Markus Söder, bayerischer Ministerpräsident (Foto: Imago)

Söder & Grosz: Der beleidigte Ministerpräsident

Bei einer Wahlveranstaltung der AfD in der Stadthalle der mittelfränkischen Stadt Gunzenhausen am Freitag, dem 1. September, erzählte der österreichische Journalist, Autor und Politiker Gerald Grosz ein wenig von seinem “Geschiß” mit der bayerischen Justiz. Gerald Grosz war vom bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder wegen einer deftigen Aschermittwochsrede im niederbayerischen Osterhofen vor den Kadi gezerrt worden. Die ganze Angelegenheit geriet inzwischen zu einer Groteske.

von Max Erdinger

Ein von mir des öfteren beklagter Übelstand ist, daß sich in Deutschland jedermann beleidigt fühlen – und in der Folge dann gegen den Schmähredner klagen darf. Die Justiz entscheidet dann, ob der Tatbestand einer Beleidigung erfüllt ist oder nicht. Der Übelstand besteht darin, daß hier wieder einmal eine Arbeitshypothese über die Realität gestellt wurde. Wirklich beleidigt werden können nämlich nur Ehrenmänner und – nun ja – Ehrenfrauen. Die Lebenserfahrung zeigt aber, daß bei weitem nicht alle Zeitgenossen Ehrenmänner bzw. Ehrenfrauen sind. Wäre es anders, gäbe es die Begriffe “Opportunist”, “Intrigant”, “Narzisst”, “Egozentriker” oder “Verräter” nicht. Unter der Knute des Gleichheitsdogmas sind aber auch die, justiztheoretisch sozusagen, beleidigungsfähig. Es gilt, daß die Würde des Menschen ist unantastbar – und zwar sogar dann, wenn er sich selbst alle Mühe gibt, möglichst würdelos zu sein. In Deutschland können auch Würdelose beleidigt werden – und die Justiz interessiert sich dann dafür.

Daraus resultiert eine ganze Reihe von Problemen mit Personen, die in ihrem Recht, zu behaupten, sie seien beleidigt worden, ein nützliches Instrument erkennen, um sich  gegen subjektivistisch formulierte Kritik an ihrer Person zu wehren, indem sie dem Schmähredner einfach von der Justiz eine überbraten lassen. Das ist umso ärgerlicher, als daß gerade Personen, die mit der Regelung öffentlicher Angelegenheiten betraut sind, von besonderer Tugendhaftigkeit und großer Würde sein sollten. Meinereiner ist davon überzeugt, daß dann, wenn jedermann das uneingeschränkte Recht hätte, eine ganze Reihe von Politiker so zu bezeichnen, wie sie ihm vorkommen, andere Politiker an der Macht wären.

Was nun den bayerischen Ministerpräsidenten angeht, ist es so: Als Angela Merkel nach dem Tsunami in Japan im Jahre 2011, als das Kernkraftwerk Fukushima betroffen war, vom deutschen Atomkraftausstieg redete, war Markus Söder sofort dabei. Und zwar ungeachtet der Tatsache, daß Merkel selbst wenige Jahre vorher noch behauptete, es sei nicht nachzuvollziehen, daß Deutschland die sicherste Kernkraft der Welt aufgebe, während im angrenzenden Ausland weiterhin Kernkraftwerke betrieben werden, die weit hinter den deutschenn Sicherheitsstandardn zurückbleiben. Bis zum Jahre 2022 müsse der deutsche Kernkraftausstieg erfolgt sein, so Söder damals, andernfalls wolle er persönliche Konsequenzen hinsichtlich seiner Karriere als Politiker ziehen. Im Frühjahr 2023, als die letzten drei deutschen Kernkraftwerke wider alle Vernunft abgeschaltet wurden, war Söder dann einer der heftigsten Kritiker der Abschaltungen. Im Zusammenhang mit der Radioaktivität spricht man von einer Halbwertszeit. Wäre die so gering wie die Halbwertszeiten von Söders Fundamentaleinlassungen, – die Kernkraft wäre überhaupt nie zu einem politischen Thema geworden.

Aschermittwoch in Osterhofen

Der politische Aschermittwoch ist in Bayern ein Ausnahmetag. Ähnlich wie beim Starkbieranstich auf dem Münchener Nockherberg, wo die Politiker traditionell “derbleckt” werden, der “Narr” also ungestraft die Majestät bloßstellen darf, galt beim politischen Aschermittwoch in Bayern bislang immer, daß ordentloch vom Leder gezogen werden durfte nach dem Motto: Ein jeder so, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Und Gerald Grosz ist zweifellos ein Schnabel gewachsen – und was für einer. Es ist dieser Schnabel, auf dem seine große Popularität gründet. Und so bezeichnete er den bayerischen Ministerpräsidenten Söder in Osterhofen als “Södolf” und als “Weißwurstbrötchen”. Der ging daraufhin in sich und prüfte sein Gewissen, indem er sich fragte, ob er sich nunmehr beleidigt fühlen darf, bejahte das und reichte dann traditionswidrig eine Klage gegen Grosz ein. Das war, wie gesagt, im Frühjahr. Anhängig war das Verfahren bei der Staatsanwaltschaft im niederbayerischen Deggendorf.

