Das hier wird wohl auch wieder so ein Dauerthema, dass man letztendlich kaputt-debattieren kann:
Die wirtschaftspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Julia Klöckner, knüpft hohe Erwartungen an die von der CDU-Spitze beschlossene Abschaffung des aktuellen Bürgergelds und eine neue Grundsicherung. Gegenüber der „Bild“ (Dienstagsausgabe) taxiert Klöckner die Zahl derjenigen, die dann wieder arbeiten würden, auf bis zu 1,9 Millionen Personen.
„Ich kann mir vorstellen, dass es bei mindestens der Hälfte, die arbeitsfähig sind, seine Wirkung zeigen wird. Wir wollen Arbeit belohnen, nicht das Verweigern“, sagte Klöckner. Wie viele Arbeitsfähige es dann aber im Endeffekt seien, könne sie nicht genau sagen.
Im Dezember 2023 gab es 5.472.503 Regelleistungsbezieher von Bürgergeld. Davon waren 3.931.611 Personen erwerbsfähig, also theoretisch in der Lage, zu arbeiten – darunter befinden sich unter anderem auch Aufstocker. Als offiziell „nicht erwerbsfähig“ eingestuft waren 1.540.892 Personen (u.a. wegen Behinderungen oder weil sie noch Kinder sind).
Zustimmung erhält die CDU derweil von Arbeitsmarktforschern. „Es gibt einige Punkte des Bürgergeld-Systems, die man korrigieren sollte“, sagte Enzo Weber, Leiter der Abteilung Prognosen und Analysen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), einer Dienststelle der Bundesagentur für Arbeit, der „Welt“. Sanktionen führten nachweislich dazu, die Arbeitsaufnahme zu erhöhen, „aber häufig nehmen die Betroffenen dann wenig nachhaltige, schlecht bezahlte Jobs an und landen schnell wieder in der Grundsicherung“, so Weber. „Die Ampel-Koalition hatte die Sanktionsregeln deutlich gelockert, die CDU will sie nun zu stark verschärfen. Besser wäre ein Mittelweg, zum Beispiel bei einer Verweigerung der Arbeitsaufnahme schneller und länger die Leistungen zu kürzen, anstatt sie gleich ganz einzustellen.“
Holger Schäfer vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) erklärte: „Das Bürgergeld ist kein grundsätzlicher Systemwechsel zu den Hartz-IV-Regelungen. Einige der Änderungen, die die Ampel nun vorgenommen hat, gehören dennoch auf den Prüfstand, zum Beispiel die Hinzuverdienstgrenzen.“ Er kritisiert, das Bürgergeld verleite dazu, sich auf ein Leben mit Leistungsbezug einzurichten. „Ziel muss es sein, so viele Menschen wie möglich in Arbeit zu bringen und die Zahl der Leistungsempfänger möglichst gering zu halten. Die derzeit geltenden Zuverdienstgrenzen machen es Leuten mit Minijobs oder Teilzeitbeschäftigung wenig attraktiv, auf eine Vollzeitstelle zu wechseln.“ Das Gehaltsplus sei ohne die staatliche Aufstockung häufig zu gering. „Da sollte nachgeschärft werden.“
Die Unionsparteien stehen weitgehend geschlossen hinter der Ankündigung zur Forderung nach Abschaffung des Bürgergelds und dem Plan für eine Grundsicherung. „Die aktuellen Vorschläge des CDU-Bundesvorstandes wurden eng mit dem Sozialflügel der Partei abgestimmt und werden von uns mitgetragen“, sagte der CDA-Vizevorsitzende Axel Knoerig der „Welt“. „Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass man überprüft, wie viele Menschen mit psychischen Erkrankungen im Bürgergeld-System dem Arbeitsmarkt gar nicht mehr zur Verfügung stehen und durch die anderen Sicherungssysteme wie die Grundsicherung für Erwerbsgeminderte fallen.“ Diese Gruppe sei nicht klein, er hätte zumindest einen Prüfauftrag erwartet, so Knoerig.
So ein wirksames Konzept stößt bei den „Hängematten-Lobbyisten“ naturgemäß auf Widerstand:
Die VdK-Chefin Verena Bentele warnt vor den CDU-Vorschlägen für eine Bürgergeld-Reform und bezeichnet sie als verfassungswidrig und als Bedrohung. „Ich habe den Eindruck, dass hier sehr frühzeitig der Wahlkampf mit populistischen Angriffen gegen das Bürgergeld eingeläutet wird“, sagte Bentele dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“.
