Einer wird gewinnen, Quizshow, Deutschland 1979 - 1987, Moderator Hans Joachim Kulenkampff mit Assistentin Gabi Kimpfel, Deutschland, 1985. - Foto: Imago

Israel: Einer wird gewinnen

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Es gibt eine Gesetzmäßigkeit, die sich nicht aus der Welt debattieren läßt. Der Stärkere gewinnt den Krieg. Ob er auch rechthat, ist eine ganz andere Frage. Mit Sieg und Niederlage hat die nichts zu tun.

von Max Erdinger

Wussten Sie, daß man nicht von Palästinensern zu reden braucht, weil es die Palästinenser eigentlich gar nicht gibt? Wussten Sie, daß Israel nicht Palästina heißt, sondern Israel? Haben Sie schon einmal etwas von den Kanaanitern gehört? Nicht? Wie wär’s damit: Es gibt ein auserwähltes Volk. Gut, oder? Wollen Sie das wirklich alles debattieren in der gegenwärtigen Situation der Israelis? Wenn Sie rechthätten, würden sich dann Sieg- und Verlustchancen verschieben? Wenn ja: Warum fahren Sie dann nicht nach Tel Aviv, nach Kairo oder nach Damaskus, stellen sich dort auf den Marktplatz und erklären den Deppen mal, wie es richtig zu laufen hat? Alter Verwalter, Debatten gibt’s in der Moderne, da fasst sich jeder Mittelalterliche an den Kopf. Der Islam ist doch ziemlich mittelalterlich, oder nicht? Seinem Wesen nach so? Doch, doch, ist er.

Und die Moderne ist ziemlich clever. Erkennt man ja schon am Wort. Da steckt “modern” drin. Der kollektive Wertewesten hat sich entwickelt. Das kommt vom Fortschritt. Ganz, ganz starke Nummer, das. Und wenn der Fortschritt nicht der beste aller Schritte ist, dann weiß ich aber auch nicht. Moment, nochmal kurz nachgedacht. Frage: Hat sich seit dem Mittelalter etwas daran geändert, daß der Stärkere gewinnt und nicht derjenige, der rechthat? – Ob es wohl wieder auf die Perspektive und die je eigenkonstruierte Realität ankommt? – Leider nein. Auch in der Moderne gewinnt der Stärkere den Krieg, ganz egal, aus welchem Blickwinkel man das betrachtet. Nächste Frage: Machen die mordsdemokratischen Debatten der Moderne eigentlich Löcher ins Gehirn? – Ich glaube schon.

Die gewiefte Frau Strack-Zimmermann (FDP), Vorsitzende des modernen Verteidigungsausschusses im Bundestag, ist von der mordsdemokratischen Debatte schon richtig geschädigt. Wie so ein zorniges Rumpelstilzchen gab sie zum Besten, daß der Ukrainekrieg und der Krieg in Israel zusammenhängen. Hat sie das gut erkannt oder nicht? Da gibt es tatsächlich einen Zusammenhang. Könnte es eventuell der sein, daß die Hamas westliche Waffen aus Kiew erhalten hat? – Falsch! Sie kommen im Leben nicht drauf, wie der Zusammenhang wirklich aussieht. Gottlob gibt es die gescheite Frau Strack-Zimmermann. Die kennt den Zusammenhang. Die gräßliche Terrorattacke auf israelische Zivilisten ging nicht zufällig am 7. Oktober los, sagte sie. Wladimir Putin hat am 7. Oktober Geburtstag. Da haben Sie Ihren Zusammenhang. Vorausgesetzt natürlich, die mordsmäßig demokratische Debatte macht keine Löcher ins Gehirn. Sie macht aber welche und das ist offensichtlich.

Einer wird gewinnen

Allen, die in ihren Leserkommentaren zu meinen Artikeln beim Thema Israel bisher beliebten, mich einen “nicht verkappten Antisemiten” zu nennen oder zu fordern, jouwatch möge mir “in die Feder fallen”, dieser Erdinger sei ja wohl der allerletzte und so weiter, sei dringend ans Herz gelegt, die Artikel noch einmal zu lesen. Es geht gar nicht darum, daß im Gazastreifen nach UN-Definition und nach Definition des Genfer Abkommens sowohl ein Völkermord als auch ein Kriegsverbrechen stattfinden, bei dem – Stand gestern abend – inzwischen 7.000 Zivilisten ermordet worden sind. Das ist eine Monstrosität für sich. Es geht darum, daß sich die israelische Regierung ein solches Vorgehen schlicht und einfach nicht leisten kann, ganz egal, ob man es für gerechtfertigt hält oder sich angeekelt abwendet, so wie ich. Die militärischen Machtverhältnisse im Nahen Osten sind nicht mehr dieselben wie vor dreißig Jahren. Wenn es die Regierung Netanyahu hinbekommt, mit ihrem Vorgehen im Gazastreifen die größte und stärkste Allianz, der sich Israel jemals gegenüber sah, zu einem Kriegseintritt zu bewegen, dann ist das israelische Vorgehen im Gazastreifen nicht nur ein Völkermord und ein Kriegsverbrechen nach international anerkannten Definitionen, sondern außerdem noch eine monströse Dummheit im Hinblick auf Israels Fortbestand als Staat. In der Hinsicht “stand I” durchaus “with Israel”.

