Seit Wochen demonstrieren Landwirte in fast allen Ländern Europas gegen die Zerstörung ihrer Existenzgrundlagen durch einen immer extremeren Bürokratismus und einen immer neue Klimaschikanen, der sie zwingt, Anbauflächen brachliegen zu lassen. In Brüssel blockierten gestern bei erneuten massiven Protestaktionen 900 Traktoren das EU-Viertel, es kam zu schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei. Nun ist Hilfe aus Deutschland in Sicht – allerdings nicht für die eigenen Bauern, sondern für die in der Ukraine: In seiner Botschaft zum zweiten Jahrestag des Kriegsbeginns sonderte Landwirtschaftsminister Cem Özdemir zunächst die Standardphrasen ab, dass die „mutigen Ukrainerinnen und Ukrainer“ nicht nur ihre, sondern auch unsere Freiheit verteidigen würden. Davon habe er sich bei seinen Besuchen immer wieder überzeugen können.
Dann rühmte Özdemir, es sei gelungen, die ukrainische Land- und Ernährungswirtschaft zu unterstützen. Dasselbe wird man über die deutsche Landwirtschaft nach Özdemirs Amtszeit nicht sagen können – eher das Gegenteil. In der Ukraine habe es ein Projekt im Obst- und Gemüseanbau in der Zentralukraine gegeben, die Jobs für Binnenflüchtlinge geschaffen hätten und der Aufbau zweier Labore diene der Qualitätssicherung von Agrarprodukten und fördere die wirtschaftliche Erholung der Ukraine. Das sei wichtig, so Özdemir, auch wenn einige befürchten würden, dass ukrainisches Getreide den europäischen Markt überschwemme und die Preise kaputtmache. Das sei nicht der Fall. Die aktuellen Preise seien vor allem auf die Lage auf dem Weltmarkt zurückzuführen, erklärte der studierte Sozialpädagoge, ohne die geringste Ahnung von Landwirtschaft.
Ukraine “ganz oben auf der Tagesordnung”
In Polen sieht man das völlig anders: Dort fürchten die Landwirte die Überflutung des Marktes mit ukrainischem Getreide. Dies ist einer der Hauptgründe für ihren Protest. Zuletzt vernichteten sie sogar 160 Tonnen des importierten Getreides und lösten damit wütende Proteste der ukrainischen Regierung aus.
Ukrainisches Getreide werde inzwischen wieder größtenteils über das Schwarze Meer exportiert. Das sei ein Erfolg, der vor allem den ärmsten Ländern im „globalen Süden“ zugute komme, erklärte Özdemir weiter. Sein Statement beendete er mit den inzwischen obligatorischen Durchhalteparolen, „wir“ dürften und würden in unserer Unterstützung für die Ukraine nicht nachlassen. Russland warte nur darauf, dass „wir“ der Ukraine den Rücken kehren würden. „Das werden wir nicht tun“, versicherte er.
Die Ukraine bleibe „ganz oben bei uns auf der Tagesordnung“. Das seien „wir“ nicht nur den Menschen in der Ukraine, sondern auch „unserer Selbstachtung“ schuldig, meinte Özdemir. Einen auch nur ansatzweise vergleichbaren Einsatz für die eigene Landwirtschaft ist er sich jedoch offensichtlich nicht schuldig. Die Proteste hierzulande reißen jedenfalls nicht ab.
Bauernpräsident Rukwied: Wer solche Interessenvertreter hat…
Am Samstag wurde Özdemirs Parteichefin Ricarda Lang in Magdeburg 45 Minuten lang von Bauern aus Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Niedersachsen daran gehindert, eine Grünen-Veranstaltung zu verlassen. Als die wütenden Landwirte von Langs Anwesenheit erfuhren umstellten sie das Gelände mit 120 (!) Traktoren. Lang ließ sich zu einer Begegnung mit den Demonstranten herab und nahm einen Zettel entgegen, auf dem der Verzicht auf Özdemirs Tierwohl-Cent, das pauschale Verbot von Pflanzenschutzmitteln, der CO2-Abgabe für Landwirte, der Abschaffung der Flächenstilllegung und der Streichung der Steuervergünstigung auf Agrar-Diesel gefordert wurde. „Das darf und das soll auch mal unbequem sein für die Politik. Ich finde, dass man es auch mal aushalten muss, wenn gebuht wird“, erklärte sie danach gönnerhaft. Als sie wieder abreisen wollte, war die Stimmung jedoch bereits gründlich umgeschlagen. Das Gelände wurde blockiert, es wurden Reifen angezündet und Eier geworfen. Erst nachdem die Polizei Verstärkung angefordert hatte, konnte Lang die Rückreise nach Berlin antreten.
CDU-Chef Friedrich Merz ließ umgehend verlauten, Blockaden und brennende Reifen seien keine legitimen Formen der politischen Meinungsäußerung und drohte, den Bauern die Unterstützung der Union zu entziehen. Offenbar ist ihm die Sympathie der Grünen für eine gemeinsame Bundesregierung, die er nicht ausschloss, wichtiger als der Rückhalt bei den Landwirten. Auch deren Präsident Joachim Rukwied hat offenbar keine anderen Sorgen, als einen Imageschaden wegen des angeblichen Missbrauchs der Proteste durch „rechtsextreme Gruppierungen, Verschwörungstheoretiker und andere Radikale“ zu befürchten. Mit derlei Geschwafel liegt er voll auf Regierungslinie. Bei solchen Politikern und „Interessenvertretern“ braucht man keine Feinde mehr. Die Bauern sind also weitgehend auf sich gestellt. (TPL)