„Dabei werden auch Vorschläge gemacht, die verfassungswidrig sind, wie zum Beispiel eine politisch gesetzte Begrenzung bei den Regelsätzen. Das verfassungsrechtlich geschützte Existenzminimum lässt das aber nicht zu.“
Weiter kritisiert Bentele die von der CDU geforderte Herabsetzung der Schonvermögen-Grenze. „Dass die CDU auch alle Schutzbarrieren beim Wohnraum und Ersparnissen beseitigen will, ist eine Bedrohung gerade für ältere Arbeitnehmer und Selbstständige, die sich wegen der Transformation des Arbeitsmarktes neu orientieren müssen“, ergänzte die Sozialverbandschefin. „Ihnen wird damit die soziale Absicherung genommen, das wird gerade die treffen, die sich durch harte Arbeit etwas aufgebaut haben fürs Alter.“
Auch der Sozialverband Deutschland übt massive Kritik an den Plänen der CDU zum Umbau des Bürgergelds. „Es ist unsäglich, dass mit dieser Debatte wieder Vorurteile gegen Menschen im Grundsicherungsbezug geschürt werden“, sagte die SoVD-Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Dienstagsausgaben).
Entweder habe die Union keinen Einblick in die Lebenswirklichkeit der Bürgergeld-Bezieher oder schaffe bewusst ein „populistisches Zerrbild“, um daraus politischen Nutzen zu ziehen. Mit den derzeitigen Regelbedarfen seien keine großen finanziellen Sprünge möglich, die überwiegende Mehrheit der Leistungsbezieher wünsche sich ein selbstbestimmtes Leben ohne Abhängigkeit von staatlichen Leistungen, so Engelmeier.
Statt für bessere Löhne zu kämpfen und dafür zu sorgen, dass sich Arbeit wirklich lohne, spiele die CDU die Ärmsten der Gesellschaft gegeneinander aus, ergänzte Engelmeier. „So schürt man nur Unfrieden in unserer Gesellschaft und leistet den Feinden der Demokratie Vorschub.“
Wer Menschen in Arbeit bringen wolle, brauche vor allem mehr Mittel für die Aktivierungs- und Vermittlungsangebote der Jobcenter. „Bedürftigen Familien das ihnen verfassungsrechtlich zustehende Existenzminimum zu verweigern, ist der falsche Weg.“
Auch die SPD weiß es, ihre Klientel vor zu viel Arbeit zu schützen:
SPD-Chefin Saskia Esken sieht keinen Nachbesserungsbedarf beim Bürgergeld. „Wir haben das Bürgergeld jetzt vor wenigen Monaten erst neugestaltet, Hartz 4 abgeschafft, das Bürgergeld eingeführt und wir haben dort darauf geachtet, dass es eben darum geht, dass die Menschen langfristig und nachhaltig in Arbeit vermittelt werden sollen“, sagte Esken am Dienstag den Sendern RTL und ntv.
Die Frage sei auch, wann man auf die Inflation reagiere. „Klar sind jetzt die letzten beiden Jahre heftig gewesen, aber die waren eben auch in der Inflation heftig. Und wäre es nach dem alten Modell gegangen, dann wären diese Sprünge um ein Jahr versetzt gekommen“, so Esken. Es sei richtig, hier sofort zu reagieren. Deswegen sei jetzt auch eine Normalisierung zu erwarten.
Die steigende Zahl der Arbeitslosen trotz der hohen Zahl an freien Stellen schreibt sie vor allem den Ukrainern zu. Es sei damals die richtige Entscheidung gewesen, sie direkt ins System des Bürgergelds aufzunehmen. Das habe zur Entlastung der Kommunen beigetragen, aber deswegen seien jetzt viele Ukrainer eben im Bürgergeld.
„Dass wir die nicht so schnell in Arbeit bringen, wie wir es gerne machen würden, das beklagen wir selbst“, so Esken. Deswegen seien sie auch dran, mit dem „Job-Turbo“ dafür zu sorgen, dass auch Personen, die noch nicht gut genug Deutsch könnten, vermittelt werden können. Deutsch könne man dann auch am Arbeitsplatz lernen.
So, so. Das soll die Dame, die anscheinend nicht so viel von Arbeit weiß, mal erklären – wenn zum Beispiel der afghanische Kranführer vom Bauleiter präzise Anweisungen umsetzen muss – in Sekundenbruchteilen.
Da prallen wirklich zwei völlig unterschiedliche Interessen auf einander. Ob es einen Kompromiss geben wird und ob dieser dann nicht faul ist, bleibt offen. (Mit Material von dts)