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Im Reich der Multikulti-Besoffenheit

Das niederdeutsche Schelmen-Epos “Eyn kurzweilig Lesen von Dy Ulenspiegel” entstand aus anonymer Feder um 1500; sein halb-legendärer Held lebte jedoch bereits etwa 200 Jahre früher. Till Eulenspiegel (so die geläufige schriftdeutsche Fassung seines Namens) gibt sich nur äußerlich als Narr; sein scheinbar närrisches Gehabe ist nur ein Vehikel für das  Bestreben eins scharfsichtigen Philosophen, die Missstände seiner Zeit mit chirurgischer Präzision offenzulegen und den Mitmenschen vor die Augen zu halten. Im Nachfolgenden ein up-date der Eulenspiegel-Saga mit Fokus auf eine kontemporäre Fehlfunktion unseres Gesellschafts-Gefüges.
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Von Quo usque tandem

Till Eulenspiegel im Lande der Einfaltspinsel

Auf seinen Wanderungen gelangte Till Eulenspiegel eines Tages auch in die Stadt Dödelburg, einem urbanen Zentrum, dessen Türme und Giebel von Weitem beträchtlichen Wohlstand zu verheißen schienen. Bereits während er sich noch der Stadt näherte, fiel Till eine große Zahl von Frachtwagen auf, welche hoch mit Körben und geflochtenen Käfigen beladen waren, aus denen Kläffen und Miauen zu hören war; all diese Gefährte strebten ebenfalls der Stadt zu.

Nachdem Till das (für sein Empfinden äußerst nachlässig bewachte) Stadttor passiert hatte, fiel ihm als Erstes eine große Menge streunender Hunde und Katzen auf, welche allenthalben präsent waren und welche die Straßen mit unzähligen “Häufchen Glück” (höflicher Ausdruck für die fäkalische Hinterlassenschaft von Tieren) übersät hatten. Till vermied mehrfach nur durch Zufall bzw. Geschicklichkeit, in solche Häufchen zu treten und er gewahrte mehrere Stadtbewohner, die nicht so glücklich gewesen waren und die fluchend versuchten, ihr Schuhwerk an Grasbüscheln und Steinkanten zu reinigen.

Während Till sich der Stadtmitte näherte, sah er an verschiedenen Stellen steinerne Tröge, welche von emsig hin und her eilenden Knechten und Mägden ständig mit Hunde- und Katzennahrung gefüllt wurden. Die so versorgten Tiere fraßen sich, unter ohrenbetäubendem Kläffen, Knurren, Fauchen und Miauen voll und streckten sich, wenn sie satt waren, behaglich in der Sonne zum Schlafen aus. Die Hunde rührten sich nicht, wenn ganz offensichtliches Diebesgesindel an ihnen vorüberschlich und die Katzen rührten keine Kralle um Mäuse zu jagen – wozu auch? Die Nahrung kam ja ohne jede Notwendigkeit der Anstrengung. Von Neugier geplagt, hielt Till einen vorüber eilenden Stadtbewohner an und fragte nach dem Warum dieses seltsamen Treibens. Der Bürger sah ihn erstaunt an und sagte: “Du musst wohl neu in der Stadt sein, um Solches zu fragen. Wisse denn, Fremder, dass ein vergangenes Stadtregiment einst großes Unrecht begangen hat, welches unsere jetzigen Stadtherren dadurch zu sühnen versuchen, dass sie herrenlos streunende Hunde und Katzen aus dem ganzen Land in die Stadt bringen und hier in jeder Weise versorgen lassen”.

Till und der Bürger gingen weiter nebeneinander her und – da Till inzwischen die überwiegend ärmliche Kleidung der Stadtbewohner, deren verhärmte Mienen sowie die bröckelnden Hausfassaden aufgefallen waren, die so gar nicht zu dem Ruf der Stadt als Sitz des Wohlstandes passen wollten – bat er seinen Begleiter um Erklärung auch bezüglich dieser Umstände. Der Bürger seufzte und entgegnete traurig: “Wisse denn, Freund, dass die hohen Steuern, welche erforderlich sind, um die stetig steigenden Kosten der Ernährung unserer vierbeinigen Gäste zu bestreiten, uns Bürger in äußerst bedrängte wirtschaftliche Verhältnisse gestürzt haben; besonders die Älteren unter uns wissen nicht mehr ein noch aus und sind sehr oft versucht, sich vom Turm oder in den Fluss zu stürzen, um ihrem Elend ein Ende zu machen. Auch verursachen diese Gäste viel Schmutz und Unordnung, und die Keckeren unter ihnen fallen ohne erkennbaren Grund ehrbare Bürger an, verletzen oder töten sie gar. Unseren Kindern wird auf dem Schulweg das Pausenbrot entrissen und das Geheul der Hunde schallt zu manchen Zeiten bis zum Himmel. Wir sind verzweifelt, doch unsere Stadtherrn sind um Nichts in der Welt von ihrer Haltung abzubringen”.

In diesem Augenblick gewahrte Till einen großen Rottweiler, welcher an einem Knochen nagte. Wohl unter dem Eindruck, Till habe ihn impertinent fixiert, drang der Hund unter lautem Knurren und mit gefletschten Zähnen auf ihn ein. Till hob seinen Stab, um sich zu verteidigen, jedoch der Bürger an seiner Seite fiel ihm in die Arme und warnte ihn: “Halte ein, Fremder, sonst bringst du Unglück über dich! Die Stadtherren haben, unter Androhung empfindlicher Strafe, jegliche Gewaltanwendung gegen ihre Schoßkinder aus dem Tierreich verboten – sei sie auch noch so gerechtfertigt”. Und er wies – sie waren inzwischen auf dem Marktplatz angekommen – auf eine ganze Reihe von Personen, die, mit Händen und Füßen in den Stock geschlossen, dort kläglich vor sich hin schmachteten.

Da rief Till aus: “Diese Stadtherren sind ja um Meilen närrischer als ich! Man sollte die Katzen und Hunde auf der Stelle dahin schicken, wo der Pfeffer wächst! Und Diejenigen, die für die hier herrschenden Zustände verantwortlich sind, müssten für den Rest ihres Lebens, bei Wasser und Brot, in den tiefsten Kerker gesteckt werden, wo sie – ebenfalls während des Restes ihres Lebens – wenigstens einmal pro Monat mit Ruten zu streichen wären”.

Sprach’s, schüttelte seinen Narrenstab, dass die Schellen klangen und rannte davon.

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