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Der Taurus-Skandal: Warum Bürger Anzeige erstatten mussten

In einem beispiellosen Akt bürgerschaftlichen Engagements haben zwei Bürger Strafanzeige beim Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof erstattet. Der Grund: Deutsche Generäle und Offiziere diskutierten über die unsichere Chat-Software Webex die Möglichkeit eines Angriffskrieges gegen Russland. Der Fall wirft ein grelles Licht auf eine beunruhigende Diskrepanz in unserem Rechtssystem: Während der Normalbürger für Bagatelldelikte rigoros zur Rechenschaft gezogen wird, scheinen hochrangige Militärs einen unantastbaren Status zu genießen. Das Verteidigungsministerium spielt die Tragweite der Affäre herunter, die beteiligten Offiziere bleiben unbehelligt – ein deutliches Zeichen dafür, dass in den Augen der Justiz nicht alle Bürger gleich sind.

Pressemitteilung

Der Physiker und Jurist Alexander Unzicker sowie der Rechtsanwalt Peter Schindler haben eine Anzeige gegen die vier in der „Taurus-Affäre“ abgehörten Luftwaffenoffiziere erstattet.

(Gesprächsprotokoll).

Sie sahen sich zu dem Schritt veranlasst, weil trotz zahlreicher Anzeigen wegen Vorbereitung eines Angriffskrieges (§13 Völkerstrafgesetzbuch) bisher eine Strafnorm weitestgehend übersehen wurde: §30 StGB, der auch schon die Planung eines Verbrechens und die Verabredung dazu unter Strafe stellt.

Dies hat insofern praktische Bedeutung, als es zu dem Delikt im Völkerstrafgesetzbuch keinePräzedenzfälle gibt und es daher den Staatsanwaltschaften leichter fallen dürfte, von vornherein eineStraftat auszuschließen und nicht zu ermitteln. Die Strafbarkeit nach § 30 StGB setzt dagegen schon früher ein und wurde von Unzicker und Schindler so ausführlich begründet, dass der hier zuständige Generalbundesanwalt schon gute Gründe finden müsste, die Einleitung eines Verfahrens abzulehnen. Unzicker und Schindler werfen den Offizieren vor, zu einem Verbrechen anzustiften, denn eine Bombardierung der Krim-Brücke wäre das Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion (§ 308 StGB) als auch eine vorsätzliche Tötung von Unbeteiligten (§§ 212, 211 StGB). Die technische Planung des Angriffs, die schon erfolgt ist und ausführlich besprochen wurde, würde jeden Beteiligten zum Mittäter (§ 25 StGB) machen. Rechtfertigungsgründe scheiden schon deshalb aus, weil sich Deutschland nicht im Krieg befindet und sich daher niemand auf das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 UN-Charta berufen kann.

Dabei genügt es völlig, dass die Variante mit deutscher Missionsbeteiligung als – im Übrigen von den Offizieren bevorzugte – Option dem Verteidigungsminister vorgeschlagen wurde. Denn entgegen der weithin in den Medien zu findenden Verharmlosung als „Diskussion hypothetischer Szenarien –man wird ja wohl noch darüber reden dürfen“ verbietet das deutsche Strafrecht genau dies:
Entscheidungsträgern ein Verbrechen als machbare Handlungsmöglichkeit darzustellen. Denn – wieder Bundesgerichtshof in einem Urteil (4.7.18, Az. 2 StR 245/17) trocken formulierte: durch gruppendynamische Bindungen an Absprachen steigt die Wahrscheinlichkeit der Umsetzung der geplanten Tat… dieser Sinn des Gesetzes scheint sich in der Bundeswehr noch nicht überall herumgesprochen zu haben. Grund genug, wie Unzicker und Schindler meinen, wenigstens die Öffentlichkeit daran zu erinnern.

Der vollständigen Text der Anzeige:

München, den 13.03.24

Dr. Alexander Unzicker
Peter Schindler
Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof
Brauerstraße 30
76135 Karlsruhe
Per fax: (0721) 81 91 8590

Betr: Strafanzeige wegen Versuch der Anstiftung zu einem Verbrechen

Sehr geehrter Herr Generalbundesanwalt, sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit erstatten wir Anzeige gegen
Herrn Ingo Gerhartz, Inspekteur der Luftwaffe
Herrn Udo Fenske, Oberstleutnant und Mitarbeiter Weltraumkommando Bundeswehr
Herr Sebastian Florstedt, Oberstleutnant und Mitarbeiter Weltraumkommando Bundeswehr
Herrn Frank Gräfe, Brigadegeneral,
nach § 30 StGB, § 25 StGB, § 308 StGB, § 211 StGB, § 212 StGB, § 13 VStGB.

