Bürokratie heißt das Damoklesschwert über der deutschen Wirtschaft

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Statt effizienter Digitalisierung jede Menge “Bürokratiefördergesetze” in Deutschland (Symbolbild:Pixabay)

Ohne noch ernstlich darüber erstaunt zu sein, durften wir gestern Abend vernehmen, dass nun alle führenden Forschungsinstitute prognostizieren, die deutsche Wirtschaft werde in diesem Jahr nur noch um 0,1 Prozent zulegen wird. Dabei handelt es sich nun um den niedrigsten “positiven” Wert, der der Öffentlichkeit überhaupt noch als scheinbares “Wachstum” (tatsächlich handelt es sich auch dabei schon um eine Realschrumpfung) verkauft werden kann, da alles, was kein Minus vor der Prognose hat, noch als Beruhigungspille taugt. Wer jedoch über ein Quäntchen makroökonomischen Sachverstands verfügt, weiß, dass längst Feuer unterm Dach ist: Die deutsche Wirtschaft schlittert in den Abgrund.

Diese für die Prognose verantwortlichen Institute sind das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, das Münchner Ifo-Institut, das Kieler Institut für Weltwirtschaft (Ifo Kiel), das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (Saale) und das RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen, mithin also die geballte Wirtschaftskompetenz der deutschen Wirtschaft. Noch im Herbst hatten diese Auguren – damals ebenfalls schon zweckoptimistisch – ein Plus von 1,3 Prozent erwartet; nun also der prognostische Rückzug aufs Nullwachstum, doch tatsächlich rechnet man wohl mit weit Schlimmerem. “Die deutsche Wirtschaft kränkelt“, lautete oder Titel des Gutachtens der Institute. Der Grund seien primär konjunkturelle wie strukturelle Faktoren, die sich gegenseitig überlagerten, so der Originalton des Gutachtens der fünf Institute.

In einem Teufelskreis

Die Empfehlungen und Ratschläge der Experten beinhalteten – wen wundert’s – die gleichen Thesen, die seit Jahren bereits gebetsmühlenartig vorgetragen werden: Vor allem Bürokratieabbau und Beseitigung der Defizite in der Digitalisierung. Dabei vermisse ich – wie stets – den ergänzenden Ratschlag dieser fünf Weisen, der besagt, dass diese Digitalisierung primär der Steigerung der Produktivität dienen sollte und nicht der Verwaltung der Bürokratie. Denn zur Zeit erleben wir Digitalisierung sehr oft in der Form, dass der Formularwust von der einst physischen Briefpost einfach auf elektronische Mails übertragen wird. Gleichzeitig produziert der Gesetzgeber in atemberaubendem Tempo immer neue Gesetze und Verordnungen, deren Sinngehalt mehr als hinterfragenswert sind, die jedoch trotzdem stur umgesetzt werden müssen. Dies geschieht sowohl auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene. Also stellen wir fest, dass die Bürokratie dank der digitalen Korrespondenz zwar gefühlsmäßig abnimmt, in Realität jedoch weiter anwächst. Gleichzeitig erleben wir parallel dazu einen stetige Erhöhung der der Staatsquote, also immer mehr Kosten für einen überbordenden öffentlichen Dienst, weil diese neuen Gesetze und Verordnungen ja auch umgesetzt und kontrolliert werden wollen. Wir stecken hier in einem Teufelskreis, aus dem uns der Ausbruch noch nicht gelungen ist.

Ganz besonders hart trifft diese Situation nun den EU-Musterschüler Deutschland: Als absolut eifrigster Streber hat das Land sich in der Vergangenheit mit Abstand die fetteste Bürokratie zugelegt; Deutschland konnte sich das ja leisten und sich – als allseits bewundertes Wirtschaftswunderkind der Nachkriegszeit – als Musterschüler präsentieren. Jedoch sollte dieses “Wirtschaftswunder” auch einmal im richtigen Kontext gesehen werden: Ohne Zweifel verfügte Deutschland nach dem Krieg über eine Bevölkerung, die die als deutschen Tugenden bekannten Eigenschaften intus hatte, wie Fleiß, Disziplin, Pünktlichkeit und vieles mehr; zudem hatte es trotz des Aderlasses im Dritten Reich eine qualitativ hochwertige und kompetente Politikergeneration an seiner Spitze. Auch verfügte (West-)Deutschland – so pervers dies angesichts der Kriegsgreuel und Zerstörungen auch klingen mag – glücklicherweise über eine zwar gnadenlos zerbombte, aber dennoch hochleistungsfähige Industrie-Infrastruktur, deren kompletter Neuaufbau und Modernisierung dem Land einen Boom sondergleichen bescherte.

