Von allen guten Geistern verlassen? Gabor Steingart (Foto:Imago)

Gabor Steingart wird zum gefeierten Held der Hamas-Versteher

Über das „Morning Briefing“ des von ihm gegründeten Nachrichtenportals „The Pioneer“ hat Gabor Steingart CDU-Chef Friedrich Merz für dessen demonstrative Solidarität mit Israel kritisiert. Merz stehe „eisern an der Seite der auf Rafah im südlichen Gazastreifen vorrückenden israelischen Truppen – und damit auf der falschen Seite der Gegenwartsgeschichte. Die Selbstverteidigung des Staates Israel nach dem Überfall der Hamas gerät zum Vernichtungsfeldzug gegen die Palästinenser – und der deutsche Oppositionsführer trägt mitleidslos die alten Sprechzettel vor“, ließ Steingart tief blicken.

Die westliche Welt stehe zwar weiter zum Existenzrecht Israels, aber – und das sei neu – sie gehe „spürbar auf Distanz zu Netanjahu“. Dass alles, was vor dem Wort “aber” kommt, letztlich vernachlässigbar ist, bestätigt sich auch hier: Steingart versucht offenbar, Boden bei seiner von antiisraelischen Ressentiments triefenden Zielgruppe der Gegenöffentlichkeit gutzumachen, die beim Thema Israel-Palästina plötzlich all das, was sie im eigenen Land in Sachen Islamisierung und Terror scharf bekämpfen, im Nehn Osten umgekehrt zum legitimen Widerstand gegen ein israelisches “Besatzungsregime” ummodeln. Soweit geht Steingart zwar nicht, doch seine naserümpfende Haltung “legitime Verteidigung ja, aber das geht zu weit”, die Israel quasi a-la-carte von außen vorschreibt, bis wohin es in der Verteidigung seines seines Existenzrecht gehen dürfe, ist letztlich nur eine Variation der Täter-Opfer-Umkehr, die diese ganze unselige, von zu “Antizionismus” verbrämtem Antisemitismus triefende, Debatte prägt.

Merz-Bashing nach dessen berechtigter Kritik

Geradezu zum Mitfühler der  geschworenen Israel-Todfeinde wird Steingart da, wenn er mit Blick auf Merz moniert, die „Kaltschnäuzigkeit gegenüber den Zivilisten und die Unempfindsamkeit für die veränderte internationale Wahrnehmung“ habe dieser „exklusiv“. Zum besseren Verständnis: Anlass für Steingarts Kritik war Merz’ Israel-Besuch, wo er das militärische Vorgehen gegen Gaza strikt verteidigte. „Die israelische Regierung und die israelische Armee tun nach meinem Eindruck alles, um die Zivilbevölkerung dort zu schützen“, hatte er zutreffend erklärt, und die Hamas – die die Menschen in Gaza als lebende Schutzschilde missbraucht – aufgefordert, dafür zu sorgen, dass es nicht zu noch mehr zivilen Opfern komme.

Damit brachte Merz Ursache und Wirkung der Gaza-Tragödie auf den Punkt. Es war allein die Hamas, die die Gewaltspirale mit ihrem barbarischen Massaker in Israel in Gang setzte – und die sich bis heute skrupellos und feige hinter und unter der Bevölkerung in Gaza versteckt, wobei sie die dadurch unvermeidlichen zivilen Opfer der israelischen Militäraktion zynisch einkalkuliert, um diese später propagandistisch auszuschlachten. Bei allzu vielen Politikern und Journalisten hat diese perfide Strategie leider Erfolg. Nun offensichtlich auch bei Steingart, dem man mehr Vernunft zugetraut hätte.

