Rüdiger Lucassen, AfD - Foto: Imago

Nachschlag: Herr Jürgen Braun, MdB, AfD …

Mein Artikel von gestern über den “Fraktionszwang” in Sachen Ukrainekrieg bei der AfD ist ein klein wenig korrekturbedürftig. Es gibt Nachschlag.

von Max Erdinger

Gestern hatte ich mich hier mit einem Vorgang innerhalb der AfD-Bundestagsfraktion beschäftigt. Für den Artikel habe ich viel Zuspruch bekommen,  einigen ist er jedoch sauer aufgestoßen. Anlaß des gestrigen Artikels war ein Facebook-Beitrag auf der Seite von Jürgen Braun, MdB, AfD, folgenden Inhalts:

Wegweisender Beschluss der AfD-Fraktion zum Ukrainekrieg!

Auf ihrer Fraktionssitzung fasste die AfD-Bundestagsfraktion diese Woche fast einstimmig einen Beschluss, der unsere Politik in Sachen Ukraine/Russland zu revolutionieren das Zeug hat.

Das Dokument, das überwältigende Zustimmung erfahren hat, besagt, dass wir künftig „plumpe antiamerikanische Reflexe“ und eine „kritiklose Übernahme russischer Positionen“ entschieden ablehnen. Der Antrag hat nur eine Handvoll Gegenstimmen erhalten. Rund 50 Abgeordnete hingegen stimmten dafür.

Ausnahmslos alle MdBs sind ab jetzt stattdessen dazu aufgefordert, „eine differenzierte Bewertung entlang deutscher Interessen“ vorzunehmen und unsere Positionen zum Krieg unmissverständlich darzulegen, damit „es Medien und dem politischen Gegner nicht zu leicht gemacht wird, sie zu entstellen“.

Darüber hinaus betont das Papier, dass wir keinesfalls „Verbündete linker Pazifisten“ sind. Diese Klarstellung kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Die AfD bleibt der treue Advokat unserer Soldaten bei der Bundeswehr!

Die Presse berichtete bereits. An den Beschluss hat sich jeder AfD-Abgeordnete zu halten, unabhängig von seiner Stellung in der Fraktion oder sonstigen Ämtern, die er innehat.

Zitat aus meinem gestrigen Artikel dazu:

Die AfD-Bundestagsfraktion scheint sich eine einheitliche Sprachregelung hinsichtlich des Ukrainekrieges aufs Auge drücken lassen zu haben. Das ist fatal. Die beste Definition eines Konservativen ist nämlich die, daß er bewahren will, was immer gilt. Immer gilt, daß an der Wahrheit langfristig kein Weg vorbei führt. Diese Definition wurde gerade mit Füßen getreten. Der maßgebliche Trittmeister scheint der Abgeordnete Jürgen Braun gewesen zu sein.

24 Stunden später bin ich klüger, weil ich inzwischen weiß, wer die Fraktionsdebatte angestossen hatte, die dann zu einem solchen Beschluß führte. Meine Einleitung von gestern muß also modifiziert werden: Jürgen Braun scheint nicht der maßgebliche Trittmeister gewesen zu sein, sondern lediglich einer von mehreren maßgeblichen Trittmeistern, wie das untenstehende Dokument nahelegt. Außerdem gab es zwischenzeitlich den Auftritt von Rüdiger Lucassen, AfD, bei Markus Lanz.

Beschlussantrag AfD
Beschlussantrag AfD – Foto jouwatch

Der größere Rahmen

Was die Herren Nolte, Gnauck, Hess, Felser und Lucassen betrifft, gibt es eine Vorbemerkung zu machen, die gar nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit ihren Einlassungen im Detail steht. Und das ist die folgende: Man kann über den Ukrainekrieg zwar debattieren wie über alles andere auch, nur sollte man dabei nie vergessen, daß dieser Krieg die Bundesrepublik Deutschland rein überhaupt nichts anzugehen hätte. Keine der offiziellen Kriegsparteien ist Mitglied der NATO. Und Mitglieder der EU sind sie ebenfalls nicht. Als Deutscher könnte man gottfroh sein, daß einen dieser Krieg nichts anzugehen hätte. Und zwar mindestens genauso gottfroh, wie man offensichtlich gewesen sein muß, um sich aus anderen Kriegen, die einen nichts angehen, ebenfalls herauszuhalten. Was ja evident möglich gewesen ist. Das heißt: Daß man sich an dieser Debatte überhaupt in einer Form beteiligt, als ginge es um etwas Unausweichliches, ist der Kardinalfehler. Das ist der größere Rahmen.