Die einstigen Wettbewerbsvorteile Deutschlands sind dahin

Schwergewichtig finanziert mit Mitteln des Marshallplans, basierte dieser selbstverständlich auf Maschinen und Produktionsmittel und -methoden der damals neuesten Generation, was die junge BRD bald seinen Nachbarländer weit überlegen machte. Diese Wettbewerbsvorteile waren die Säulen dieses Wirtschaftswunders. Das einzige Land in Europa, das ebenfalls von dieser Ausnahmesituation, profitierte war die Schweiz: Sie verfügte damals als einziges Land noch über eine funktionierende Industrie, im Gegensatz zu all ihren Nachbarländern. An der damaligen Ostzone – später DDR – ging dieses Wirtschaftswunder jedoch in weiten Teilen vorbei. Für sie gab es keinen Marshallplan, sondern Demontagen durch die russischen Kriegssieger und hernach die Zwangseinführung der sowjetischen Planwirtschaft, deren Folgen heute nachwirken.

Heute hingegen hat sich die Situation grundlegend geändert: Die einstigen Wettbewerbsvorteile sind weitestgehend verschwunden, ebenso wie die deutschen Tugenden weitgehend erodiert sind. Was jedoch geblieben sind, kann als Überbleibsel dieser goldenen Zeit betrachtet werden: Die überbordende Bürokratie, der Regulierungswahn und auch die Drangsalierung von Betrieben und Bürgern. Dazu kommt, dass dieses gefräßige Monstrum namens Bürokratie natürlich auch bezahlt werden will. Zudem ist es keinesfalls bereit, entgegen aller hehren Versprechungen, sich weiter auszudehnen. Im Gegenteil: Es macht den Anschein, dass sich diese sogar noch verstärkt. Immer übergriffigere und schwülstigere Gesetze – etwa zur “Demokratieförderung“, zum korrekten Heizen, zur “Selbstbestimmung” und vielem mehr  – lassen Schlimmes erahnen.

Enormer Kraftakt notwendig

Was also wäre zu tun, um diesen Teufelskreis zu verlassen? Ein guter Anfang wäre hier zum Beispiel der berühmte Blick über den Tellerrand. Es gibt in und außerhalb der Europäischen Union Länder, die diesbezüglich absolut als Vorbild dienen könnten: An erster Stelle steht hier der baltische Staat Estland. Estland wird als eines der unternehmerfreundlichsten Länder in Europa angesehen. Einfache und schnelle Unternehmensgründung, niedrige Unternehmenssteuern, eine fortschrittliche, digitale Infrastruktur und eine marginale Staatsverschuldung sind das Fundament dieses Geschäftsmodells. Nicht einmal die Europäische Union, die auch auf den deutschen Spuren hinsichtlich Regulierungswahn wandelt, konnte diesen Erfolgszug stoppen. Aber auch Irland und Dänemark könnten durchaus als Vorbild dienen. Die Europäische Union hingegen sollte sich überlegen, ob das deutsche Vorbild des Regulierungswahns wirklich der Weisheit letzter Schluss darstellt. Sie scheint zu vergessen, dass sie im weltweiten wirtschaftlichen Wettbewerb auch nur ein Teilnehmer unter mehreren ist. Auch sie sollte sich hinterfragen, in wieweit sie die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Mitglieder beschränken will.

Was hingegen Deutschland anbelangt, scheint ein geradezu übermenschlicher, enormer Kraftakt notwendig, der – breit abgestützt – auf allen Ebenen in Angriff genommen werden müsste, wenn man noch etwas retten will. Digitalisierung und Modernisierung tun not – aber dann richtig. Es reicht dazu absolut nicht aus, seinen Fahrzeugschein auf elektronischem Weg zu beantragen oder die Anzahl der Toiletten in den Gaststätten herabzusetzen. Da muss noch viel mehr kommen; und das sehr schnell.

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