Zusammenfassung:
Herr Fenske und Herr Florstedt haben Herrn Gerhartz zu bestimmen versucht, zu einem
Verbrechen anzustiften (§ 30 I StGB). Herr Gerhartz hat mutmaßlich den Bundesminister der
Verteidigung zu bestimmen versucht, zu einem Verbrechen anzustiften (§ 30 I StGB).
Weiterhin haben sich alle Beteiligten verabredet, den Bundesminister der Verteidigung sowie
mutmaßlich den Bundeskanzler zu einem Verbrechen (§ 211, §212, § 308 StGB, § 13 VStGB)
anzustiften (§ 30 II StGB).
Tatbestand:
Die Beteiligten nahmen am 19.02.2024 an einer internen Telefonkonferenz der Bundeswehr teil,
deren Inhalte unter ungeklärten Umständen an die Öffentlichkeit gelangten. Sie sind inzwischen
durch Presseberichterstattung weitgehend bekannt. Ein vollständiges Transkript des als authentisch
bestätigten Gespräches findet sich im Anhang. Die strafrechtlich relevanten Teile werden im
Folgenden kurz zusammengefasst.
Die Beteiligten diskutieren die Einsatzmöglichkeiten des Marschflugkörpers Taurus in der Ukraine.
Laut Gerhartz wolle sich der Bundesminister der Verteidigung Pistorius nochmals eingehend
informieren; die Diskussion komme auf, weil „niemand so richtig weiß, warum der Kanzler blockt“.
Florstedt und Fenske sollen dazu an einer Besprechung mit Pistorius teilnehmen. Die zu erstellende
Präsentation solle nicht nur die technischen Aspekte darlegen, sondern auch wie die „ganze Nummer
laufen“ könnte, wenn man sich zum „supporten“ der Ukraine entschlösse. Laut Gerhartz solle man

dazu nicht nur „ein Problem in den Raum stellen, sondern dass wir auch immer die Lösung dazu
nennen“.
Die Engländer würden die Missionsplanung bei storm shadow im „reachback“ machen, sie hätten
Leute vor Ort. Gerhartz sinniert darüber, ob „die“ die Missionsplanung machen könnten mit
„reachback-mäßig der MBDA an der Hand“ [der Taurus-Hersteller], zu dem „eigene Leute“ geschickt
werden würden.
Fenske erwidert zunächst, selbst bei einer politischen Entscheidung zur Lieferung könne noch viel
Zeit vergehen. Gräfe wertet eine so eine mögliche Entscheidung als „positive Nachricht“ („klasse“).
Gerhartz möchte von Fenske und Florstedt ein „picture“ sehen, mit „Blick auf die mögliche
Lieferung“. Fenske empfiehlt im Hinblick auf die Einsätze, „dass die ersten Missions-
Unterstützungen durch uns erfolgen werden, da die Planung doch sehr komplex ist.“ Er nennt eine
mögliche Variante, „planungstechnisch zu unterstützen“, was man „sogar in Büchel“ machen könne,
„mit einer sicheren Leitung in die Ukraine rüber, den Datenfile rübertransferieren“
.
Gerhartz merkt an, wenn man Sorge hätte, dass dies eine „zu direkte Beteiligung“ sei, könne man ja
auch sagen, das Datenfile werde bei der MBDA gemacht und „wir schicken unsere ein-zwei Experts
nach Schrobenhausen“. Das sei zwar „totaler Schwachsinn“, aber politisch vielleicht was anderes.
Fenske merkt weiter an, für Zielgenauigkeit unter drei Metern müsse man die Daten im ersten Set in
Büchel verarbeiten. Als Alternative für den Datentransfer schlägt er vor, diese mit dem Auto von
Polen aus in die Ukraine zu bringen. Für höhere Präzision müsse das Ziel modelliert werden.
Gerhartz merkt an, dass in der Ukraine „viele mit amerikanischem Akzent in Zivilklamotten“
herumlaufen. Die Satellitenaufnahmen hätten die Ukrainer. Er suggeriert, dass diese selbst „schnell
lernen“.
Fenske führt dagegen weiter aus, um der Luftverteidigung zu entgehen, müsse man „im Tiefstflug
arbeiten“, man habe dafür Daten von der IABG und NDK. Diese müsse man „denen“ zur Verfügung
stellen, damit man „mit einer 21 unterfliegen“ und das Optimum an Planung herausholen könne.
Gerhartz merkt an, die [Taurus-Angriffe] würden „den Krieg nicht ändern“. Florstedt merkt an, es
gebe „zwei interessante Targets“, „so eine Brücke im Osten“ und „Mun-Depots“. Er habe sich dazu
drei Routen herausgesucht und käme zu dem Entschluss, dies sei „gut machbar“. Hinsichtlich der
Brücke bräuchte man für die Missionsdaten Bilder; er habe Zweifel, dass dies den Ukrainern
„schnell“ beigebracht werden kann.
Fenske merkt an, man habe sich die Brücke „intensiv“ angeschaut, möglicherweise bräuchte man
viele Flugkörper, sonst mache man unter Umständen „nur ein Loch rein“, und dann stehe man da.
Florstedt fasst zusammen: “Was bleibt, ist, dass wir denen die imagezentralisierte
Missionsplanungsdaten geben müssen.” Die Tagesdaten müsse man denen auch zur Verfügung
stellen”.
Gerhartz: “Wir alle wissen ja, dass sie die Brücke rausnehmen wollen”. Dies sei zwar wegen der
Landbrücke “nicht mehr so fatal”, aber die “gute Insel” [Krim] sie „ihr Herzstück“. Er wiederholt die
Frage, ob man „den Trick pullen“ kann, dass man „unsere Leute“ zur MBDA abstellt.

