltenteilung per Justizreform einwandfrei feststellen konnte. Keinesfalls wollte er seiner eigenen Strafverfolgung einen Riegel vorschieben. Demokratisch, demokratischer, Israel. Die zionistischen Pläne für ein “Eretz Israel” (Großisrael), das mit den international anerkannten Staatsgrenzen des Landes nicht das geringste zu tun hätte, sind vermutlich auch nur ein Gerücht. Mit der Grundsteinlegung für die Siedlung “Ofir” im Gazastreifen gestern Abend hat Netanyahu wahrscheinlich nur eine Gelegenheit ergriffen, die sich ganz ohne eigenes Zutun ergeben hatte. Bei der Hamas kann man eben nicht richtig rechnen.
Diener des Volkes: Selenskyj und die Ukraine
Der “Diener des Volkes”, der heilige Wolodymyr aus Kiew, war seinem Volke derartig dienlich, daß etwa die Hälfte des ukrainischen Volkes beschloß, sich lieber im Ausland bedienen zu lassen. Der Krieg, den er sich von amerikanischen Neocons hat aufschwatzen lassen, ist absolut verloren. Aber sowas von. Etliche der transatlantischen Schmieranten aus der wertewestlichen Qualitätspresse halten jedoch am alten und seit jeher illusorischen Narrativ fest. Die Russen verlören täglich Panzer im Dutzend und die Frage sei, wie lange Putin der ukrainischen Überlegenheit auf dem Schlachtfelde noch standhalten kann. Unterdessen stehen ukrainische Schwangere und Senioren jenseits der Sechzig, lausig bewaffnet und ohne militärische Ausbildung, bis zu den Knien im eiskalten Schlamm der winterlichen Schützengräben. Die täglichen ukrainischen Verluste liegen derzeit bei etwa 650 “Soldat:innen”. Die Russen sind an zahlreichen Stellen der Frontlinie durchgebrochen. General Zalushny, ukrainischer Oberbefehlshaber der Armee, bzw. der kläglichen Reste, die von seiner Armee noch übrig sind, sinnt unterdessen darauf, wie er den heiligen Wolodymyr endlich loswerden könnte. Der und die Seinen haben aber ihre eigenen Zukunftspläne. Mit der Ukraine haben die nicht mehr viel zu tun.
In den vergangenen Wochen wurden private Vermögenswerte in Milliardenhöhe ins Ausland transferiert und Selenskyj selbst soll über zwei alte Freunde als Mittelsmännern für 75 Millionen Dollar zwei Hochseeyachten erworben haben. Seine persönliche Sicherheit und die seiner Familie soll inzwischen komplett von britischen Personenschutz-Fachkräften gewährleistet werden. Wenn es dem heiligen Wolodymyr gelingt, sich recht unheilig und dafür eilig ins Ausland abzusetzen, haben wir Deutschen ein ernsthaftes Problem und müssen uns fragen, wer unsere Demokratie, unsere ganze Freiheit und sämtliche unserer westlichen Werte in der Ukraine verteidigen soll. Da könnte es beim Lichte des Kerzenscheins in der Adventszeit durchaus heißen: Helmchen auf, Deutscher, und fleißig den Kasatschok geübt. Damit einen der vorrückende Iwan nicht für feindselig halten muß. Stimmt’s, Kiesewetter? Habe ich recht, Strack-Zimmermann?