Mit „Es war einmal“ könnte diese Geschichte beginnen, doch sie ist kein Märchen. Der Autor erinnert sich an seine Zeit vor über 50 Jahren, als er das Brauchtum des „Birkenbäumchens für die Liebste“ selbst abenteuerlich erlebte.
Gastbeitrag von Meinrad Müller
Obwohl ein jeder wusste, wie herzerweichend ein Strauß mit Rosen sein kann, so waren es stets nur wenige, die ihrer Liebsten zum 1. Mai ein drei bis vier Meter großes Birkenbäumchen in die Hand drückten. Genauer gesagt, das Birkenbäumchen wurde mit Draht am Gartenzaun ihres Elternhauses angebunden. Damals wohnten die Mädchen noch so lange bei ihren Eltern, bis eben geheiratet wurde.
Woher also ein Birkenbäumchen nehmen, wenn man es nicht stehlen wollte. In diesem Falle war bekannt, dass die Birkenbäumchen im Birkenbäumchenwäldchen wohnten, und dieses gehörte vermutlich seit 2000 Jahren der Kirchengemeinde. Also nichts wie hin zum alten Pfarrhaus, wo der alte Herr Pfarrer mit seiner Haushälterin lebte. Er, der den volkstümlichen Brauch mit den Birkenbäumchen vermutlich seit Jahrhunderten kannte, hörte einfach nur zu. Die Bitte, ein Birkenbäumchen schlagen zu dürfen, wurde mit einem gütigen Kopfnicken bejaht. Keine schriftliche Genehmigung wurde erteilt, den im Falle des Falles, hätten die Polizisten den Herrn Pfarrer nur zu fragen brauchen.
Nun kann aber ein Birkenbäumchen nicht wie Frühlingszwiebeln zwei Tage zuvor geerntet werden. Wo sollte es denn zwischengelagert und frisch gehalten werden? Die Lösung war, dieses bei Anbruch des Morgens am 1. Mai erst zu holen, wobei Freunde halfen. Das schönste Birkenbäumchen, das eine Woche zuvor schon ausgewählt wurde, war schnell umgesägt. Dann wurde es auf das Dach des alten Opel Ascona gelegt, der Stamm Richtung Motorhaube. Mit Schnüren, die bei geöffneten Fenstern durch das Auto gezogen wurden, konnte das Birkenbäumchen vertäut und Richtung Dorf verfrachtet werden.
Mittlerweile war der Tag schon heller und zu dritt wurden jetzt vielleicht 100 bunte Krepppapierstreifchen an die zarten Ästchen des grünen Birkenbäumchens geflochten. 800 Meter weiter, während die Liebste des Birkenbäumchenbeschaffers noch ruhig schlief, galt es das bunt geschmückte Birkenbäumchen am Gartenlattenzäunchen mit kräftigem Draht anzubinden. Mit langjährig geübten Handgriffen gelang dies in zwei Minuten.
Jetzt musste aber das Birkenbäumchen noch vom warmen Auto aus bewacht werden, denn es war trotz aller Liebeshitze noch frisch am Morgen. Der Grund dafür war, dass weniger Fleißige diese bereits geschmückten Birkenbäumchen gerne stahlen, um sie ihrer eigenen Liebsten vors Haus zu stellen.
Gegen 6 Uhr, als die ersten kräftigen Sonnenstrahlen das vier Meter hohe und mit bunten Fähnchen geschmückte Birkenbäumchen erstrahlen ließen, schöner als jeden Christbaum, wurde die Liebste aus den Federn geklingelt.
Im Nachthemdchen trat sie aus dem Haus, hielt voller Erstaunen beide Hände vors Gesicht und schluchzte. Nach einem zarten Küsschen für den Birkenbäumchenbeschaffer entwich sie wieder ins Haus, doch der Birkenbäumchenbeschaffer und seine zwei Freunde blieben im Auto, um das Birkenbäumchen bis 8:30 Uhr weiter zu bewachen.
Danach gings zum Frühschoppen, jeder erhielt vier Weißwürste, drei Brezen und drei Weißbier.
Weitere Demonstrationen fanden am 1. Mai in Oberschönkirchbergshausen nicht statt.