Bezeichnend: Applaus von Chebli

Man fragt sich, was in den “Morning Briefing”-Macher gefahren ist, wenn er allen Ernstes von einem „Vernichtungsfeldzug gegen die Palästinenser“ faselt: Israel strebt mitnichten die Vernichtung der Palästinenser an. Das trifft erweislich nur umgekehrt zu. Was Israel anstrebt, ist die dauerhafte eigene Sicherheit vor weiteren Terrorangriffen. Den Palästinensern wird die Rückkehr in den Gazastreifen auch nicht verwehrt; sie werden vor Angriffen gewarnt und es werden Fluchtrouten eingerichtet. Es ist ein sachlich völlig falsches und dazu noch hochgefährliches Geschwätz, das Steingart hier verbreitet – weil sein Renommee dem ohnehin überall grassierenden Antisemitismus weiteren Auftrieb gibt.

Was zu beweisen war: Erwartungsgemäß dauerte es nicht lange, bis die üblichen Hamas-Versteher und Relativierer aus den Gullis krochen – und dankbar auf Steingarts Steilvorlage aufsprangen. Natürlich griff auch die palästinensischstämmige Berliner SPD-Politikerin Sawsan Chebli Steingarts Worte begierig auf. „Selten so klare Sprache zu Gaza in deutschen Medien gehört“, frohlockte sie. Chebli nutzt ihr Twitter-Konto schon seit längerem fast ausschließlich für mehr oder weniger subtile israelfeindliche Ausfälle und die Relativierung des palästinensischen Terrors nutzt und unterbrach dafür sogar ihr sonstiges unerträgliches, pausenloses Herumgeopfere als angebliche Zielscheibe von “rechtem Hass & Hetze”. Kein Tag vergeht, an dem sie nicht die angeblichen israelischen Kriegsverbrechen anprangert oder entsprechende Behauptungen von anderen teilt. So ist es für sie freilich Wasser auf die Mühlen, wenn ein sowohl mainstream- als auch alternativmedial anschluss- und zitierfähiger Grandseigneur wie Steingart plötzlich zum Verbündeten im Geiste wird.

Latenter Antisemitismus

Den Dauerterror der Hamas erwähnt auch Chebli dagegen mit keinem Wort. Eine antiisraelisch und zwangsläufig auch latent antisemitische Grundprägung scheint sie offensichtlich nicht loszuwerden – und will es wohl auch gar nicht. Der Schweizer Anwalt Emrah Erken erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass die SPD 2017 vorgeschlagen hatte, Chebli zur Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung zu machen; diese – glücklicherweise verhinderte – Berufung hätte sie höchstwahrscheinlich als Auftrag für die, womöglich unwissentliche, Verbreitung von antisemitischen Klischees verstanden – mangels intellektuellem Tiefgang und einer eigenen entsprechenden Haltungsdisposition.

Der Fall Steingarts zeigt, wie problematisch die Einordnung des Nahostkonflikts in Deutschland ist und wie schwer es selbst journalistischen Koryphäen fällt, beinharter Propaganda und Versuchung von Relativierungen zu widerstehen. Anders als im Fall der Ukraine, wo die Unterstützung keine Grenzen kennen darf und der Krieg sogar – in den Worten des CDU-Verteidigungspolitikers Roderich Kiesewetter – “nach Russland getragen“ werden muss, dürfen die Vorgänge im Gazastreifen beliebig relativiert, darf  permanent zur “Mäßigung” aufgerufen werden – dies gilt aber natürlich nur für Israel (das bei Umsetzung dieser geforderten “Mäßigung” und Reduzierung seiner Selbstverteidigung auf angeblich “legitime” Maßnahmen längst nicht mehr existieren würde).  Und die Deutschen mit Dauerkrampf im moralischen Zeigefinger sind wieder einmal ganz vorne dabei, wenn es darum geht, den jüdischen Staat zu belehren, wie weit Juden im Versuch gehen dürfen, ihr dauerhaftes Überleben zu sichern. Hinzu kommt die faszinierende Blindheit für die tieferen Wurzeln dieses Konflikts zwischen einem antimodernistischen Steinzeitislam und freiheitlich-demokratischen Gesellschaften: Dass Israel den Kampf führt, der Europa in Kürze bevorsteht, will man nicht sehen. Leider leisten Journalisten wie Steingart einen Beitrag zu dieser so fahrlässigen wie ärgerlichen Realitätsverzerrung. (TPL)

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