Den Krieg, der sich hier abzeichnet, kann Israel nicht gewinnen. Daß dem so ist, ist keine Behauptung aus dem Blauen heraus, die ich etwa entlang der Kriterien von Sympathie und Antipathie getroffen hätte, sondern das ist die Wiedergabe der militärischen und bündnispolitischen Fakten, wie sie von ausgewiesenen Experten auf diesem Gebiet vorgerechnet und belegt worden sind. Dabei handelt es sich um den ehemaligen UN-Waffeninspekteur und Ex-Marine-Intelligence-Officer Scott Ritter, jemanden, der traditionell gute Kontakte in die IDF hat; um Trumps ehemaligen Militärberater im Weißen Haus, Colonel Douglas Macgregor, Lehrbeauftragter an der amerikanischen Military Academy, der ursprünglich als US-Botschafter für Deutschland vorgesehen gewesen war; um Larry Johnson, Phil Giraldi und Ray McGovern, alle drei ehemalige CIA-Größen, McGovern sogar verantwortlich für die täglichen Lageberichte an das Weiße Haus in den Jahren 1981 bis 1985; um Prof. John Mearsheimer von der University Of Chicago; um Professor Jeffrey Sachs von der Columbia University; um Matthew Hoh, ehemals im US-Außenministerium; um Colonel Tony Shaffer; um Alastair Crooke, ehemals britischer Diplomat – und um etliche Andere, auf die ich mich bereits im Ukrainekrieg bezogen hatte.

In der Ukraine liegt heute offen zu Tage, was ich vor anderthalb Jahren schon prophezeit hatte, als hier im deutschen Medien-Mainstream noch die dümmlichsten Parolen ausgegeben wurden à la “Russland darf nicht gewinnen”. Als ob Sieg und Niederlage davon abhingen, was jemand darf oder nicht darf. Russland hat gewonnen. Daß das Gemetzel trotzdem weitergeht, ändert daran gar nichts. Die Wehrmacht hatte nach der Panzerschlacht von Kursk im Sommer 1943 den Zweiten Weltkrieg im Osten ebenfalls gegen die Rote Armee verloren. Daß der Krieg dennoch anderthalb Jahre lang weiterging, ändert daran gar nichts. Der Krieg gegen die Sowjetunion war mit der Niederlage von Kursk verloren. Daß er dennoch weiterging, spielt überhaupt keine Rolle bei der Frage nach Sieg und Niederlage. Nach der Schlacht bei Kursk war der Ostkäse gegessen, um es salopp zu formulieren. Der Anfang vom Ende lag in Stalingrad. Womit ich bei Scott Ritter und der Ruinenlandschaft von Gaza wäre.

Die Tunnel unter dem Gazastreifen

Das derzeitige Zögern der israelischen Regierung, mit der groß angekündigten “Full Scale”-Bodenoffensive im Gazastreifen auch tatsächlich zu beginnen, hat Scott Ritter zufolge zwei Gründe, einen militärischen und einen geopolitischen.