Gräfe meldet als einziger Bedenken gegen den Datentransfer an: „Beteiligt ist beteiligt“, und später:
„stell dir mal vor, das kommt an die Presse!“. Er schlägt allerdings vor, „die Briten“ zu bitten, die
anfängliche Missionsplanung zu übernehmen.
Gräfe und Gerhartz besprechen danach die beiden Optionen „Fast Track“ und „Long Track“. Bei
letzterer gebe es möglicherweise keine direkte Beteiligung, jedoch würde es länger dauern und die
Zielplanung eingeschränkt. „Fast Track“ bedeutet dagegen deutsche Unterstützung bei der
Missionsplanung.
Am 26.02.2024 begründete Bundeskanzler Scholz öffentlich seine Ablehnung der „Taurus“-
Lieferung mit inhaltlichen Argumenten aus dem Gespräch vom 19.02.2024 (Deutschland können „an
Zielbegleitung“ nicht das leisten, was England und Frankreich täten). Es ist daher mehr als
naheliegend, dass in der Zwischenzeit sowohl Gespräche der Offiziere mit dem Bundesminister der
Verteidigung als auch ein Gespräch des Ministers mit dem Bundeskanzler über dieses Thema
stattgefunden haben. Diese können ebenfalls strafrechtliche Relevanz haben, weshalb Ermittlungen
geboten sind. Gleichwohl haben sich die Beteiligten schon nach den bereits jetzt vorliegenden
Informationen strafbar gemacht.