Zugespitzt gefragt: Ist die AfD eine Alternative als US-Vasall innerhalb der NATO für die geopolitischen Interessen der USA, oder ist sie eine Alternative für Deutschland? Die Alternative für Deutschland ist, darauf zu pochen, daß man mit diesem Krieg, was die faktischen Konsequenzen angeht, in Ruhe gelassen zu werden hat! Und wenn man ihn dennoch debattiert, dann erstens entlang der Faktenlage ohne Berücksichtigung eines medial installierten, propagandistischen Narrativs, und zweitens immer in dem Wissen, daß die Debatte keinerlei Relevanz zu haben bräuchte, hätte man ihr nicht fahrlässig eine verpasst.  Das heißt, man könnte ganz entspannt jeden sagen lassen, was er sagen will. Den Herrn Steffen Kotré zum Beispiel, anstatt sich wie Rüdiger Lucassen bei Lanz überflüssigerweise gegen den Versuch zu wehren, zum “Zeugen der Anklage” gegen den eigenen Parteifreund gemacht zu werden. Noch dazu, wenn der andere Studiogast Roderich Kiesewetter, CDU, ist.

Lucassen Lanz 2
Warum? Lucassen ohne Not vor der deutschen TV-Inquisition – Screenshot YouTube

Was Kiesewetter bei Lanz vom Stapel gelassen hat, ist dermaßen an jeder Faktenlage vorbei, daß sogar Lanz noch wie ein aufrichtiger Waisenknabe neben ihm steht. Und das will etwas heißen. Dieser Kiesewetter mit seiner faktenbefreiten Kriegshetze gehört eigentlich von einem Tribunal für Kriegsverbrecher abgeurteilt. Der macht sich die Welt wirklich widde-widde-wie sie ihm gefällt., resp. wie sie ihm auftragsgemäß im Dienste an seinem eigenen Fortkommen zu gefallen hat. Kiesewetter: Mit so einem Individuum würde ich nicht mal mehr über einen Gurkensalat reden, geschweige denn, daß ich im TV so tun würde, als ob ich ihn als “demokratischen Debattenteilnehmer” ernstnähme. Verachtungsvoll vor die Füße würde ich ihm spucken, wenn er mir über den Weg liefe. Kann sich Lucassen die Gewinnchancen künftig bitte ausrechnen, bevor er in die Situation gebracht wird, sich gegen seine Instrumentalisierung als “Zeuge der Anklage” wehren zu müssen? – Danke.

Der größere Rahmen umschließt also den kleineren, in welchem die – realiter überflüssige – Debatte dennoch stattfindet. Was ja sein darf, solange immer klar ist, auf welcher Grundlage sie geführt wird. Und in diesem kleineren Rahmen wird offensichtlich, daß sich deutsche Parlamentarier der einzigen Oppositionspartei den Kopf darüber zerbrechen – sich also in heiligem Ernst mit ihren Für & Widers eine Debatte aufdrängen lassen -, die gar nicht die ihre sein müsste.

Ohne daß der AfD irgendwer dafür ans Bein pinkeln könnte, wäre es möglich, sich auf den Standpunkt zu stellen, daß einen Deutschen dieser Krieg aus anderen als Polit-Entertainmentgründen überhaupt nichts angeht. Der Ukrainekrieg ist ein amerikanisch-russischer Krieg, keiner zwischen der NATO und Russland, auch wenn er es inoffiziell natürlich ist. Wozu in aller Welt brauche ich eine NATO, wenn sie sich nicht auf das beschränkt, was sie eigentlich sein soll, nämlich ein Verteidigungsbündnis der Mitglieder auf Gegenseitigkeit?  Es ist kein NATO-Mitglied angegriffen worden! Das heißt, eigentlich ist doch eines angegriffen worden, nämlich Deutschland. Und zwar von den USA, dem “Verbündeten & Partner” innerhalb der NATO, mit der Sprengung von Nordstream 1 & 2. Von Russland hingegen ist kein NATO-Mitglied angegriffen worden. Im Klartext: Man müsste nicht so tun, als ginge es wegen irgendeiner Vertragsgrundlage um etwas. Es gibt keine vertragliche Grundlage. Aus deutscher Sicht weder für noch gegen Russland oder die Ukraine. Daß es inzwischen tatsächlich um etwas geht, fußt auf der Tatsache, daß von allem Anfang an versäumt wurde, darauf zu pochen, mit diesem Krieg in Ruhe gelassen zu werden. Das wäre im deutschen Interesse gewesen!