Der militärische: Eine der schwierigsten und verlustreichsten Kampfsituationen im Krieg ist der Häuserkampf – und noch schwieriger – der Kampf in einer Ruinenlandschaft. Die abermalige Verschärfung: eine untertunnelte Ruinenlandschaft, in welcher der Gegner als Verteidiger die Kontrolle über das Tunnelsystem hat und dort jeden Ausgang in die Ruinenlandschaft kennt. Die Tunnel sind auch nicht solche, wie man sie im Vietnamkrieg gesehen hat, sondern sie haben eine Höhe von ca. 2 Metern, eine Breite von zwei Metern und sind aus Beton mit durchlaufenden Stromkabeln und elektrischem Licht. Das ganze System ist mehrere hundert Kilometer lang und verbindet 36 Orte im Gazastreifen. Die Milliarden an westlicher “Entwicklungshilfe” für die Palästinenser stecken zu einem beträchtlichen Teil in diesem Tunnelsystem. Der Verteidiger verschiebt seine “Truppen” barrierefrei je nach Bedarf im Schutz des Tunnelsystems und die Angreifer quälen sich oberirdisch über Schuttberge. Wo der Amgreifer auch auftaucht, – der Verteidiger ist schon aus seinen Löchern gekrochen und hat sich in der Deckung der Ruinenlandschaft positioniert. Die israelische Armee: Eine vergleichsweise kleine, topfite Kerntruppe, unter Einbeziehung der Reservisten etwa 300.000 Mann stark (Türkei alleine etwa 2 Millionen). Die Reservisten saßen bis vor drei Wochen noch in irgendwelchen Büros, sind nicht so fit wie die Kerntruppe, viele sind übergewichtig, haben noch nie in einem wirklichen Krieg gekämpft, geschweige denn in einem Häuserkampf (“urban warfare”). Sie haben Angst um ihr Leben und hassen die Situation, in der sie sich befinden. Ihre Kampfausrüstung für den Einsatz im Gazastreifen wiegt pro Mann mindestens 30 Kilo. Nach einer halben Stunde Häuserkampf sind diese Reservisten mit ihren körperlichen Kräften am Ende. Keuchend sitzen sie da und können nicht mehr. Dann kommen die Kugeln der Hamas. Der israelische Reservist ist mausetot. Das ist allerdings nur das Szenario ohne eine Kriegsbeteiligung jener stärksten Allianz gegen Israel, der sich die Israelis jemals gegenübergestellt sahen. Würde die “Full Scale”-Bodenoffensive der israelischen Armee bereits angelaufen sein, befände sich Israel bereits im Krieg mit mehreren anderen Nationen aus der direkten Nachbarschaft. Das käme dann sozusagen noch oben drauf.

Der geopolitische Medienkrieg

Die Lage ist bizarr. Angegriffen wurde Israel am 7. Oktober von absoluten Bestien, die fürchterliche Gräueltaten verübten. Das wären “gute” Voraussetzungen gewesen, sich die Sympathien einer empathischen “Westwertwelt” zu sichern. Da kann man an die Adresse der israelischen Regierung leider nur noch sagen: Vergeigt, die Herren! Wer die internationale Presse liest, der liest vom Entsetzen des “Wertewestens” über die israelische Reaktion. Völkermord und Kriegsverbrechen im Gazastreifen. Den ca. 1.400 von Terroristen bestialisch abgeschlachteten Israelis stehen am heutigen Tage bereits 7.000 ermordete Zivilisten im Gazastreifen gegenüber. Das sieht sprichwörtlich “ums Verrecken” nicht nach einem Krieg gegen die Hamas aus, sondern nach einem Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser. Es fehlt jede Verhältnismäßigkeit. Über dem Ganzen wabert außerdem der jahrelange Schnack von der Unterdrückung der Palästinenser durch die Israelis. Ob der zutrifft oder nicht, spielt keine Rolle in diesem Zusammenhang. Er wabert. Und die israelische Regierung tut im Moment alles, um den alten Schnack aufzufrischen. Der Schnack: Was dem Westukrainer der “Ork” (Russe) ist, das ist dem ultraorthodoxen Juden das “Tier” (Palästinenser). Weiter: Israel sei eben ein “dreckiger Apartheidsstaat”. Ob dieser Schnack zutrifft oder nicht, spielt keine Rolle am heutigen Tage. Er kostet die Israelis seit jeher Sympathien. Und wenn sie jemals die Sympathien des “Wertewestens” nötig hatten, dann nie so dringend wie gerade jetzt. Aber die israelische Regierung gibt keinen Pfifferling darauf, wie es aussieht. Der israelische UN-Botschafter plärrt in der Gegend herum wie ein wütendes Kleinkind, das nicht bekommt, was es will. Wie könnte Israel also gewinnen?

Die Lösung

Die israelische Regierung muß sich aus der Rolle des Reaktionärs herausbegeben und das Heft des Handelns selbst in die Hand nehmen, anstatt sich ihr Handeln von der Hamas diktieren zu lassen. Sie muß die Hamas in die Rolle des Reaktionärs drängen. Wie macht sie das am besten? – Mit einem Junktim. Wie sieht das aus? – Sie bittet um so viel humanitäre Hilfe für die Palästinenser wie nur irgend möglich und stellt den Krieg unter der Bedingung ein, daß sich die Hamas ohne Mittelsmänner aus Katar oder sonstwoher direkt mit den Israelis an den Verhandlungstisch setzt, um Nägel mit Köpfen zu machen. Scott Ritter: Das ist der wunde Punkt der Hamas. Sie kann sich nicht leisten, Nägel mit Köpfen zu machen, ohne sich dabei selbst in die Überflüssigkeit zu befördern. Zumindest als Terrororganisation. Für den Medienkrieg bedeutet das: Die Sympathien schwingen zurück auf die israelische Seite. Die arabisch-islamische Welt beruhigt sich wieder. Die Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Israel wurde vor wenigen Wochen noch als Indiz dafür gesehen, daß die arabisch-islamische Welt die Palästinenser gar nicht mehr auf dem Schirm hatte. Der theoretische Palästinenserstaat war praktisch in weite Ferne gerückt. Jetzt aber hat die arabisch-islamische Welt die Palästinenser wieder auf dem Schirm – und wie!