Rechtsgründe:
Die Zerstörung der Brücke von Kertsch oder von Munitionsdepots mit einem Taurus-
Marschflugkörper würde unzweifelhaft den Tatbestand des §308 StGB, Herbeiführen einer
Sprengstoffexplosion, erfüllen; da dieser eine Mindeststrafe über einem Jahr vorsieht, handelt es sich
um ein Verbrechen. Es ist jedoch allgemein bekannt,1 dass bei einem vergangenen Anschlag auf die
Brücke am 08.10.2022 unbeteiligte Zivilisten ums Leben kamen. Offenbar spielte dies bei den
Beteiligten keine Rolle, so dass man von einem bedingten Vorsatz („und wenn schon“) ausgehen
muss. Es wäre auch völlig lebensfremd, dass eine Brückenzerstörung keine Opfer nach sich zieht.
Insofern würde bei einem weiteren Angriff auf die Brücke der Tod von Zivilisten billigend in Kauf
genommen, so dass auch eine Strafbarkeit nach § 212 StGB (vorsätzliche Tötung, bedingter Vorsatz)
vorliegt, und da dies mit gemeingefährlichen Mitteln erfolgt, sogar § 211 StGB, beides Verbrechen.
Ganz unabhängig davon wäre die Tat als Angriffshandlung nach § 13 I VStGB strafbar, Planungen
dazu sogar nach § 13 II VStGB, beides Verbrechen. Der Anwendungsbereich des § 30 StGB ist damit
durch mehrere Normen eröffnet.
Eine Beteiligung an der Missionsplanung würde nach § 25 II StGB eine Mittäterschaft darstellen.
Mittäterschaft ist gekennzeichnet durch bewusstes und gewolltes Zusammenwirken aufgrund eines
gemeinsamen Tatplans. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Denn eine Mitwirkung am
Kerngeschehen (Raketenabschuss) ist nicht erforderlich; es reichen auch Vorbereitungs- und
Unterstützungshandlungen aus, wenn das Minus im Ausführungsstadium durch ein gewichtiges Plus
im Vorbereitungsstadium ausgeglichen wird.2 Die Missionsplanung ist hier, wie durch die Aussagen
der Beteiligten dokumentiert, essentiell. Wer sich so wie die Offiziere beteiligt, hält das Geschehen
nach der sog. Tatherrschaftslehre in Händen und ist Mittäter.
Jeder Mittäter trägt zum Tatgeschehen bei, wobei die Beiträge unterschiedlicher Art sein können.
Dies ist der Fall, wenn z.B. die Planung und Vorbereitung durch deutsche Beteiligte erfolgt, die
Auslösung der Rakete durch andere. Es läge sowohl ein gemeinsamer Tatentschluss sowie ein
bewusster sowie gewollter Beitrag zur Tat vor: nämlich das Zusammenwirken im Sinne einer
1 https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ukraine-krim-bruecke-103.html.
2 https://www.juraindividuell.de/artikel/mittaeterschaft-und-mittelbare-taeterschaft-abgrenzung/

arbeitsteiligen Tatbegehung, wobei jeder Mittäter den Tatbeitrag der anderen als eigenen will.3 Dies
ist hier umso eindeutiger, als im „Fast-Track“-Verfahren die Begehung der Tat ohne die geplante
Beteiligung überhaupt nicht möglich wäre. Jeder Deutsche, der sich an der Missionsplanung beteiligt,
wäre demnach nach erfolgtem Angriff als Mittäter nach §§ 25, 308, 212/211 (letztere ggfalls nur
Versuch, § 22 StGB) strafbar.
Anders als straflose Vorbereitungshandlungen sanktioniert §30 StGB bereits das geplante
Zusammenwirken vor besonders schweren Straftaten, weil durch gruppendynamische Bindungen an
Absprachen (BGH-Urt. v. 04.07.2018, Az. 2 StR 245/17) die Wahrscheinlichkeit der Umsetzung der
geplanten Tat durch das konspirative Zusammenwirken steigt. Da die Gefährdung hier objektiv nicht
gering ist, ist §30 StGB auch nicht restriktiv auszulegen.
Vielmehr ist das Verbrechen hier hinreichend konkretisiert, und in vielen, wenn auch nicht allen
Einzelheiten bereits geplant. Nach BGHSt 50, 142 muss der Haupttäter die Tat begehen können, wenn
er nur wollte. Als potenzieller Haupttäter kommt hier der Bundesminister der Verteidigung in
Betracht, der in Friedenszeiten (sic!) Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist. Er könnte sogar bei
Genehmigung der Lieferung den Bundeskanzler über die näheren Umstände der Missionsplanung im
Unklaren lassen, diese jedoch seinen Untergebenen gestatten.
Daneben kann natürlich der Bundeskanzler Adressat sein, wenn er in seiner Richtlinienkompetenz
sowohl die Lieferung als auch die Missionsplanung erlauben würde. Schließlich kommt noch das
Bundeskabinett in Betracht. All dies sind nicht unrealistische Szenarien; insbesondere dem
Bundeskanzler wird mittlerweile sogar vorgeworfen, er könne ja liefern, „wenn er nur wollte“, ohne
dass die Verbrechensbeteiligung thematisiert wird. Für die Strafbarkeit der Beteiligten kann jedoch
letztlich der endgültige Adressat dahingestellt bleiben (s.u. Kettenanstiftung), da sie die Ausführung
der Tat wollen.
Da der Bundeskanzler sich aus anderen Gründen entschieden hat, die Zielplanung gerade nicht dem
ukrainischen Militär zu überlassen (wohl, weil damit erstmals ein Vernichtungsangriff auf das
Moskauer Machtzentrum ermöglicht würde, mit unabsehbaren Konsequenzen), ist aus der
Perspektive der Beteiligten durchaus ein Anreiz vorhanden, die deutsche Beteiligung an der
Missionsplanung als machbar darzustellen. Augenscheinlich ist die Entscheidung darüber (noch)
nicht getroffen. Die Strafbarkeit des Versuchs der Anstiftung ist jedoch auch dann gegeben, wenn
noch kein Tatentschluss hervorgerufen wurde. Strafbar ist auf alle Fälle das Szenario „Fast Track“
mit deutscher Missionsbeteiligung. Hinsichtlich der in den Medien gelegentlich geäußerten Ansicht,
es handle sich „nur um die Besprechung hypothetischer Szenarien“ ist anzumerken, dass genau dies
strafbar ist, sobald es Entscheidungsträgern auch nur als vertretbare Option vorgeschlagen wird.
Beteiligte Fenske/Florstedt, § 30 I StGB
Diese beiden Offiziere haben bereits detaillierte Pläne (Flugrouten, Zielmodellierung und
Zielgenauigkeit, Höhenangaben, Trefferwirkung) für eine deutsche Missionsbeteiligung zu einem
Angriff auf die Brücke von Kertsch ausgearbeitet. Aus den Äußerungen ist offenkundig, dass beide
die deutsche Beteiligung bevorzugen, ja für unabdingbar halten, schon wegen der längeren Dauer der
Variante „Long track“. Darüber hinaus haben sie konkrete Ideen entwickelt, wie die deutsche
Beteiligung verschleiert werden könnte, nämlich durch eine „sichere Leitung“ oder durch den
Autotransfer über Polen.
Die vorgebrachten Argumente dienten wohl schon dazu, ihren Vorgesetzten, Gerhartz, zur Begehung
anzustiften, denn prinzipiell erscheint auch eine Begehung durch Gerhartz als Haupttäter möglich
3 Nach der subjektiven Theorie.