Der kleinere Rahmen

Glauben die Herren Nolte, Gnauck, Hess und Felser allen Ernstes, daß sie sich in der Position befänden, darüber zu rechten, was eine “ausgewogene Betrachtung des Ukrainekrieges” zu sein hätte? Glauben die Herren ernsthaft, daß die Begriffe “Begünstigung” und “Verursachung” beliebig zu vertauschen sind? Glauben sie ernsthaft, es sei an ihnen, den russischen Eingriff in den Ukrainekrieg, der seit 2014 lief und angeblich von westlicher Politik lediglich “begünstigt” wurde, erstens als einen Angriff zu bezeichnen, und zweitens auch noch, sich zu den Schiedsrichtern über diesen angeblichen Angriff aufzuspielen, um dann auch noch darüber zu richten, was zu “rechtfertigen” sei und was nicht? Und zwar, nachdem von deutschen und EU-Politikern jahrelang versäumt wurde, die deutlich geäußerten Bedenken und angekündigten Reaktionen Russlands in maximaler Verkennung ihrer eigenen Möglichkeiten ernstzunehmen?  Und wenn die Herren schon glauben, sie wüssten, was dermaßen die “richtige Antwort” sei, daß sie darüber eine Beschlussfassung anstreben: Die richtige Antwort kenne ich – glaube ich – selber. Und die lautet so: Verkackt hat es der kollektive Westen insgesamt – und Deutschland wieder einmal ganz besonders dämlich.

Bekomme ich Applaus dafür? – Ja, reichlich. Aus Saudi Arbabien, aus Russland, aus Weißrussland, aus China, aus dem Iran, aus Südafrika, aus Namibia, aus dem Kongo, aus dem Tschad, eigentlich aus fast ganz Afrika, aus Brasilien, inzwischen auch aus Japan und etlichen anderen Ecken der Welt. Und in der AfD macht man sich Sorgen darüber, ob man nicht vielleicht ein bißchen zu sehr “plump antiamerikanisch reflexig rüberkommt” in solchen Kackmedien wie “Markus Lanz”? Weil ja nicht wichtig ist, was ist, sondern wie “man rezipiert wird”? Wollen die Herren wirklich wissen, wie sie bei jemandem wie mir “rüberkommen” mit ihrem abgehobenen Kalkül? Geht es den Herrschaften um Deutschland oder geht es ihnen um die Wahrnehmung der AfD in einem Volk, dessen Verhetzung durch genau jene Medien verursacht wurde, denen sie es nun “erschweren” wollen, AfD-Positionen falsch darzustellen? Spielt Zeit keine Rolle, oder was?

Dann diese “plumpen, antiamerikanischen Reflexe”: Was soll das noch sein nach der Nordstream-Sprengung und dem amerikanischen “inflation reduction act” sowie dessen Folgen für den europäischen Export in die USA resp. der Abwanderung europäischer Unternehmen nach Amerika? – Ah, man liebäugelt ein wenig mit den “Konservativen” in den USA. Verständlich, verständlich. Die kämpfen schließlich denselben Kampf gegen den woken Scheißdreck, gegen den auch die AfD in Deutschland antritt. Sympathische Leute also, diese amerikanischen “Konservativen”.  Komisch, daß sich diese sympathischen Leute nur äußert mäßig dafür interessieren, wer Nordstream 1&2 in die Luft gesprengt – und wer den Ukrainekrieg angezettelt hat. Sind wir etwa eine “Alternative für die USA”?

Und was soll das heißen: “Wir stehen fest an der Seite unserer Bundeswehr und setzen uns dafür ein, sie zu stärken.“? – Davon gehe ich aus, daß die Herren fest an der Seite unserer Bundeswehr stehen und sie stärken wollen.  Das ist aber gar nicht die Frage. Die Frage ist, ob die Bundeswehr fest an der Seite der Deutschen steht! Und so, wie es aussieht, steht sie da genau NICHT! Sondern sie steht an der Seite einer US-geführten NATO! Was soll also dieses merkwürdige Bekenntnis zum eigenen Standpunkt? Wer soll hier geadelt werden? Die Bundeswehr oder die “noble Gesinnung” der Herren Nolte & Gnauck et al? Ich werde es doch wohl nicht mit Selbstdarstellern zu tun haben? Stünde die Bundeswehr auf Seiten der Deutschen, dann müsste ich sie wohl gerade dabei sehen, wie sie die verbliebenen drei AKWS vor der Abschaltung schützt. Dann müsste ich sie dabei beobachten können, wie sie die Wahnsinnigen in Berlin aus den Ministerien herausholt. Wenn ich das sähe, dann würde ich glauben, daß die Bundeswehr auf der Seite der Deutschen steht.  Wo die Herren Nolte, Gnauck, Hess und Felser stehen, ist so interessant wie der berühmte Sack Reis, der in China umfällt. “Wir stehen fest an der Seite …” – glaube ich’s überhaupt noch?

Und dann wollen mir die Herren auch noch weismachen, sie wüssten, was “berechtigte Kritik an der US-Außenpolitik” ist? – Um dann zu einem “Beschluss” zu kommen, den jeder AfD-Abgeordnete zu beachten hätte? Obwohl laut Grundgesetz jeder Abgeordnete allein seinem Gewissen zu folgen hätte? –  Setzen, die Herren. Sechs.

 

 

 

 

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