Wenn im “Wertewesten” die Sympathien wieder so verteilt sind, wie sie verteilt sein sollten, dann kann an einer Lösung gearbeitet werden. Vorher nicht. Wenn die Israelis so weitermachen wie dieser Tage, wird das “kein gutes Ende nehmen”, wie der Chinese sagt. Und zwar für niemanden. So viel ist klar – und es war ausgerechnet Joe Biden, der überraschend einen lichten Moment hatte, als er sagte: Es gibt kein Zurück mehr. Die Situation in Israel wird nie wieder so sein wie noch am 6. Oktober 2023. Seit Jimmy Carter war die Zweistaatenlösung immer eine angedachte Option. Sogar bei George W. Bush. Am wenigsten bei Joe Biden. Aber sogar der sieht in diesen Tagen in der Zweistaatenlösung den einzig gangbaren Weg. Die Frage ist nicht, ob das die Lösung aller Probleme ist. Wahrscheinlich ist sie es nicht. Es sieht aber so aus, als gäbe es keine bessere.

Colonel Douglas Macgregor bei Roger Köppel im “Weltwoche”-TV: Israel muß vor sich selbst geschützt werden. So traurig das ist, so wahr ist es leider auch. Weil den Krieg nicht gewinnt, wer nach wessen Ansicht auch immer rechthat, sondern wer die Macht und die Kraft dazu hat. In der Ukraine sind das die Russen – und in Israel wäre es die islamisch-arabische Allianz gegen Israel. Die USA in ihrem gegenwärtigen Zustand ziehen Israel nicht mehr aus der Bredouille. Und wenn es der israelischen Regierung zehnmal gegen den Strich geht: Wenn du im Konflikt der Schwächere bist, dann bist du derjenige, der die Kreide fressen muß. Ob du willst oder nicht. Oder du läßt dich vernichten.

Moderne und Mittelalter

Ich habe Meunungsäußerungen gehört, denen zufolge das ganze Gedöns um Palästina, Nakba, Repression und ultraorthodoxen Chauvinismus lediglich den Blick auf ein Grundübel verstelle, das nicht nur in Israel, sondern auch in Europa zu einem gewaltigen Problem geworden sei: Der Islam als “mittelalterliche Weltanschauung” stehe der aufgeklärten Moderne unversöhnlich gegenüber. Die Moderne müsse sozusagen die Kriegserklärung des Mittelalters annehmen und siegen. Das sei auch der Kampf, den die Israelis führen – Palästina, Hamas und Palästinenser hin oder her. Moderne, Moderne, wie hab ich dich so gerne. Leider ist es aber so, daß Kampf alleine nichts wert ist. Wer’s ncht glauben will, hat wohl einen Kampfkrampf im durchlöcherten Debattenhirn. Jeder Kampf wird eines Sieges wegen geführt. Und meinereiner fragt sich das mit den durch Debatten verursachten Löchern im linksrhetorisch versifften, westlichen Demokratenhirn, dem aufgeklärten, schon länger: Was soll dieses ubiquitäre Heldengeschwätz vom “Kampf”, den jeder führt – und sei es einer für den Veggie-Day, die Rechte der Frauen oder für Radwege, Tod & Teufel? Der Kampf hat keinen Wert! Der Sieg hat einen! Wenn keine Aussicht auf einen Sieg besteht, läßt der kluge Kopf den Kampf einfach bleiben und verlegt sich auf andere Mittel zur Erreichung seiner Ziele. Das kann doch nicht so schwer zu begreifen sein!? Wenn die israelische Regierung einen Flächenbrand im Nahen Osten lostritt mit ihrem Kampf gegen die Mittelalterlichen, dann gewinnt dort nicht die Moderne, sondern das Mittelalter!

Zum Schluß – und abgesehen davon: Die israelische Armee vollzieht im Gazastreifen gerade einen Völkermord und ein Kriegsverbrechen. Das ist so. Und zwar ausgerechnet nach Definition der ach-so-löblichen “Moderne”. In der Moderne haben überhaupt recht viele Völkermorde stattgefunden, wenn ich mir das so überlege. Meinungen dazu sind absolut erläßlich. Modernde Debattenlöcher in Demokratenhirnen …

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