(wenn auch nicht wahrscheinlich), etwa wenn der Bundesminister den Fall delegieren will. Aufgrund
der Äußerungen wäre sicherlich auch diese Variante vom Vorsatz umfasst.
Jedenfalls dienten die Ausführungen aber (auch) dazu, Gerhartz zu bestimmen, den Bundesminister
der Verteidigung zur Begehung anzustiften. Die vorgebrachten Sachinformationen sollten Gerhartz
(„ihr seid die experts“) erleichtern, den Bundesminister der Verteidigung der „Fast track“- Variante
zuzustimmen. Dieser könnte faktisch als oberster Dienstvorgesetzter und Oberbefehlshaber der
Bundeswehr die Tat begehen; auch dies war vom Vorsatz umfasst. Ob er dies ohne explizite
Einwilligung des Bundeskanzlers täte, ist zwar fraglich, kann aber letztlich dahingestellt bleiben,
denn im letzteren Fall läge immer noch eine sog. Kettenanstiftung vor: Denn ganz sicher wäre es im
Sinne der Beteiligten Fenske und Florstedt, würde der Bundeskanzler der „Fast-track“-Variante mit
deutscher Beteiligung zustimmen.
Beteiligter Gerhartz, § 30 I StGB
Das oben Gesagte gilt in gleicher Weise für den Beteiligten Gerhartz, der mutmaßlich in der Zeit vom
19.02. bis 26.02.2024 den Bundesminister der Verteidigung, zu bestimmen versucht hat, ein
Verbrechen zu begehen, in dem er auch die eindeutig kriminelle „Fast-Track“-Variante als – wohl
bevorzugte – Option vorschlug. Dies ergibt sich schon daraus, dass er zur Verschleierung der
deutschen Beteiligung eigene Ideen entwickelte wie den Datentransfer über die MBDA bei
gleichzeitiger (heimlicher) Abstellung von Bundeswehrangehörigen dorthin, obwohl er sich der
inhaltlichen Gleichheit der Handlung bewusst ist („das ist zwar kompletter Schwachsinn“). Ob
Adressat der versuchten Anstiftung der Bundesminister der Verteidigung oder über eine
Kettenanstiftung der Bundeskanzler war, kann wie oben dahingestellt bleiben. Beide Möglichkeiten
waren offenbar vom Vorsatz umfasst („eine Lösung anbieten“). Schwerer wiegt bei diesem
Beteiligten seine dienstlich höhere Stellung.
Beteiligter Gräfe, § 30 I StGB
Einzig beim beteiligten Gräfe ist der Vorsatz hinsichtlich der Bevorzugung der Variante „Fast- track“
nicht klar erkennbar. Allerdings schlägt Gräfe vor, „die Briten“ um Unterstützung der
Missionsplanung zu bitten, eine Variante, die diese nicht näher genannten britischen Einheiten zu
Mittätern der o.g. Verbrechen machen würde. Insofern liegt ebenfalls eine Strafbarkeit nach § 30 I
StGB vor, da er Gerhartz, beziehungsweise über ein Kettenanstiftung den Bundesminister und den
Bundeskanzler, zu bestimmen versucht, britische Einheiten zu einem Verbrechen anzustiften.
Inwieweit dies der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegt, ist zu prüfen.
Alle Beteiligten, § 30 II StGB (3. Variante)
Das Gespräch und das Übereinkommen aller Beteiligten sind nach § 30 II StGB ebenfalls strafbar,
da dort gemeinsam verabredet wird, zu einem Verbrechen anzustiften. Dies ist allein dadurch schon
erfüllt, dass die Variante „Fast-Track“ dem Bundesminister der Verteidigung als Option
vorgeschlagen wird. Dass die Beteiligten diese Variante bevorzugen, sobald die politischen
Vorbehalte ausgeräumt sind, ist aus den detaillierten Planungen, inklusive zur Verschleierung,
offenkundig. Denn diese dienen gerade dazu, eine im Sinne der beteiligten „positive“ Entscheidung
herbeizuführen. Am klarsten hat dies der ranghöchste Beteiligte Gerhartz mit der Empfehlung
ausgedrückt, man solle „keine Show-Stopper reinknallen“. Dies sei „nicht glaubwürdig“, wenn
andere Nationen „Storm Shadow“ und „Scalp“ liefern würden.
Allein beim Beteiligten Gräfe ergibt sich der Vorsatz nicht eindeutig aus dem Gespräch, da er als
einziger Vorbehalte vorgebracht hatte. Es wäre denkbar, dass er der Vorlage der „Fast-Track“-Option