Klima-Hysterie nach nur zwei Wochen Sommer! | Gerald Grosz; Bild: Startbild Youtube Deutschland Kurier
Klima-Hysterie nach nur zwei Wochen Sommer! | Gerald Grosz; Bild: Startbild Youtube Deutschland Kurier

Von dort kam dann vor wenigen Tagen die Mitteilung an den Verteidiger von Gerald Grosz, daß das Verfahren eingestellt worden sei. Das war also Ende August, ungefähr vier Monate nach der Anzeige gegen Grosz. Damit hätte es eventuell gut sein können. Aber Gerald Grosz nahm die Einstellung des Verfahrens zum Anlaß, erneut hämisch gegen Markus Söder zu Felde zu ziehen – und zwar bei “X” (Twitter). Er rieb dem Ministerpräsidenten die Verfahrenseinstellung unter die Nase und bezeichnete ihn erneut als das, was er glaubte, wegen der Verfahrenseinstellung nun straflos tun zu dürfen. Er hatte es ja schwarz auf weiß: Verfahrenseinstellung. Kein Wunder, daß er glaubte, seine Äußerungen seien nicht justiziabel. Tatsächlich müsste es ja so sein, daß die Frage, ob es sich bei einer Schmährede um eine Beleidigung handelt oder nicht, keinesfalls davon abhängen kann, wo sie gehalten wurde. Trotzdem ist es natürlich so, daß Gerald Grosz im sozialen Netzwerk “X” eine deutlich größere Reichweite hat, als bei einer politischen Aschermittwochsrede im niederbayerischen Osterhofen. Und das muß in der bayerischen Staatskanzlei jemanden ganz enorm gewurmt haben.

Wenige Stunden, nachdem die Staatsanwaltschaft in Deggendorf schriftlich die Verfahrenseinstellung bekannt gegeben hatte, flatterte dem Anwalt von Grosz nun ein Strafbefehl der Generalstaatsanwaltschaft München auf den Schreibtisch. Gefordert werden nun 36.000 Euro von dem österreichischen “Schandmaul”. Und zwar nicht mehr nur wegen Beleidigung einer Person des politischen Lebens, bei der sich der Realist im Gegensatz zum Juristen fragt, inwiefern sie wirklich beleidigungsfähig sein soll, sondern auch wegen des widerrechtlichen Einführens einer Stichwaffe nach Deutschland. Da es zwischen Österreich und Bayern trotz Schengenvertrags aufgrund der ungesicherten europäischen Außengrenzen sporadische Grenzkontrollen gibt, war bei der Einreise von Grosz an dessen bayerischer Lederhose das Futteral eines sogenannten Hirschfängers moniert worden. Ob sich in diesem Futteral, wie Grosz berichtet, ein Löffel oder ein Messer befunden hat, wurde aber gar nicht überprüft. Jedenfalls sei ein solches Futteral sogar dann, wenn tatsächlich ein Hirschfänger in ihm steckt, ein traditioneller Bestandteil der bayerischen Tracht. Der Hirschfänger wird in Bayern auch ausdrücklich als “Trachtenaccessoire” angeboten und verkauft.

Hirschfaenger
Hirschfänger als Trachtenaccessoire – Screenshot “Alpenwahnsinn”

Nun könnte man sagen, nun ja, der Markus Söder sei schon immer als großes Sensibelchen aufgefallen, das mit zarter Stimme Sanftmut, Vergebungsbereitschaft und Menschenliebe predigt, und daß ein solcherart menschlicher Mensch natürlich leicht zu beleidigen sei, weshalb man auch Verständnis haben müsse für die unaushaltbare Seelenpein, welcher er sich durch den österreichischen Grobian ausgesetzt sah. Gelogen wäre es halt. Markus Söder ist bekannt als einer, der zwar gut austeilt, aber schlecht einsteckt. Außer natürlich Steuergeld. Das steckt er ganz gut ein. So ein bayerischer Ministerpräsident ist kein armer Mann, auch wenn er sich natürlich einen Lifestyle wie der ukrainische Präsident nicht leisten kann. Der soll sich kürzlich erst für 150 Millionen Dollar eine schicke Yacht zugelegt haben.

Bemerkenswert war auf jeden Fall, wie einem im Fall Söder./.Grosz wieder einmal vor Augen geführt wurde, was unter einer “weisungsgebundenen Staatsanwaltschaft” zu verstehen ist – und wie sich das auswirkt, wenn sie ihre Weisungen aus dem Umfeld von jemandem erhält, der eine politische Aschermittwochsrede offenbar schlecht wegstecken kann, sondern den Schmähredner anzeigt oder anzeigen läßt. Auf einmal hieß es nämlich, die Mitteilung der Staatsanwaltschaft in Deggendorf über die Verfahrenseinstellung sei irrtümlich verschickt worden, dann wieder, es habe sich lediglich um eine Teileinstellung gehandelt – alles in allem ein ziemliches Herumgeeiere. Und deswegen stellt sich dann auch nicht die Frage, ob Gerald Grosz vielleicht ein wenig über die Stränge geschlagen haben könnte damals in Osterhofen, sondern es stellt sich die Frage, ob man einen, der gut austeilen aber schlecht einstecken kann, als bayerischen Ministerpräsidenten behalten will. Man würde der eigenen Würde selbst schließlich kein gutes Zeugnis ausstellen, wenn man am 8. Oktober für die CSU, die Freien Wähler oder -horribile dictu – die FDP, die SPD oder die Grünen stimmen würde. Und beleidigungsfähig in einem realen Sinne würde man doch als Wähler mit Würde gern bleiben, anstatt sich lediglich rechtstheoretisch und justizhypothetisch als beleidigungsfähig zu begreifen, oder nicht?

 

 

 

cdbb628937194e6f88f96762aa15052b

Themen