nur zugestimmt hat, weil diese offenbar von seinem Vorgesetzen bevorzugt wurde. Der subjektive
Tatbestand wäre daher trotz eines Anfangsverdachts daher zu ermitteln.
Rechtswidrigkeit
Für einen Ausschluss der Rechtswidrigkeit könnte hier zunächst Notwehr (§ 32 StGB) in Betracht
kommen. Dies erfordert allerdings einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff, und die Notwehr
muss sowohl erforderlich als auch geeignet sein, diesen abzuwehren. Kriegerische Handlungen,
zumal zwischen zwei Staaten, zu denen keine internationalen Beziehungen im Sinne einer EU- oder
NATO-Mitgliedschaft bestehen, können hier nicht als „gegenwärtiger Angriff“ im Sinne des § 32
StGB betrachtet werden, und ganz sicher ist ein Anschlag auf die Brücke von Kertsch weder ein
geeignetes noch erforderliches Mittel, um einen derartigen Angriff abzuwehren. Der Beteiligte
Gerhartz räumt selbst ein, dass die Brücke ihre militärische Bedeutung verloren habe, es sich mithin
mehr um einen symbolischen Akt handelt. Im Übrigen wäre die Anwendung von § 32 StGB auf
hoheitliches Handeln höchst umstritten, erst recht bei der hier in Rede stehenden Nothilfe.

Zudemmuss dann die Frage aufgeworfen werden, wer das zu schützende Rechtssubjekt sein soll. Nothilfe
zugunsten des Staats Ukraine im Sinne des § 32 StGB scheidet hier entgegen teilweise verbreiteter
Ansicht zur „Staatsnotwehr“ aus. Eine Nothilfe für Menschen in der Ukraine, die sich aber auf eine
konkrete gegenwärtige Situation beziehen muss, war den Tätern jedoch weder im Planungsstadium
noch im konkreten Einsatzfall bekannt. Eine hoheitlich tätige Person kann sich zudem nicht gegen
öffentlich-rechtliche Normen, die ihr Handeln verbieten, durch internes Wollen eine „private“
Rechtfertigung verschaffen.
Auch auf einen rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB) können sich die Beteiligten nicht berufen.
Dies scheitert schon an der „gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr“, die hier offenkundig
nicht vorliegt. Dehnte man den Anwendungsbereich von § 34 StGB derart exzessiv aus, müsste man
– nur um ein drastisches Beispiel anzuführen – etwa Anschläge auf US-Militärinfrastruktur während
des völkerrechtswidrigen5 Irakkriegs als gerechtfertigt ansehen.
Ganz unabhängig davon können sich die Beteiligten als staatlich Akteure nicht auf § 34 StGB
berufen, da dies nur in absoluten Ausnahmefällen in Frage käme, wenn das Funktionieren des Staates
in Gefahr wäre.6 Im Interesse des Funktionierens der Bundesrepublik wäre es vielmehr geboten, von
allen solchen Anschlagsüberlegungen Abstand zu nehmen. Gerade weil das Handeln der Beteiligten
– mit allen Konsequenzen – dem deutschen Staat zugerechnet wird, kommt eine
Individualrechtfertigung nach § 34 StGB gar nicht erst in Betracht.
Stattdessen ist hier, im Rahmen eines kriegerischen Konflikts, die alleinig mögliche
Rechtfertigungsgrundlage im Völkerrecht zu suchen, nämlich nach Art. 51 der UN-Charta. Neben
dem Selbstverteidigungsrecht ist dort auch der Pflicht zu Maßnahmen zur Wiederherstellung des
Weltfriedens die Rede. Jedenfalls kann das Recht zur Selbstverteidigung nur für ukrainische
Staatsbürger bzw. Militärangehörige gelten. Denn auch eine Form der kollektiven Selbstverteidigung
liegt evident nicht vor, da Deutschland nicht in den Krieg eingetreten ist.
Für den hier vorliegenden Fall der Mittäterschaft deutscher Beteiligter ist eine Berufung auf diesen
Artikel jedenfalls ausgeschlossen. Im Übrigen ist anzumerken, dass auch Art. 51 UN-Charta nur eine
Verteidigung im Rahmen des Völkerrechts gestattet. Ob ein Angriff auf die Brücke von Kertsch
davon gedeckt ist, erscheint zweifelhaft, da es sich um ein vornehmlich ziviles Ziel handelt. Die oben
4 Fischer, StGB-Kommentar, § 32 Rnd 12a.
5 Inzident festgestellt in BVerwG 2 WD 12.04 – Urteil v. 21.6.2005
6 Fischer, StGB-Kommentar, § 34 Rnd 34 und 35.

bereits angeführte Einschätzung als symbolischer verdeutlicht dies. So lässt sich ein Verbrechen
sicher nicht mit dem Völkerrecht rechtfertigen.
Im Hinblick auf mögliche künftige Ermittlungen sei angemerkt, dass damit jedwede Beteiligung, also
auch bloße Lieferung ohne Missionsplanung („Long-track“), im Falle eines Angriffs auf die Brücke
mindestens als Beihilfe strafbar wäre (§§ 308, 27 StGB).
Möglicher Rücktritt
Ein zwischenzeitlich erfolgter Rücktritt vom Versuch der Beteiligung nach § 31 StGB scheidet aus,
weil durch das öffentliche Bekanntwerden des Gesprächs sicher keine „Freiwilligkeit“ mehr vorliegt.

Anmerkung:
Eine Strafbarkeit direkt nach § 13 Völkerstrafgesetzbuch (Vorbereitung eines Angriffskrieges)
kommt hier ebenfalls direkt in Betracht, da von den Beteiligten bereits eine Angriffshandlung geplant
und vorbereitet wurde, und dadurch die Gefahr eines Angriffskrieges für die Bundesrepublik
Deutschland herbeigeführt wird. Da dazu schon verschiedene Anzeigen eingegangen sind, wurde dies
hier nicht eingehender geprüft. Die Strafbarkeit nach § 30 StGB setzt jedenfalls schon zu einem
früheren Stadium ein.

Hochachtungsvoll
Dr. Alexander Unzicker
Peter Schindler

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